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Der „Riese von Segorbia“ und die Reconquista

Spanische Geschichte

Der „Riese von Segorbia“ und die Reconquista
Riese von Segorbia
Der "Riese von Segorbia". (Bild: University of Huddersfiel)

Die DNA eines Mannes aus dem mittelalterlichen Spanien wirft neues Licht auf die Radikalität, mit der die katholische Reconquista den früheren islamischen Einfluss tilgen sollte. Der „Riese von Segorbia“ lebte im elften Jahrhundert im Gebiet von Valencia und stammte von dort angesiedelten nordafrikanischen Berbern ab. Doch nachdem die Katholiken das Gebiet zurückerobert hatten, wurde fast die gesamte maurische Bevölkerung vertrieben, wie die Genanalysen belegen.

Die Iberische Halbinsel war in vielfacher Weise durch das nahe Nordafrika geprägt: Schon in der Jungsteinzeit gab es einen Austausch zwischen beiden Seiten der Meerenge von Gibraltar, der sich bis in die Zeit der spätantiken Vandalen fortsetzte. Mit der islamischen Eroberung im Jahr 711 jedoch setzt ein starker Einstrom von Arabern und den erst kurz zuvor islamisierten Berbern aus Nordafrika ein. Vor allem anfangs übten die Araber die politische Herrschaft über das maurische Spanien aus, während die Berber eher das Fußvolk der maurischen Eroberungsmacht bildeten.

Der Riese von Segorbia

Im elften Jahrhundert ändert sich dies jedoch: Zu diesem Zeitpunkt kamen mit den Almoraviden und Almohaden berberstämmige Maurenherrscher an die Macht und die Berber gewannen auch im maurischen Spanien an Einfluss. Wie hoch damals allerdings der Bevölkerungsanteil der Mauren nordafrikanischer Abstammung war, ist bislang unklar. Ein Grund dafür sind die Umwälzungen, die durch die katholische Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel bis zum Jahr 1492 und die Vertreibung der Mauren im Zuge dieser Reconquista stattfanden.

Mehr Aufschluss über die Bevölkerung in der Zeit der Mauren und den späteren Wandel liefert nun das Erbgut eines Mannes, der im elften Jahrhundert in der islamischen Nekropole Plaza del Almudin in Segorbia bestattet wurde. „Wegen seiner für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Größe von 1,84 bis 1,90 Metern wurde er von den Archäologen der Riese von Segorbia getauft“, erklären Marina Silva von der University of Huddersfield in England und ihre Kollegen. Ausgehend von Untersuchungen der Knochen und Anatomie dieses „Riesen“ hatten Wissenschaftler schon früher vermutet, dass er von den nordafrikanischen Berbern abstammen könnte.

Nordafrika und Europa im Erbgut

Ob das stimmt, haben nun Silva und ihr Team mithilfe von DNA- und Isotopenanalysen von Knochen- und Zahnproben dieses Mannes untersucht. Die Analysen ergaben, dass der Riese von Segorbia sowohl von der Mutter als auch vom Vater typische Gensignaturen der nordafrikanischen Berber geerbt hatte. Diese zeigten sich auf seinem Y-Chromosom und in der mitochondrialen DNA. Er gehört damit zu den ältesten bekannten Individuen mit dieser genetischen Herkunft auf der Iberischen Halbinsel, wie die Forschenden berichten.

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Das restliche Genom verriet jedoch, dass dieser Mann und seine Eltern keine neuen Ankömmlinge in Spanien waren. Denn die Isotopenanalysen belegten, dass der Riese von Segorbia sein gesamtes Leben lang in der Region um Valencia gelebt haben muss. Zudem fand das Forschungsteam deutliche Hinweise auf Kreuzungen seiner Vorfahren mit der einheimischen, europäischstämmigen Bevölkerung dieses Gebiets – ihre Gene machten immerhin rund die Hälfte seines Erbguts aus. „Die Tatsache, dass dieser Mann noch die nordafrikanischen Eltern-Marker besaß, deutet aber darauf hin, dass diese Vermischung erst seit wenigen Generationen bestand – wahrscheinlich auf dem Höhepunkt der Berber-Herrschaft“, sagen Silva und ihre Kollegen.

Radikale Vertreibung

Noch spannender aber ist das, was die Gendaten über das weitere Schicksal der Berber und ihrer Nachfahren in Spanien verrieten. Denn im Erbgut der heute im Gebiet von Valencia lebenden Spanier sind keine Spuren der einst zahlreichen Mauren mit Berbervorfahren erhalten. Nach Ansicht des Forschungsteams könnte dies die Brutalität und Radikalität widerspiegeln, mit der die katholischen Herrscher nach der Vertreibung der Mauren und der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel in Jahr 1492 ethnische und religiöse Säuberungen durchführten.

Viele Mauren, die sogenannten Morisken, versuchte zunächst, sich durch eine Taufe den Repressionen zu entziehen. Doch 1609 wurde rund ein Drittel aller noch in Spanien lebenden Morisken von den katholischen Herrschern vertrieben und nach Nordafrika deportiert, wie Silva und ihr Team berichten. Während das Ausmaß dieser Säuberungen in Kastilien und Andalusien eher gemäßigt war und sich viele Morisken dort integrierten, scheint dies in der Region Valencia nicht der Fall gewesen zu sein, wie nun die DNA-Vergleiche belegen.

„Dort wurde die seit Jahrhunderten in der Region lebende Bevölkerung mit nordafrikanischen Wurzeln quasi komplett vertrieben“, so das Team. Stattdessen wurden Menschen aus dem Norden dort angesiedelt, die vorwiegend europäischstämmig waren. „Die Auswirkungen dieses dramatischen Bevölkerungswechsels, die auf eine brutalen politische Entscheidung vor hunderten von Jahren zurückgehen, sind bis heute im Erbgut nachweisbar – wie dem Genom des Riesen von Segorbia und seinen Zeitgenossen“, sagt Silva.

Quelle: University of Huddersfield; Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-021-95996-3

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