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DIE VERGESSENEN PHARAONEN

Geschichte|Archäologie

DIE VERGESSENEN PHARAONEN
Ein Jahrhundert lang saßen Herrscher aus Vorderasien auf dem altägyptischen Thron. Diese „Hyksos” geben den Forschern viele Rätsel auf. Jetzt wird im Nildelta der erste Palast der asiatischen Pharaonen ausgegraben.

Irene Forstner-Müller, quasi die Wesirin der Grabung, arbeitet seit 15 Jahren im Nildelta. Karin Kopetzky, die Oberaufseherin über die Kleinfunde, dokumentiert seit 20 Jahren die Keramikscherben aus den Grabungen. Zusammengerechnet kommen die beiden Ägyptologinnen trotzdem nicht auf die Dienstjahre des Grabungsherrn: Manfred Bietak durchforstet seit 1966 in Tell el-Dab’a ein halbes Jahrtausend altägyptischer Vergangenheit.

Nicht nur in dieser personellen Konstanz ist die Grabung im nordöstlichen Nildelta ein Phänomen: Die österreichischen Forscher und ihre Helfer aus aller Welt sind der diffusen Pharaonen-Geschichte zwischen dem 18. und 13. Jahrhundert v.Chr. auf der Spur – mit Erfolgen, die sensationell sind, auch wenn sie niemand außerhalb der Fachwelt kennt. Die weitgehend weibliche Truppe um den frisch emeritierten Ägyptologie-Professor der Universität Wien und Gründer des Österreichischen Archäologischen Instituts in Kairo kann inzwischen die Historie vom Niedergang des Mittleren Reichs bis zum Pharaonen-Imperium Ramses II. archäologisch aufzeichnen. Mittendrin liegt das erste traumatische Erlebnis altägyptischer Geschichte: die zwielichtige Hyksos-Herrschaft – die Asiaten auf dem Pharaonen-Thron. Manfred Bietak gräbt in Tell el-Dab’a die Hauptstadt der Hyksos aus: Auaris. Nach Friedhöfen, Verteidigungsanlagen, Tempeln und Siedlungen aus der Hyksos-Epoche setzte Bietak jetzt seiner Arbeit die Krone auf: Er legte den ersten Palast eines asiatischen Herren aus der Zeit um 1600 v.Chr. frei.

Imperiale Mauern

Es sind nur drei Minuten auf staubigen Fußwegen zwischen den Feldern mit Viehfutterpflanzen vom Grabungshaus zum Palast des Hyksos-Königs Chajan. Vor zwei Jahren haben die Wiener angefangen, ihn freizulegen. Dabei wird er immer größer. 40 Zentimeter unter der Erdoberfläche zeichnen sich im schweren Boden künstliche Strukturen ab. Die erkennt auch der Laie, doch zur Deutung braucht er Bietaks Unterstützung: „Das sind zusammengestürzte Lehmziegelmauern. Die große Fläche dort wird wohl eine Halle gewesen sein, daneben war vermutlich ein offener Hof. Der Turm im Zentrum unterteilte den Palast in verschiedene Sektionen, etwa Magazine, Korridore oder repräsentative Räume”, gibt Bietak eine Rundschau über das Areal und deutet auf frisch freigelegte sehr breite Strukturen im Untergrund: „Das sind imperiale Mauern!”

Irene Forstner-Müller sekundiert: „Diese sehr dicken Grundmauern belegen, dass es sich dabei nicht um Wohnbauten handelte, sondern um staatlich gelenkte Architektur mit offizieller Funktion.” Nicht mehr sichtbar, aber für die Archäologen einsichtig: Das aufstrebende Mauerwerk bestand aus Lehmziegeln ohne hölzerne Fachwerkverstärkung. Aus Stein waren allenfalls die Türschwellen und -stürze, denn im Schwemmland des Deltas gibt es keine Steine. Forstner-Müller meint: „Die Architektur ist ziemlich kompliziert, die müssen wir erst einmal verstehen.” Zu erfassen ist sie nur über die Strukturen im Boden, aufragende Mauern gibt es nicht einmal in Ansätzen. In der diesjährigen Kampagne gingen die Forscher im Palastbereich nur mit einem einzigen Schnitt in die Tiefe. Der brachte prompt Relikte eines ebenfalls herrschaftlichen Vorgängerbaus. Im Mai wurde das Areal von den Archäologen wieder zugeschüttet – und von den Bauern mit Viehfutter eingesät.

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So verschwindet wieder ins Dunkel, was bis in die heutige Zeit mit teilweise abenteuerlichen Mutmaßungen und Zuordnungen aufgeladen ist. Nicht nur religiöse Esoteriker, sondern auch Wissenschaftler versuchen, eine Verbindung herzustellen zwischen den Hyksos und der in der Bibel geschilderten israelitischen Knechtschaft im Pharaonen-Land. Die Israeliten wären demnach die Hyksos gewesen und der „Auszug des Volkes Israel aus Ägypten” deren Verschwinden. Bietak will das – stellvertretend für weitere Forscher – „gänzlich ausschließen, selbst die Proto-Israeliten, also die nicht so recht fassbaren Vorläufer der Israeliten, kommen erst 400 Jahre später in die Geschichte”. Vorsicht ist auch geboten bei den Schauergeschichten vom marodierenden Einfall wilder Hyksos-Heerscharen aus dem Osten ins gelobte ägyptische Land: „Unerwartet zogen aus dem Osten Menschen unbekannter Rasse siegesbewusst gegen das Land. Leicht eroberten sie es mit Gewalt, verbrannten die Städte grausam und zerstörten die Göttertempel. Die Einwohner behandelten sie auf das grausamste, indem sie die einen erschlugen, die Frauen und Kinder der anderen in die Sklaverei verschleppten.” So berichtete der ägyptische Geschichtsschreiber Manetho über die Hyksos und prägte damit lange Zeit die wissenschaftliche Wahrnehmung. Er verfasste seine Annalen allerdings erst im 3. Jahrhundert v.Chr., wusste also auch nicht mehr als die Bibelschreiber über die seit mehr als 1000 Jahren verschwundenen Hyksos. Im Fall der Hyksos-Israeliten-Saga wird der angebliche Manetho-Bericht zudem vom jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus zitiert, der sein Volk tendenziell heroisch darzustellen versuchte.

MEnschenraub in Nubien

Da zeichnen Bietaks archäologische Langzeituntersuchungen ein anderes Bild: Das Land am Nil huldigte zwar gern einem isolationistischen Selbstverständnis, aber auch das ägyptische Reich war stets in die Welt des östlichen Mittelmeerraums eingebunden. Waren und Geschenke aus dem Vorderen Orient, von Kreta oder Zypern, aus der Ägäis und Anatolien sind seit dem Alten Reich, also seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. nachzuweisen. Verstärkt seit dem Mittleren Reich ab etwa 2000 v.Chr. litt das pharaonische Ägypten an akutem Arbeitskräftemangel. Dem wurde mit Menschenraubzügen in Nubien begegnet oder mit Menschenkauf in der Levante. Zudem: „Die Fleischtöpfe Ägyptens haben schon immer gelockt”, weiß Manfred Bietak. Und so wanderten beständig Gruppen aus dem syrisch-libanesischen und südpalästinensischen Raum ins östliche Nildelta ein. Es waren Wirtschaftsflüchtlinge auf der Suche nach einem besseren Leben.

In Auaris kann Bietak etwa ab 2000 v.Chr. eine Besiedlung feststellen, die noch rein ägyptisch war. Aber schon um 1800 v.Chr. gab es ausländische Einwohner, die Häuser im rein syrisch-vorderasiatischen Stil bauten. Ihre Keramik wies in die gleiche Richtung, ein Rollsiegel belegt die Verehrung des syrischen Wettergottes in Auaris. Aus der Zeit um 1700 v.Chr. stammte der erste Tempel in vorderasiatischer Bauweise: „Es muss aber noch ältere gegeben haben, denn wir haben Nachweise für den vorderasiatischen Baal-Kult”, so Bietak.

Bei der Keramik entwickelte man einen eigenartigen Mischstil aus syrisch-palästinensischen und ägyptischen Elementen. Alles deutet auf eine stattliche Bevölkerung von Asiaten hin. Waren es zunächst vor allem Hilfskräfte in privaten und königlichen Haushalten wie Köche, Diener, Weberinnen oder Landarbeiter, Winzer und Brauer, so etablierten sich am Ende der 12. Dynastie (um 1750 v.Chr.) gefragte Fachhandwerker aus der nördlichen Levante – dem heutigen Libanon in Auaris: Matrosen, Schiffs-Zimmerleute, Bootsbauer und Segelmacher. Auch Soldaten und Handelsagenten siedelten in Auaris und mehrten Wohlstand, wirtschaftliche Macht und politisches Gewicht der Stadt. Einige der Gastarbeiter stiegen in der ägyptischen Verwaltungshierarchie auf, wurden „Oberaufseher der fremden Länder” oder trugen den Ehrentitel „Fürst von Retinu”, Synonym für die syrisch-palästinensische Region. Sie organisierten die ägyptischen Bergbau-Expeditionen auf den Sinai und kontrollierten den Handel mit der Levante und der Ägäis. Etliche dieser Notabeln spendierten sich aufwendige Gräber ägyptischer Manier. Sie ehrten sich darin mit Grabstatuen (die es in Vorderasien nicht gibt), ließen sich jedoch mit Kleidung, roten Haaren und gelber Gesichtsfarbe als Asiat darstellen und nannten sich auch so. Die Archäologen haben mehrere Siedlungen und Gräber dieser Art gefunden, Auaris war eindeutig das Zentrum der Asiaten in Ägypten.

DIE CHANCE IM MACHTVAKUUM

Mit der pharaonischen Herrschaft ging es derweil bergab: Das Mittlere Reich zeigte galoppierende Auflösungstendenzen, ein „ königlicher” Usurpator löste während der 13. Dynastie den anderen ab, viele waren nicht königlichen Geblüts. Die durchschnittliche Regierungszeit betrug etwas über drei Jahre. In diesem Machtvakuum griffen mit der 14. Dynastie verschiedene historisch schlecht fassbare Herrscher nach der Macht. Sie kontrollierten jedoch nur kleine Regionen, vor allem im Nildelta. Die meisten von ihnen trugen westsemitische, nach ägyptischer Auffassung also asiatische Namen und wurden – erstmals – als „Hyksos” bezeichnet. Das ist die griechische Form des ägyptischen Begriffs „Herrscher der Fremdländer”. Bietak sieht in ihnen die Vorgänger der geschichtlichen Hyksos: semitischsprachige Fürsten, die mit Duldung originär ägyptischer Herrscher Teile des Landes kontrollierten. Der Übergang von dieser 14. zur 15. Dynastie ist unklar. Diese eigentliche Hyksos-Ära rekrutierte sich wohl aus den Machteliten von Auaris und kontrollierte bald weite Teile Ägyptens. Selbst in Oberägypten, auf dem Berg Gebelein, 30 Kilometer südlich von Luxor, unterhielten die Okkupatoren eine Garnison – das legen zwei gewaltige Steinblöcke mit den Namen der beiden bedeutendsten Hyksos-Könige Chajan und Apophis nahe. Die indigenen Könige im mittelägyptischen Theben wurden allem Anschein nach von den Hyksos-Herrschern eingesetzt.

Zunächst gab es eine friedliche Koexistenz von asiatischem Delta und ägyptischem Zentralland. Aus verschiedenen Papyri geht hervor, dass die Hyksos als legitime Pharaonen Ägyptens anerkannt waren. Sie legten sich rasch ägyptische Königstitel zu, bevorzugten aber offenbar weiterhin ihre heimischen Götter. Auaris bauten sie zu ihrer Residenz aus. Die Einwohnerzahl schnellte, so schätzt Bietak, durch eine massive Einwanderung auf 30 000 hoch – „alles Asiaten”, meint Bietak.

WIE DAS BUNDESKANZLERAMT

„Wenn Sie etwas Feines sehen wollen, schauen Sie sich das hier an”, lockt der Archäologe in der Palast-Grabung und dreht eine Keramikscherbe zwischen den Fingern: „Das ist ,Kerma-Keramik‘, die stammt aus Nubien.” Dem offenbaren Nichtverstehen des Besuchers kommt der Grabungsleiter entgegen: „Das bedeutet, dass hier am Hyksos-Hof schwarzafrikanische Nubier als Palastkrieger oder Leibwachen eingesetzt waren” – eine deutliche Demonstration von Macht. Daran mangelt es in den archäologischen Funden sowieso nicht.

Nach Augenschein und geophysikalischer Prospektion schätzt Manfred Bietak das Hyksos-Machtzentrum auf 12 000 Quadratmeter. Damit wäre der Regierungssitz des asiatischen Pharao so groß wie das Bundeskanzleramt im Berlin. Und: Der Palast hat einen eindeutig vorderasiatischen Grundriss, da ist kein Stück ägyptische Architektur zu finden. Die Repräsentationsräume und den Thronsaal haben die Ausgräber noch nicht freigelegt. Dafür fanden sie eine ausgebrannte Werkstatt, Brotöfen und Anlagen zur Metallherstellung in quasi- industrieller Manier. Großvolumige Wasserleitungen deuten auf eine ausgeprägte Badekultur hin.

Siegelfunde weisen Chajan als Herrn des weitläufigen Anwesens aus. Er wird in der nicht ganz abgesicherten Liste der Hyksos-Könige an dritter oder vierter Stelle geführt, vermutlich umfasste die 15. Dynastie insgesamt sechs Herrscher. Chajan war der erste bedeutende asiatische Pharao: Siegelbruchstücke von ihm und seinen Beamten – Belege für „amtlichen Verkehr” – finden sich von Südpalästina bis ins schwarzafrikanische Nubien. Deckel von Steindöschen mit seinem Namen, vermutlich gefüllt mit den begehrten ägyptischen Kosmetika, gibt es auf Kreta, in Syrien und sogar in Hattuscha, der Hethiter-Hauptstadt in Zentralanatolien. Das waren sicher Goodwill-Geschenke von Herrscherhaus zu Herrscherhaus, der allgemeine Handel dürfte ähnlich ausgedehnt gewesen sein. Nur aus der Nordlevante, der Heimat der Hyksos, fehlen erstaunlicherweise Hinweise auf lebhafte Kontakte in dieser Zeit. Offenbar hatte Chajan ein Faible: Kurz vor Ende der diesjährigen Grabung legten die Archäologen „eine liebevolle Pferdebestattung” frei. Eine fünf bis zehn Jahre alte Stute, die, auf die Seite gebettet, im Palast beigesetzt war – das Lieblingstier des Chajan, mutmaßt Bietak. Der Chajan feierte auch gern: Die Archäologen haben etliche Gruben im Palast ausgehoben, in denen Speise- und Keramikreste von Schlemmereien entsorgt wurden. Bietak vermutet viele solcher Opfergelage zu Ehren des Königs oder zum Geburtstag eines Gottes. Mit einem letzten Fest wurde der Herrschersitz aufgegeben.

Weit über 1000 Tongefäße und Tierknochen fischten die Archäologen aus der Versenkung, darunter auch feines, damals schon antikes Ritualgeschirr. „Vielleicht gab es ein Tabu, den Palast nach dem Tod des Königs zu übernehmen”, spekuliert Bietak. Das vermutete Königsgrab hat er noch nicht entdeckt, auch nicht in der Prospektion: „Dafür liegt es zu tief.” Doch der Grabsucher ist zuversichtlich, es zu finden, denn nach vorderasiatischer Sitte wurden die Herrscher im Palast bestattet.

Ein Königsgrab könnte dringend benötigte Informationen über die rätselhaften Herrscher bringen, denn die haben kaum direkte Nachrichten hinterlassen: keine Statuen, keine Königslisten, keine königlich-staatliche Propaganda in Stein. Ganze dreieinhalb Seiten mit originären Hyksos-Inschriften kann Joachim Friedrich Quack in seinem Lehrbuch zeigen. Und die, bedauert der Heidelberger Ägyptologe, enthalten kaum mehr als den Namen des Königs und seine Titel. Die umfangreichste Inschrift auf einer Opfertafel des Hyksos-Herrschers Apophis berichtet in wenigen Zeilen von einem Bau, den er für seinen Vater errichten ließ, damit „er mit Leben beschenkt sei, wie Re in Ewigkeit”, zwei Zeilen weiter verbunden mit der Hoffnung, dass der Gott „alle Länder unter seine (des Königs) Füße lege”. Hinzu kommen noch einige Kurztexte auf Skarabäen, „aber das ist es dann auch schon” , resümiert Quack.

Feuersturm UND FALKE

Die Hyksos-Herrscher deportierten zwar ein Drittel aller Statuen ihrer Vorgänger nach Auaris und beschrifteten sie dort neu mit ihrem Namen – aber nach ihrem Untergang wurden die Bildnisse von den nachfolgenden Dynastien abermals verschleppt und überschrieben. Einzelstücke mit Hyksos-Namen kann man noch in Tanis, der Königsstadt der 21. Dynastie nördlich von Auaris, und im Ägyptischen Museum in Kairo ausfindig machen. Die Hyksos bleiben gesichtslos. „Das ist ein komisches Phänomen”, sagt Irene Forstner-Müller. „Es gibt nur diese usurpierten Statuen, und es wäre ein unglaublicher Glücksfall, wenn wir hier ein Original finden würden.”

Klarer, aber nicht unbedingt wahrer macht um 1530 v.Chr. der Tatenbericht des Kamose, ägyptischer Pharao von Hyksos Gnaden in Theben die Situation: Gegen den Rat seiner Höflinge kündigt er die Koexistenz mit dem Fremdherrscher Apophis auf und zieht gen Norden „wie ein Feuersturm”. Und „wie ein Falke” kam er über den Hyksos-Vasallen Teti, den Sohn des Pepi in seiner Stadt Nefrusi: Er „riss die Mauern nieder und tötete seine Leute … Seine Pferde flohen landeinwärts”. Danach stürmte er mit seinen Schiffen weiter nach Auaris und diktierte anschließend ins steinerne Protokoll: „Ich ließ keine Planke an den Hunderten von Schiffen aus frischer Zeder, die gefüllt waren mit Gold, Lapislazuli, Silber, Türkisen, Bronze-Äxten ohne Zahl, Moringa-Öl, Weihrauch, Fett, Honig, Weidenholz und Buchbaum … – die elenden Asiaten sind untergegangen!”

Pferde und streitwagen

Alles Schönfärberei: Kamose konnte Auaris nicht erobern. Das gelang erst seinem Nachfolger Ahmose. Kamoses Siegesstele liefert jedoch den ersten schriftlichen Beleg für zwei Dinge, die die Archäologen ebenfalls nachgewiesen haben: Pferde und ein Hafen. Mit den Hyksos waren Pferde und Streitwagen nach Ägypten gekommen und um 1350 v.Chr. hatte Auaris einen stattlichen Hafen für Hunderte von Schiffen. Beides wurde für Politik und Expansion der Ägypter in der Folgezeit entscheidend. Pharao Ahmose von der 17. Dynastie aus Theben eroberte Auaris dann tatsächlich und vertrieb die Hyksos – die herrschende Schicht, nicht die Bevölkerung. Die Bewohner blieben und dienten dem neuen Herrn. Der Hyksos-Palast wurde niedergebrannt, die Stadt jedoch nicht. Vielmehr baute sich der Sieger darin zwei eigene Residenzen. Seine Nachfolger dehnten ihre Präsenz im strategisch günstigen Nildelta aus. Der Hafen wurde zur Drehscheibe für verstärkten Handel und zum logistischen Ausgangspunkt für die Eroberungszüge in den Vorderen Orient. „Das alles ist das Ergebnis unserer archäologischen Arbeiten”, betont Irene Forstner-Müller.

Auaris wurde verlassen, die Hyksos-Siedlungen schrumpften, aber sie blieben bestehen. Die Keramik und die Skarabäen wurden unverändert weiterproduziert. Es wäre ja auch eine Dummheit gewesen, assistiert Manfred Bietak, „diese Bevölkerung zu vertreiben – das waren ja alles hochspezialisierte Leute.” Die Hyksos-Elite hatte sich Richtung Südpalästina abgesetzt und in einer Festung namens Scharuhen verschanzt, deren Lage man nicht genau kennt. Nach dreijähriger Belagerung besiegte Ahmose sie endgültig. Danach tauchen die Hyksos nirgends mehr auf. Ihre Nachwirkungen im ägyptischen Leben lassen sich durch einen Technologie-Transfer dingfest machen: Neben dem Pferd und dem Streitwagen kamen mit den Hyksos auch die schnelldrehende Töpferscheibe und die Siegelschneidekunst nach Ägypten. Die höhere Metallurgie wurde übernommen und nahezu die gesamte Bewaffnung: Kompositbögen, die kurzen Wurfspeere, die Streitaxt und das Sichelschwert.

Fresken der premiumklasse

Nach dem Sieg über die Asiaten konnte sich Pharao Ahmose „Herr der beiden Länder”, also Ganz-Ägyptens, rühmen. Mit ihm begann das glanzvolle „Neue Reich” – mit den großen Namen wie Hatschepsut, Thutmosis III., Echnaton/Nofretete, Ramses II. Um die genauen Geburtsdaten des Neuen Reichs gibt es einen heftigen wissenschaftlichen Streit, der im Frühling 2010 mit einem Fachkongress endgültig beendet wird – davon ist Manfred Bietak überzeugt. Der Altertumsforscher datiert den Beginn der imperialen Epoche auf 1530 v.Chr. Das junge Staatswesen war intern labil und von außen bedroht, Ahmose und seine Nachfolger setzten auf einen mächtigen Verbündeten – die Minoer auf Kreta. Zwar gibt es dazu keine direkten Nachrichten, aber die archäologischen Funde in Auaris lassen kaum einen anderen Schluss zu: So protzten die beiden Ahmose-Paläste in der ehemaligen Hyksos-Hauptstadt mit Mauern aus Quadersteinen wie in der Ägäis statt der traditionellen Lehmziegelwände. Noch deutlicher zeigen sich die engen Verbindungen unter Thutmosis III., der die Auaris-Residenzen mit minoischen Fresken der Premiumklasse ausstatten ließ (siehe den folgenden Beitrag „Ägäis in Ägypten”). Das setzte sehr gute Kontakte zwischen ägyptischem Königshof und minoischem Herrschersitz voraus.

Thutmosis III., den Bietak für den „größten König Ägyptens” hält, nutzte die Verbindung zur Seemacht Kreta, um seine maritimen Kapazitäten zu stärken. Die brauchte er dringend für seine Eroberungspolitik der nächsten Jahre, die ihn über Syrien bis an den Euphrat führte. Nach Bietaks neuen Untersuchungen baute er dazu den Ankerplatz von Auaris weiter aus und machte die Stadt zum Ausgangspunkt seiner Militärexpeditionen. Zwei Jahrhunderte später diente der ehemalige Hyksos-Hafen auch Ramses II. als wichtige Marinebasis.

STALLUNGEN FÜR 500 Pferde

Schräg gegenüber von Auaris ließ der größte pharaonische Bauherr und Selbstverherrlicher seine neue Hauptstadt Piramesse errichten. Dort legte der Hildesheimer Archäologe Edgar Pusch in langjährigen Ausgrabungen nicht nur Remisen für 250 Streitwagen und Stallungen für 500 Pferde frei, sondern grub auch Schmelzbatterien und Öfen zur fast industriellen Bronzeherstellung aus (bild der wissenschaft 12/1998, „ Archäologen entdecken Ägypten neu”). Von der 12. bis mindestens zur 19. Dynastie, also über einen Zeitraum von rund 800 Jahren, nutzten ägyptische Herrscher die Region am Pelusischen Nilarm intensiv. Zahlreiche Keramikfunde in Auaris aus dem Alten Reich rücken die Nutzung neuerdings noch weiter in die Vergangenheit. Was im Nilschlamm alles noch verborgen ist, kann man nicht einmal erahnen. Allein die Surveys, Prospektionen und Grabungen der Bietak-Truppe zeigen eine durchgehende großflächige Besiedlung, die zusammengenommen eine Großstadt im Nildelta darstellt – militärisch wichtig, ökonomisch potent, imperial.

Nur sehen oder anfassen kann man von alledem nichts. Keine Statue, kein Obelisk, kein Tempel oder Palast zieht das Auge auf sich. Über dem Hyksos-Hof in Auaris und der Ramses-Residenz in Piramesse, über Opfergruben und Magazinen, Thronsälen und Palasthöfen wächst Getreide und Viehfutter. Die beiden letzten Wochen der Grabungskampagne werden benötigt, um die freigelegten Flächen wieder zuzuschütten. Wie fühlt man sich da als Archäologe? „Ganz cool”, sagt Manfred Bietak, der in der Grube des Hyksos-Palastes steht, „denn es ist die einzige Methode, das Zeug zu schützen.” Das stimmt nicht ganz: Durch die landwirtschaftliche Nutzung der Areale geht ständig Boden verloren. Wenn man drei Zentimeter Erosion pro Jahr rechnet, dauert es bei den 40 Zentimetern von der Oberfläche bis zum Hyksos-Palast keine 20 Jahre, bis Bietaks Dokumentationen die letzten Zeugnisse einer spannenden Epoche der ägyptischen Geschichte sind. ■

MICHAEL ZICK, ehemaliger bdw-Redakteur, staunte in Tell el-Da’ba darüber, wie viele Informationen in einem Haufen Sand stecken.

von Michael Zick

Gut zu wissen: Pharaonen

Heute werden die altägyptischen Könige als Pharaonen bezeichnet. Das war nicht immer so: „Pharao” war zunächst kein Wort für König, sondern bedeutete „großes Haus”. Es meinte den königlichen Hof oder Palast. Erst ab der 18. Dynastie, etwa dem 15. Jahrhundert v.Chr., war Pharao die Bezeichnung für „Herrscher” .

Der Pharao regierte als Gottkönig. Er war das Bindeglied zwischen den Göttern und den Menschen. In der Frühzeit und im frühen Alten Reich war der Pharao lebendes Abbild des Falkengottes Horus. Ab der 5. Dynastie (2500 v.Chr.) galt der Herrscher dann als Sohn des Sonnengottes Re, der erst nach dem Tod wieder zum Gott wurde. Vom ersten Pharao Menes (etwa 3000 v.Chr.) bis zum Anbruch der Perserzeit (etwa 330 v.Chr.) gab es 30 Dynastien. Jede Dynastie setzte sich aus einer Folge von Königen zusammen, die demselben Herrschergeschlecht entstammten.

Die Königswürde wurde im Allgemeinen auf den männlichen Nachfolger vererbt. Gab es keinen, ging die Herrschaft auf ein anderes Familienmitglied oder einen Vertrauten über. Doch mancher Konkurrent riss die Macht auch gewaltsam an sich. Die Männer-Tradition galt, bis Pharao Thutmosis II. starb und ihm sein Sohn Thutmosis III. auf den Thron folgte. Doch der war zu jung zum Regieren, und so übernahm 1479 v.Chr. seine Stiefmutter Hatschepsut die Regentschaft und ernannte sich selbst zum Pharao. Eine weitere Frau bestieg womöglich wenig später den Thron: Nofretete. Nachdem sie jahrelang mit ihrem Gemahl Echnaton regiert hatte, übernahm sie eventuell nach dessen Tod die Herrschaft über Ägypten. Das ist allerdings sehr umstritten.

Alle Macht lag in den Händen des Pharao. Seine Aufgabe war es, Unruhen und Gefahren zu beseitigen und die Ordnung zu sichern. Das Volk galt als sein Eigentum, er entschied über Leben und Tod seiner Untertanen. Für den Bau seiner Tempel und Pyramiden, die Grabstätten und „Himmelsleiter” zugleich waren, beschäftigte er ein ganzes Heer von Handwerkern. smb

KOMPAKT

· Im Nildelta wurde um 1600 v.Chr. ein Palast für den Hyksos-Pharao Chajan errichtet.

· In Ägypten war damals ein Machtvakuum entstanden, das den Weg für die fremden Herrscher freimachte.

· Eine asiatische Bevölkerung gab es davor schon längere Zeit in Ägypten. Einige ihrer Mitglieder hatten sich zu Fürsten hochgedient.

Manfred Bietak

Bei seinen Ausgrabungen begegnen ihm neben Mumien und Skeletten auch hin und wieder Schlangen. Das komme eben vor in Ägypten, meint Manfred Bietak, der einen Großteil seines Lebens mit dem Schürfen nach historischen Schätzen verbracht hat. Die erste große Ausgrabung des heute 70-jährigen Emeritus führte ihn mit Anfang 20 zu den nubischen Altertümern in Sayala. Bei einer Unesco-Rettungsaktion sollten die Denkmäler vor Überflutung geschützt werden. Der gebürtige Wiener beendete 1963 sein Archäologiestudium und promovierte bereits im folgenden Jahr. Bis 1981 übernahm er das Amt des wissenschaftlichen Sekretärs der Kultursektion der österreichischen Botschaft und leitete bis vor Kurzem das Österreichische Archäologische Institut in Kairo. Zu seinen bedeutendsten Funden gehört der Palast aus der Tuthmosiden-Zeit sowie die Ramses-Residenz Pi-Ramesse im Nildelta – und aktuell eben der Hyksos-Palast.

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LESEN

Hermann A. Schlögl DAS ALTE ÄGYPTEN Geschichte und Kultur von der Frühzeit bis zu Kleopatra C.H.Beck, München 2006, € 34,90

Brian Fagan, Kenneth Garrett DAS REICH DER PHARAONEN National Geographic, Hamburg 2005, € 19,95

Michael Schaper DAS ALTE ÄGYPTEN Geo-Epoche Nr. 32, 2008, (mit DVD), € 14,95

Manfred Bietak u.a. PHARAONEN UND FREMDE – DYNASTIEN IM DUNKEL Eigenverlag der Museen der Stadt Wien Katalog zur gleichnamigen Sonderaus- stellung 1994 (vergriffen, antiquarisch erhältlich ab € 12,–)

M. Bietak, N. Marinatos, C. Palivou TAUREADOR SCENES IN TELL EL-DAB’A AND KNOSSOS Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, Wien 2007, € 75,80

INTERNET

Informationen zu den Ausgrabungen in Tell el-Dab’a: www.auaris.at

ÄGÄIS IN ÄGYPTEN

Der bunte Schutt wurde hinausgekehrt, dann begannen Handwerker mit den Ausbesserungsarbeiten. Sie verschmierten die Risse in den Wänden, ersetzten den abgeplatzten Kalkputz durch einen Lehmbewurf und bemalten die Wände neu – der Palast der Königin im östlichen Nildelta war wieder bewohnbar. Heute ist von der Herrscherin und ihrer Wohnstatt nichts mehr zu sehen, aber die bunten Putzstückchen überdauerten 3500 Jahre – und begeistern heute die Archäologen. Gewiefte Restauratoren konnten aus den Bruchstücken in zehnjähriger Arbeit Teile von Wandgemälden zusammenpuzzeln, wie man sie sonst nur aus dem minoischen Palast von Knossos auf Kreta kennt. Vor einer Labyrinth-Landschaft springen helle Knaben akrobatisch über wutschnaubende Stiere. Dunkelhäutige Jünglinge hängen den Bestien an den Hörnern. Palmen rahmen die Szene ein, die auf einem Fries aus Halbrosetten fußt. „ Das ist königliche Qualität”, urteilt Manfred Bietak. Und er ist überzeugt: „Hier haben minoische Künstler gewerkelt.”

Bei der Rekonstruktion ermittelten die Altertumsforscher eine Länge des Freskos von über 2 Metern und eine Höhe von etwa 90 Zentimetern. „Wir haben mehr Scherben von der Stierspringerszenerie, als in Knossos je gefunden wurden.” Bietak, Ägyptologe am Österreichischen Archäologischen Institut in Kairo deutet auf unzählige Kisten im abgedunkelten Magazin des Grabungshauses in Tell el-Dab’a. Und er setzt noch eins drauf: „Nach dem Malstil zu urteilen, sind unsere Scherben auch noch älter als die von Knossos.” Minoisch-ägäische Kunst mit herrschaftlichen Motiven und königlicher Qualität in einem ägyptischen Pharaonen-Palast – es muss eine besondere Beziehung zwischen dem Land am Nil und der größten Seemacht der damaligen Zeit gegeben haben.

ZERSTAMPFTE SCHNECKENHÄUSER

Der Wiener Archäologe Bietak gräbt in Tell el-Dab’a im östlichen Nildelta seit Jahren Auaris aus, die Hauptstadt der vorderasiatischen fremdherrschenden Hyksos. Nach deren Vertreibung nutzten die Machthaber der frühen 18. Dynastie die strategisch günstig gelegene Stadt weiter, und Thutmosis III. baute von Auaris aus gezielt Kontakte zu Kreta auf. Die minoischen Malereien, spekuliert der Ausgräber vorsichtig, könnten den Palast einer nach Ägypten verheirateten Prinzessin aus Kreta geschmückt haben. „Es ist eindeutig eine ägäische Technik, die in Ägypten völlig unbekannt war”, betont Bietak. „ Die Farben wurden auf den noch feuchten Putz aufgetragen. Der bestand aus Kalk und zerstampften Purpurschneckenhäusern und wird knallhart.”

Das war von Nachteil, denn anders als die Steinhäuser auf felsigem Untergrund in der Ägäis, schrumpften die ägyptischen Lehmziegelgebäude auf Schwemmlanduntergrund, sie „arbeiteten” wie Holz. „Nach vielleicht 20 Jahren fiel der Putz samt Gemälden ab und wurde vor die Tür gekehrt”, liest Bietak aus seinen Funden. Danach kam ein Lehmputz an die Wände mit einer zweiten Generation von Malerei, die „war immer noch stark ägäisch beeinflusst, aber nicht mehr eindeutig minoisch”.

Die Stierspringer-Akrobatik war wohl Abbild eines realen Geschehens. Sie ist als Motiv im ostmediterranen Raum weit verbreitet und taucht als Terrakottafigur auf Siegeln und Keramiken sowohl in Syrien als auch bei den anatolischen Hethitern, in der Ägäis und in Palästina auf. Als Wandgemälde aber gibt es sie im 15. und 16. Jahrhundert v.Chr. nur in Auaris und Knossos, erst viel später auch in mykenischen Palästen. Die Wissenschaftler vermuten einen Initiationsritus – eventuell zu Ehren einer Göt- tin –, bei dem die jungen Männer Mut und Geschicklichkeit zur Schau stellten. Es gibt Darstellungen mit Zuschauermengen im Hintergrund. Bislang habe man die Szenerie falsch gedeutet, meint Bietak: die kleineren hellen Springer als über die Stiere turnende Mädchen, die größeren dunklen als Jünglinge, die an den Hörnern hingen. „Doch wenn man genau hinsieht, bändigen braune Figuren an einer Stelle einen Stier, indem sie ihn an den Hörnern niederhalten. Dann erst wagen die weniger erfahrenen Jungakrobaten den Sprung.” Wie auch immer – die Beweglichkeit der Figuren, der artistische Wirbel, die feinen Details bis in die Haarsträhnen, die künstlerische Qualität und die Farbigkeit der Fragmente faszinieren, besonders wenn man bedenkt, dass sie jahrhundertelang im Wasser gelegen haben.

In Auaris sind maximal zehn Prozent des ursprünglichen Freskos erhalten. Computerprogramme, die suchen und puzzeln, sind da nur bedingt nützlich. Hier ist eher eine intime Kenntnis ägäischer Bildkunst in Glyptik, Malerei und Keramik gefordert, um Bruchstücke zusammenzudeuten. Bietak greift in die Kisten: „Das hier könnte ein Stück Landschaft sein, das sieht aus wie der Teil eines Stiefels, dieses könnte ein Jagdhund sein …” ■

von Michael Zick

„MICH ÜBERRASCHT, DASS ICH NOCH LEBE”

bild der wissenschaft: Frau Dr. Wafaa el-Saddik, Sie haben vor fünf Jahren den schwierigsten Job in der Ägyptologie übernommen: Sie wurden Generaldirektorin des weltweit größten ägyptischen Museums und sollten es aus dem Chaos retten. Wie schätzen Sie heute Ihre Arbeit in Kairo ein?

Wafaa el-Saddik: Mich überrascht, dass ich noch lebe (lacht). Es war nicht einfach, diesen Job zu übernehmen. Es schien zu viele Probleme zu geben. Bevor ich die Stelle antrat, war ich nie in den Magazinen des Museums gewesen. Als ich zum ersten Mal in den Keller ging, war ich schockiert: Da stapelten sich Tausende von Objekten ohne Inventarnummer, ohne Dokumentation, ohne wissenschaftliche Bearbeitung. Und niemand wusste, was da alles lagerte …

Die Funde aus allen archäologischen Grabungen der letzten 100 Jahre?

Seit mehr als 100 Jahren! Jeder Fund auf ägyptischem Boden wurde hierher gebracht, verstaut – und vergessen. Deshalb habe ich angefangen, den Keller aufzuräumen. Wir haben jetzt etwa ein Drittel gesichtet.

Wie viel ist das in Zahlen ausgedrückt?

Zurzeit sind 25 000 Objekte in unserem Dokumentationssystem.

Wie lange werden Sie für die restlichen zwei Drittel brauchen?

Es wird schneller gehen als bisher, weil wir jetzt ein System haben. Zu Beginn wussten wir gar nicht, wo und wie wir anfangen sollten. Es gibt auch viele junge Leute, die begeistert mitmachen, und eine ganz tolle Kollegin, die richtig wissenschaftlich arbeitet.

Wie viele Objekte sind noch nicht katalogisiert?

Es werden noch 40 000 oder 50 000 Stücke da sein – wir wissen es nicht genau, wir lassen uns überraschen.

So viele Stücke können Sie ja hier im Museum gar nicht präsentieren.

Nein, natürlich nicht. Aber wir machen Sonderausstellungen mit Stücken aus dem Keller oder auch aus aktuellen Grabungen in einem Raum, den ich habe freiräumen lassen. Da haben wir inzwischen schon mehr als 20 Sonderausstellungen präsentiert.

Das geplante neue Museum bei den Pyramiden in Gizeh soll das zentrale Museum für altägyptische Geschichte werden. Wird es dem altehrwürdigen Ägyptischen Museum in Kairo den Rang ablaufen?

Die Idee zu dem Museum in Gizeh kam auf, als viele Leute sagten, das in Kairo sei gar kein Museum, es sei viel zu voll und eher ein vollgestopftes Warenhaus. Es wurde immer nur Negatives berichtet. Das ist falsch, denn dieses Museum besitzt und zeigt in einmaliger Weise den Reichtum des Alten Ägyptens. Viele Leute kommen gern in dieses Museum, gerade weil es so voll ist: Sie entdecken jedes Mal etwas Neues. Unser Museum wird bleiben. 50 000 Objekte werden wir nach Gizeh geben, von anderen Stätten in Ägypten kommen weitere Stücke dorthin.

Sind weitere Museen geplant?

Ja, es sollen insgesamt 15 regionale Museen gebaut werden. Die sollen zum Teil auch mit Objekten aus unserem Haus bestückt werden.

Was neu bei Grabungen gefunden wird: Bleibt das in der Region, etwa in Theben, oder kommen die Stücke weiterhin hierher ins Ägyptische Museum?

Normalerweise bleiben die Stücke in der Region, nur außerordentliche Objekte bekommen wir – und die werden ausgestellt, die landen nicht im Keller.

Was war der schönste Fund bei Ihrer Ausgrabung im Keller?

Da gibt es vieles. Aber zwei bemalte, überlebensgroße Holzstatuen aus dem Alten Reich haben es mir besonders angetan. Wir haben die wunderschönen Stücke restauriert und dann nach Saqqara geschickt, wo sie ursprünglich herstammen.

In Ihrem Museum wird jetzt auch wissenschaftlich gearbeitet.

Ja, darauf dringe ich. Früher waren die Leute praktisch nur als Wächter hier, obwohl sie Ägyptologen sind. Jetzt arbeiten sie sehr fleißig, und jede wissenschaftliche Arbeit wird publiziert. Das stärkt das Selbstbewusstsein der jungen Leute.

Sie sind ja mit großem Elan an diese Mammutaufgabe herangegangen. Wie haben denn die Mitarbeiter, die Sie hier vorgefunden haben, auf Sie und Ihre Methoden reagiert?

Ich kam aus Deutschland und wollte alles perfekt machen. Ich war wohl etwas hart, als ich hier anfing. Beim nächsten Mal würde ich mehr auf die ägyptische Mentalität eingehen. Aber: Als ich anfing, wurde mir gesagt, es sei unmöglich, Leute zu ändern, die an ihre Routinearbeiten gewöhnt sind. Das stimmt nicht. Da haben vor allem die Sonderausstellungen einiges bewirkt. Jeder sah plötzlich: Er kann etwas tun, und sein Name wird erwähnt. Außerdem habe ich alle Kollegen – Ägyptologen, Fotografen, Architekten – ins Ausland geschickt. Das hat sie sehr motiviert.

Haben Sie Zeit, sich laufende Grabungen im Land anzuschauen?

Leider nur ab und zu. Bei einer Grabung bin ich als Beraterin eingespannt.

Wissen die heutigen Ägypter ihr kulturelles Erbe zu schätzen?

Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan: Früher hatten wir 2 oder 3 Prozent ägyptische Besucher im Museum, jetzt sind es 20 Prozent. Wir besitzen auch eine museumspädagogische Abteilung, die sehr gut ankommt. Als ich die einführen wollte, wurde das zunächst als kindisch abgelehnt. Nun arbeiten wir sehr intensiv mit blinden Kindern. Die bekommen ein Objekt ausführlich erklärt und dürfen es anfassen. Ich habe auch ein Kindermuseum innerhalb des Museums gegründet. Darin haben wir Lego-Nachbildungen mit antiken Originalstücken gemischt. So können die kleinen Kinder mit Lego lernen und die größeren an den Originalen. Die Kinder sind schließlich unsere Zukunft.

Stichwort Nofretete: Die schöne Königin aus Amarna hat in Berlin ein neues Domizil bekommen. Sie hätten Echnatons Gattin gern hier …

… für eine Ausstellung. Und man sollte keine Angst haben, dass wir sie nicht zurückschicken. Es wäre ja ein Vertrag zwischen zwei Staaten und nicht zwischen Personen. Im Gegenzug würde ich unsere wunderschöne Nofretete nach Berlin schicken. Das wäre doch für Herrn Wildung vom Berliner Ägyptischen Museum eine tolle Sache! Er würde sicher mehr Publikum bekommen, wenn die Leute auch mal die zweite erhaltene Nofretete-Büste sehen könnten.

Haben Sie noch andere Wünsche oder Ansprüche auf Stücke, die in Deutschland in Museen stehen?

Ich habe einen Wunsch: Wir haben einen Sarkophag von Echnaton. Dieser Sarkophag besteht aus vielen Fragmenten, die wir hier im Museum haben. Aber ein Eckstück liegt in Berlin – ein für Berlin unbedeutendes, aber für uns wichtiges Teil. Herr Wildung weiß Bescheid. Es ist ein Traum von mir, diesen Sarkophag – restauriert – zurück in seine Grabkammer in Amarna zu bringen.

Nach fünf Jahren Erfahrung im Ägyptischen Museum: Würden Sie diesen Job noch einmal antreten?

Bestimmt, denn ich liebe dieses Museum. ■

ägypten

Kurz bevor das Neue Reich anbrach – mit großen Namen wie Echnaton, Tutanchamun und Ramses II. –, regierte in Ägypten eine ethnische Minderheit. Die Hyksos, dem Namen nach die „Herrscher der Fremdländer”, kamen aus dem vorderasiatischen Raum und gelangten im 17. Jahrhundert v.Chr. an die Macht. Lange hielten sich Legenden, denen zufolge die Hyksos als wilde Heerscharen mit Pferden und Streitwagen in Ägypten einfielen. Heute sind viele Forscher davon überzeugt, dass die „Asiaten” nach und nach kamen, solide Arbeit leisteten und manche von ihnen langsam in der ägyptischen Hierarchie aufstiegen. Einzelne erreichten sogar das höchste Amt – und wurden Pharao.

Seite 58

Wiener Archäologen sind seit Jahrzehnten den rätsel- haften Fremdherrschern im Nildelta auf der Spur. Jetzt graben sie einen riesigen Palast der Hyksos aus.

Seite 68

Minoische Kunst im Land der Pharaonen? In einem Palast kamen Wandmalereien ans Licht, wie man sie bisher nur von Kreta kannte.

Seite 70

Wafaa el-Saddik ist die erste Frau an der Spitze des Ägyptischen Museums in Kairo. Sie spricht über ihre spannenden ersten fünf Jahre im Amt.

Das GRÖSSTE ÄGYPTISCHE MUSEUM DER WELT

1835 gründete die ägyptische Regierung den „Service des Antiquités de l’Egypte”, um gegen die Plünderei von Grabungsfunden vorzugehen – das war die Geburtsstunde des Ägyptischen Museums in Kairo. Zunächst waren die Schätze in unterschiedlichen Gebäuden untergebracht, bevor der Bau eines repräsentativen Museums beschlossen wurde. Die Umsetzung übernahm der französische Architekt Marcel Dourgnon. 1902 wurde der neoklassizistische Bau mit knapp 90 Räumen inmitten von Kairo für Besucher geöffnet. Das weltweit größte Museum für ägyptische Kunst beherbergt eine Sammlung von circa 120 000 Exponaten aus 4500 Jahren Kulturgeschichte, darunter die Goldmaske des Pharaos Tutanchamun.

Im Reich DER HYKSOS

Die ersten Hyksos-Pharaonen herrschten in Nordägypten mit Hauptsitz in Auaris. Später zogen sich die vorderasiatischen Könige nach Scharuhen in Palästina zurück. Das südliche Gebiet entlang des Nils war unabhängig und wurde von Theben aus gelenkt.

Ohne Titel

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