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Die „verschollene“ Kapelle von Westminster Abbey

Geschichte|Archäologie

Die „verschollene“ Kapelle von Westminster Abbey
Westminster Abbey
So könnte die Ostseite der Westminster Abbey Ende des 15. Jh ausgesehen haben. © Stephen Conlin

Die berühmte Westminster Abbey in London hat eine lange, von unzähligen Umbauten geprägte Geschichte hinter sich. Bisher kaum beachtet war dabei eine kleine Kapelle, die nur 25 Jahre lang existierte und die Ende der 1470er Jahre von Elisabeth Woodville, der Frau des englischen Königs Edward IV., in Auftrag gegeben wurde. Das Spannende daran: Die Kapelle war Sankt Erasmus gewidmet, einem christlichen Märtyrer, dessen Verehrung im England des 15. Jahrhunderts eine besonders Blütezeit erlebte.

Die Londoner Westminster Abbey hat ihre Wurzeln in einem Kloster, dass es schon vor mehr als 1000 Jahren zur Regierungszeit des angelsächsischen Königs Edgar gab. Ab der Eroberung Englands durch die Normannen unter Wilhelm dem Eroberer im Jahr 1066 diente die Abtei als Krönungskirche für alle englischen Könige und als Grabkirche für eine Mehrheit von ihnen. Im Laufe der Zeit wurde die Westminster Abbey allerdings mehrere Male grundlegend um- und ausgebaut.

Die Erasmus-Kapelle

Von einer der kleineren Ausbauten ist heute kaum noch etwas zu sehen: Ende der 1470er Jahre gab Elisabeth Woodville, die Gemahlin des damaligen englischen Königs Edward IV. von York, eine kleine Seitenkapelle in Auftrag. Diese rechtwinklig zur damals bestehenden Lady’s Chapel an der Südseite der Abbey angebaut Kapelle umfasste vermutlich kaum mehr als eine polygonale Apsis mit einem Altar und Fenstern. Doch wie groß diese dem Heiligen Sankt Erasmus gewidmete Kapelle war, wie genau sie aussah und ausgestattet war, ist weitgehend unbekannt. Das liegt unter anderem auch daran, dass diese Seitenkapelle schon 1502 wieder abgerissen wurde, als Henry VII., der Begründer der Tudor-Dynastie, den Bau einer neuen Lady’s Chapel in Auftrag gab.

Die Zeit bis heute überdauert hat nur ein kleiner Teil dieses Bauwerks, der heute über dem Eingang zur 1503 neu errichteten Lady’s Chapel zu sehen ist. Es handelt sich um Teile des alten Altarretabels, dem mit Stuck verzierten und bemalten Aufbau, der einst hinter dem Altar der Erasmus-Kapelle zu sehen war. Das eigentliche Altarbild ist zwar nicht erhalten, die Baumeister integrierten aber seine aus Alabaster gefertigten Baldachine und Rahmen in den Eingang zur neuen Kapelle. „Die Qualität der Handwerksarbeit auf diesen überlebenden Teilen demonstriert, dass eine nähere Erkundung dieser Kapelle überfällig ist“, erklärt John Goodall von Westminster Abbey.

Im Auftrag der Königsgemahlin

Doch bisher wurde dieser nur kurz existierenden Kapelle nur wenig Beachtung geschenkt. „Selbst in der Abteigeschichte wird sie nur am Rande erwähnt“, sagt Goodall. Zusammen mit Matthew Payne, dem Archivar von Westminster Abbey, hat sich der Historiker daher auf Spurensuche in der kurzen Geschichte der Erasmus-Kapelle begeben. Auf Basis historischer Aufzeichnungen konnte sie bestätigten, dass Elisabeth Woodville die Kapelle in Auftrag gab. „Wir wissen nicht sicher, wer die Erasmus-Kapelle entworfen hat, aber höchstwahrscheinlich war es Robert Stowell, der damalige Architekt der Westminster Abbey“, berichten die Forscher. „Er hat seit 1468 an der Abbey gearbeitet und war ab 1471 Obersteinmetz.“

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Wann die Erasmus-Kapelle fertig gebaut war, ist ebenfalls schwer einzugrenzen. Erstmals urkundlich erwähnt wird sie erst im Jahr 1479, als Edward IV. seiner Gemahlin Güter überschrieb, damit sie davon den Unterhalt und regelmäßige Gebete und Messen in der Kapelle bezahlen konnte. „Die Königin wollte auch selbst in der Erasmus-Kapelle beten und wahrscheinlich auch bestattet werden, denn die Zusage des Königs weist an, dass am Grab unserer Gemahlin Gebete gesprochen werden sollen“, berichten die Historiker. Dazu kam es allerdings nie, denn als Edward IV. starb, wurde er auf eigenen Wunsch in der St. George’s Chapel in Windsor begraben und später fand auch seine Gemahlin neben ihm ihre letzte Ruhestätte.

Kult um Sankt Erasmus

Dennoch hat es in der Erasmus-Kapelle trotz ihres nur 25 Jahre langen Bestehens mindestens eine historisch dokumentierte Bestattung gegeben. Belegt ist, dass dort die achtjährige Anne Mowbray beigesetzt wurde, die schon als Kind mit dem Sohn von Edward IV. und Elisabeth Woodville vermählt worden war, dann aber starb. Ausgrabungen im Jahr 2015 haben zudem Reste fünf weiterer Särge im Bereich der ehemaligen Erasmus-Kapelle zutage gefördert, die wahrscheinlich hochrangige Geistliche und Adelige enthielten, wie die Verzierungen nahelegen. Nach Ansicht von Goodall und Payne legen die Nutzung der Kapelle als Grabkapelle für die junge Schwiegertochter des Königs und die Finanzierung von Priestern für ihre „Bespielung“ nahe, dass die Erasmus-Kapelle zumindest beim damaligen Herrscherpaar einen hohen Stellenwert besaß.

Interessant ist dies auch im Hinblick auf den Heiligen, dem diese Seitenkapelle der Westminster Abbey geweiht war: „Die Kapelle spiegelt damit eine neue und schnell wachsende Verehrung für diesen Märtyrer im England des 15. Jahrhunderts wider“, erklären die Historiker. „Auch der König und die Königin sowie hochrangige Mitglieder des Hofes waren in den 1470er Jahren Anhänger dieses Erasmus-Kults.“ Der frühchristliche Bischof galt als Beschützer der Seeleute, der Tuchmacher und der an Koliken und Bauchschmerzen Leidenden, aber auch der Kinder. Das Team vermutet daher, dass die Kinderhochzeit von Elisabeths Sohn Richard mit Anne Mowbray im Jahr 1478 den Anstoß für den Bau der Erasmus-Kapelle gegeben haben könnte.

Quelle: Taylor & Francis Group; Fachartikel: Journal of the British Archaeological Association, doi: 10.1080/00681288.2022.2101237

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