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Die Wirklichkeit kultureller Grenzgänger in Nordamerika war weniger romantisch als in Kinofilmen dargestellt

Geschichte|Archäologie

Die Wirklichkeit kultureller Grenzgänger in Nordamerika war weniger romantisch als in Kinofilmen dargestellt
Die mit den Wölfen tanzten …

Ein Hauch von wilder Romantik umweht sie, die Menschen, die von ihrer Gesellschaft Abschied nahmen und zu einer völlig anderen Kultur übertraten. Gerade zur Weihnachtszeit haben die Geschichten um die, die mit den Wölfen tanzen, die Pocahontas, die Little Big Men wieder Hochkonjunktur. Was aber steckt hinter den kulturellen Überläufern? Marin Trenk, Ethnologe an der Universität Hannover und sein Kollege Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Franfurt / O. sind dieser Frage in den letzten zwei Jahren nachgegangen. Dabei stellten sie fest, dass die europäischen Gesellschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, vor allem die Engländer und Franzosen, die weißen „Wahlindianer“ und die europäisierten Indianer gern in ihr politisches Kalkül einbezogen, sie aber nicht weiter beachteten, sobald sie sich mit ihren kolonialistischen Absichten am Ziel sahen.

Marin Trenk hat in Kanada und den USA eine Spurensuche durch Kleinstadtarchive und Bibliotheken unternommen, hat sich bei heimatgeschichtlichen Vereinen in der Provinz umgehört und autobiografische Aufzeichnungen, Chroniken und Berichte von Missionaren, Reisenden, Siedlern und Pelzhändlern ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass es durchaus Unterschiede zwischen einzelnen europäischen Gesellschaften beim Umgang mit den kulturellen Grenzgängern gab. „Die Franzosen hatten ein wesentliches offeneres Verhältnis zu den Indianern als die Engländer“, meint Trenk. Da die Franzosen mehr am Handel als Landbesitz interessiert gewesen seien, schickten sie junge Männer absichtlich in die indianischen Stämme, damit sie dort Sprache, Sitten und Gebräuche erlernen sollten, um später etwa als Dolmetscher bei den Handlungsbeziehungen von Nutzen zu sein.

Bei den Engländern ist es nach Trenks Erkenntnissen meist zu einem abrupten Wechsel gekommen. Englische Kulturgrenzgänger sind meist zu einem bestimmten Zeitpunkt endgültig aus ihren bisherigen Lebenszusammenhängen ausgeschieden. Manche taten es freiwillig, andere fielen in die Hände von Indianern und wurden – durch irgendeine Fügung – nicht an den Marterpfahl gebunden, sondern von einem Stamm adoptiert oder verheiratet. Diese Menschen wechselten dann ihre Identität und wurden „white Indians“.

Ihren europäischen Zeitgenossen erschienen sie als Abtrünnige und Verräter. „Die Ablehnung der kulturellen Grenzüberschreitung war in Neuengland tief verwurzelt“, meint Trenk. Die puritanischen Siedler hätten den Kontakt mit der Kultur der Indianer als eine Bedrohung der eigenen Identität gesehen. Dadurch, dass die Engländer aber auch an Land interessiert waren, stellten sie für die Ureinwohner auch die unmittelbaren Feinde dar.

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Interessanterweise sind unter den Kulturwechslern nicht wenige Frauen. So lebte etwa Mary Jemison, Tochter eines Geistlichen, 75 Jahre bei den Irokesen. Das Leben dort gefiel ihr besser, weil Frauen mehr Rechte und Freiheiten gehabt hätten als bei den Weißen.

Indianische Überläufer habe es weniger gegeben als europäische, vermutet Trenk. Doch deren Geschichten sind – sieht man von Pocahontas ab, die von einem Engländer geheiratet und mit nach Europa genommen wurde – kaum mit Namen überliefert. Sie dürften in der Gesellschaft der Weißen vermutlich auch nur als Randfiguren vorgekommen sein. Denn die Europäer hätten nicht im Entferntesten daran gedacht, dass sie von den Indianern etwas lernen könnten. Man brauchte sie allenfalls, um irgendwelche kolonialistischen Interessen besser durchsetzen zu können.

Doris Marszk
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