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Eine Kindermumie aus dem Hochadel

Geschichte|Archäologie

Eine Kindermumie aus dem Hochadel
Kindermumie
Die Kindermumie aus der Gruft der Grafen von Starhemberg. © Nerlich et al./ Frontiers in Medicine, CC-by 4.0

Auch Angehörige des europäischen Hochadels lebten früher nicht unbedingt gesund, wie nun die fast 400 Jahre alten mumifizierten Überreste eines Aristokraten-Kleinkinds verraten. Die einer virtuellen Autopsie unterzogene Kindermumie stammt aus der Gruft der Grafen von Starhemberg in Oberösterreich. Das ein bis eineinhalb Jahre alte Kind war zu Lebzeiten zwar wohlgenährt und übergewichtig, zeigte aber deutliche Anzeichen einer Rachitis – wahrscheinlich hervorgerufen durch einen Mangel an Sonnenlicht.

Wenn ein toter Körper mumifiziert, bleiben durch die Austrocknung auch Organe, Gewebe und andere Weichteile erhalten. Dadurch bieten Mumien einzigartige Einblicke in das Leben und Sterben von Menschen aus vergangenen Zeiten. Während jedoch aus Südamerika oder Ägypten viele Mumien bekannt sind, bleiben sie in Europa bisher sehr selten. Nur bei manchen in einer Gruft oder Krypta bestatteten Toten waren die Bedingungen trocken genug, um eine Mumifizierung zu erlauben.

Rätsel um Holz-Kindersarg in der Adelsgruft

Eine ganz besondere Rarität haben nun Andreas Nerlich von der Klinik München-Bogenhausen und seine Kollegen untersucht: die Mumie eines Kindes aus dem europäischen Hochadel. Sie stammt aus der Gruft der Grafen von Starhemberg, einem der ältesten Adelsgeschlechter in Österreich. Die Stammeslinie dieser Familie reicht bis ins elfte Jahrhundert zurück, seit 1212 residierte sie in dem rund 15 Kilometer von der Stadt Linz entfernten Schloss Wildberg. Im nahen Ort Hellmonsödt lag ab 1499 die Familiengruft der von Starhembergs, in der vor allem die Grafen, ihre erstgeborenen Nachkommen und in seltenen Fällen auch ihre Ehefrauen zur letzten Ruhe gebettet wurden.

„Die meisten dieser Toten wurden in prachtvollen Metallsärgen bestattet, auf denen auch die Namen der Verstorbenen standen“, berichten Nerlich und seine Kollegen. Umso ungewöhnlicher ist ein kleiner hölzerner Kindersarg, der ohne Aufschrift oder sonstige Hinweise auf seinen Inhalt in der Gruft stand. Um mehr über das darin bestattete Kind zu erfahren, haben Nerlich und sein Team nun erstmals den Sarg geöffnet und festgestellt, dass das Kind darin mumifiziert und damit sehr gut erhalten war. Sie unterzogen den kleinen Leichnam darauf hin einer virtuellen Autopsie mittels Computertomografie und entnahmen Gewebeproben, um Alter und Gewebezustand des Kindes analysieren zu können.

Erstgeborener Sohn eines Grafen

Die erste Frage war, um wen es sich bei diesem Kind handelte. Trotz des schmucklosen Holzsargs war der kleine Leichnam in einen fein gewebten, kostbaren Seidenmantel gehüllt, was auf eine hohe Stellung hindeutet, wie die Forscher berichten. Kombiniert mit der Tatsache, dass das Kind in der Familiengruft der Grafen von Starhemberg bestattet worden war, lag daher der Schluss nahe, dass es sich um einen Angehörigen dieser hochadeligen Familie handeln musste – aber um welchen? Radiokarbondatierungen der Gewebeproben ergaben, dass das Kind zwischen 1456 und 1635 gestorben sein muss. Weil die Gruft der Starhembergs Anfang des 17. Jahrhunderts umgebaut wurde, vermuteten Nerlich und sein Team einen Todeszeitpunkt nach 1600.

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Um mehr Klarheit über die Identität des Kindes zu schaffen, suchten die Wissenschaftler im Stammbaum der Starhembergs nach Hinweisen auf jung verstorbene Familienmitglieder und fanden 20 Einträge. Davon waren aber nur drei Erstgeborene – und kamen damit für eine Bestattung in der Gruft infrage. Von diesen waren zwei zu früh gestorben, sodass als wahrscheinlichster Kandidat der 1625 geborene Reichard Wilhelm von Starhemberg übrig blieb. „Unseren Daten nach war dieses Kind der erste Sohn des Grafen und das erste nach Umbau der Gruft gestorbene Kind“, erklärt Nerlich. Der kleine Leichnam wurde neben dem Sarkophag seines Großvaters Reichard von Starhemberg bestattet.

Rachitis aus Mangel an Sonnenlicht

Als Nächstes werteten die Forscher die Ergebnisse ihrer virtuellen Autopsie aus. Die CT-Aufnahmen enthüllten, dass es sich bei dem verstorbenen Grafensöhnchen um ein 53 Zentimeter großes, ein bis eineinhalb Jahre altes Kleinkind handelte. Wie anhand der historischen Aufzeichnungen erwartet, war der Säugling ein Junge. Darüber hinaus zeigte die Mumie dieses Kindes aber einige Anzeichen für krankhafte Veränderungen. „Die erste war der Beleg für Übergewicht bei dem Kind, was sich an der Dicke der Fettschicht unter der Haut zeigte“, berichten Nerlich und seine Kollegen. Auch deutliche Speckfalten an den stämmigen Beinchen des Kindes zeugen von seiner pummeligen Statur. Gut gefüttert wurde der kleine Grafensohn demnach – eher zu gut.

Deutlich schwerwiegender war eine Erkrankung, die sich vor allem in charakteristischen Deformierungen der Rippen und des Brustkorbs zeigte: Der kleine Junge litt offenbar an einer Rachitis. Diese Krankheit ist eine Folge von einem chronischen Mangel an Vitamin D, wie er durch Mangelernährung, aber auch durch zu wenig Sonnenlicht entstehen kann. Denn dieses wird benötigt, um Vorstufen dieses für die Knochen wichtigen Vitamins in der Haut in die biologisch aktive Form umzuwandeln. „Weil dieses Kleinkind eindeutig nicht mangelernährt war, müssen seine rachitischen Knochenläsionen von einer anderen Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels herrühren“, so Nerlich und seine Kollegen.

Als naheliegendste Erklärung sehen die Forscher dabei den Mangel an Sonnenlicht. „In früheren Zeiten mieden sozial hochgestellte Personen die Sonnenstrahlung und die damit verbundenen Bräunung der Haut“, erklären sie. „Von Aristokraten erwartete man eine weiße, blasse Haut, Arbeiter dagegen waren sonnengebräunt.“ Für den kleinen Grafensohn jedoch war der Schutz vor der Sonne folgenreich – und möglicherweise sogar indirekt auch seine Todesursache. Denn wie Nerlich und sein Team erklären, geht die Rachitis oft auch mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen einher. Die CT-Aufnahmen von der Lunge des Säuglings deuten darauf hin, dass er zum Zeitpunkt seines Todes eine schwere Lungenentzündung hatte und möglicherweise auch an ihr starb.

Quelle: Frontiers; Fachartikel: Frontiers in Medicine, doi: 10.3389/fmed.2022.979670

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