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Einmal Verbrecher – nicht immer Verbrecher

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Einmal Verbrecher – nicht immer Verbrecher
Wer als Jugendlicher straffällig wird und ins Jugendgefängnis muss, startet damit noch nicht automatisch eine Karriere als Berufsverbrecher. Zwei Soziologen vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen sind jetzt in einem Forschungsprojekt der Frage nachgegangen, wie die Lebensmuster von jungen Straftätern etwa bis zu ihrem 40. Lebensjahr aussehen. Ihre Erkenntnis: Die meisten jugendlichen Straftäter sind spätestens mit 30 Jahren wieder resozialisiert. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts haben Wolfgang Stelly und Jürgen Thomas auch als Buch unter dem Titel „Einmal Verbrecher – immer Verbrecher?“ veröffentlicht.

Den typischen Verbrecher gibt es nicht, die Lebensläufe sind unterschiedlich, erklärt Wolfgang Stelly. Nur eine kleine Minderheit unter straffällig gewordenen Jugendlichen werde tatsächlich zu so genannten Karrieretätern. In den meisten der von den beiden beiden Soziologen untersuchten Fällen handelte es sich um so genannte Straßenkriminalität: räuberische Erpressung, Betrug, Diebstahl, Hehlerei und Körperverletzung.

Für ihr Forschungsprojekt nutzten Stelly und Thomas eine bereits 1965 begonnene Langzeitstudie an 200 jungen Straftätern und 200 bis dahin nicht straffällig gewordenen Männern als Kontrollgruppe. Außerdem befragten die Forscher Eltern, Ehefrauen, ehemalige Lehrer, und werteten alle fünf Jahre Daten des Bundeszentralregisters aus. „Im Alter von 45 Jahren hatten wir immerhin noch von 121 ehemaligen Straftätern Auskunft über ihren Lebenslauf“, sagt Stelly.
Bisherige Studien über jugendliche Straftäter fragten eher nach Rückfallquoten. Für die Tübinger Forscher hingegen, war es „erstaunlich, dass viele mit den kriminellen Taten wieder aufhören, auch jugendliche Mehrfachtäter. Die Karriere vom jungen Straftäter etwa zum Facharbeiter ist gar nicht so selten.“ Warum ein Jugendlicher schließlich ablässt von seinem kriminellen Tun, darüber gibt es außer dem „Aging-out“, dem Herauswachsen aus jugendlicher Leichtsinnigkeit, bisher kaum Theorien. Die Tübinger Soziologen haben zwei Hauptfaktoren gefunden: „Zum einen die Integration des ehemaligen Delinquenten in den Arbeitsprozess und die positive Selbstbestätigung, die man dort erfährt, zum zweiten die Einbindung in einen familiären Zusammenhang, die Verhaltenskontrolle, aber auch das feste Werte- und Normensystem, das damit verbunden ist“, so Stelly.

Das Gefängnis als Wiedereingliederungsfaktor schätzen die Autoren der Studie eher gering ein. Allerdings würden den Jugendlichen bei einer Gefängnisstrafe manchmal die enormen Kosten bewusst, die Kriminalität mit sich bringt, so Jürgen Thomas. Wenn die jugendlichen Straftäter sich mit ihren gleichaltrigen nicht straffällig gewordenen Freunden und Bekannten vergleichen, könnte ihnen bewusst werden, dass die schon materiellen Wohlstand wie Auto und Wohnung haben. „Selbst haben sie hohe Schulden, müssen aus Geldmangel eventuell wieder zu den Eltern ziehen, vielleicht ist auch noch die Freundin weggelaufen, während sie im Knast saßen. Das kann zu Veränderungen bewegen. Der Ausstieg aus der Kriminalität ist häufig Folge einer Kosten-Nutzen-Analyse“, sagt Stelly.

Schwierig sei, so die Autoren, die Phase der Wiedereingliederung selbst. Bewährungshelfer leisteten zwar gute Arbeit, könnten sich aber bei 70 bis 80 zu betreuenden Jugendlichen nur um die größten Problemfälle kümmern. „Kriminelle oder ehemals kriminelle Jugendliche brauchen mehr Unterstützung als andere. Sie sind nicht so starke Persönlichkeiten und leben oft sehr impulsiv. Dann gibt es ein ‚Gerechtigkeitsproblem‘ gegenüber den gleichaltrigen Nicht-Kriminellen“, erklärt Stelly. Die Gesellschaft habe auch in der großen Mehrheit nicht viel übrig für die Unterstützung krimineller Jugendlicher. „Das öffentliche Bild vom Kriminellen ist sehr stark durch pathologische Täter bestimmt wie zum Beispiel Kindermörder“, sagt der Soziologe. Dabei sollte man sich doch einmal überlegen, was eigentlich alles kriminell oder was normal sei. „Zum Beispiel der Chefarzt, der sich nach Alkoholgenuss ans Steuer setzt und vielleicht auch Steuern hinterzieht“, verdeutlicht Stelly das Problem. Die Ziele und Wünsche von kriminellen Jugendlichen seien eigentlich gar nicht weit von den Vorstellungen Nicht-Krimineller entfernt. „Zum Teil haben sie eine fast spießige Vorstellung vom Leben“, weiß Thomas. „Wie die meisten wollen sie eine Frau, Kinder, ein teures Auto und einen schönen Urlaub.“

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