Bereits im Mutterleib konkurrieren Zwillinge um Ressourcen, und dieser Kampf setzt sich fort, wenn die Geschwister das Licht erblickt haben. Zwillingseltern können bestätigen, dass es nahezu unmöglich ist, den Bedürfnissen beider Kinder immer zeitgleich gerecht zu werden. Das ist einer der Gründe dafür, dass Zwillinge gegenüber Einlingen einen leichten Entwicklungsrückstand aufweisen und im Vorschulalter in Intelligenztests etwas schlechter abschneiden.
Doch emotional bringt die enge Bindung an den Bruder oder die Schwester schon früh einen Vorteil mit sich: „Sie reagieren aufeinander und beruhigen sich zum Teil gegenseitig“, erklärt die Psychologin Meike Watzlawik, die sich an der TU Braunschweig mit der Entwicklung von Zwillingen befasst hat. Mit Tasten, Fühlen, in den Mund nehmen, Beißen, Zerren oder Stoßen baut sich auch eine körperliche Nähe auf, die bei manchen Zwillingspaaren sogar ein ganzes Leben lang anhalten kann. Der Extremfall sind sicherlich die beiden britischen Schwestern Alice und Nellie Clarke, die 100 Jahre alt wurden, nie heirateten und angeblich keine einzige Nacht alleine verbrachten.
Wie viel Nähe oder wie viel Abstand zwischen Zwillingspaaren gut und sinnvoll ist, diese Frage stellt sich spätestens im Kindergarten und in der Schule. „Auseinanderreißen oder in einer Klasse belassen?“, fragen sich Eltern und Pädagogen hier gleichermaßen. Drei Studien haben inzwischen die Folgen dieser oft schmerzhaften Trennungen untersucht und positive Effekte nur bei Zwillingen in höheren Klassen entdeckt. Ließ man die beiden getrennte Wege gehen, waren die Sprachleistungen besser, als wenn sie gemeinsam unterrichtet wurden. Bei kleineren Kindern, besonders eineiigen Zwillingen, verschlechterten sich die Schulleistungen hingegen wohl „weil den Kindern durch die Trennung die gewohnte Sicherheit genommen wird“, erklärt Watzlawik in „bild der wissenschaft“.
Die enge Bindung zum Bruder oder zur Schwester hilft vielen Zwillingen auch, sicher durch die Pubertät zu kommen. Für manche ist diese Zeit jedoch auch von Konflikten geprägt, besonders bei Geschwisterpaaren verschiedenen Geschlechts gilt es doch, sich nicht nur von den Eltern abzunabeln und einen eigenen Platz im Leben zu finden, sondern auch von der Zwillingsschwester oder dem Zwillingsbruder.
„In der Pubertät wollte man nicht nur anders sein als die Eltern, sondern auch anders als der Bruder“, bestätigt Klaus-Peter Waldenberger, heute 48 Jahre alt und Bürgermeister der Stadt Lauffen am Neckar. Dennoch bleib er mit seinem Zwillingsbruder Rolf eng verbunden und pflegt weiterhin eine Rollenverteilung, wie sie viele Zwillingspaare leben. Es gibt einen „Außenminister“, der die Kontakte nach außen pflegt, und einen „Innenminister“, der im Hintergrund steht. Diese Verteilung hat die Pädagogin Rita Haberkorn, die seit fast drei Jahrzehnten Zwillingseltern berät, bei vielen Zwillingspaaren als besonders stabile Konstellation beobachtet. Bei den Gebrüdern Waldenberger sah das dann so aus: Klaus-Peter gründete und leitete Institutionen und Vereine, Rolf erledigte die Basisarbeit. Wer in dieser Konstellation welche Rolle übernimmt, hängt keineswegs von der Reihenfolge der Geburt ab, haben Auswertungen gezeigt.
Wie die weiteren Lebensläufe von Zwillingspaaren ablaufen, ist zwar systematisch noch nicht umfassend untersucht, doch einige Aussagen können Forscher dennoch treffen: So ist bekannt, dass Zwillinge insgesamt etwas später und seltener heiraten als Einlinge. Auch finden sie den jeweiligen Partner des anderen nicht überdurchschnittlich attraktiv die Gefahr dürfte also gering sein, dass sich Zwillinge in denselben Menschen verlieben und dann in Konkurrenz miteinander treten.
Auch das Thema Tod haben Forscher nicht ausgeklammert: So ist Suizid bei Zwillingen statistisch deutlich seltener als bei Einlingen, zeigen Daten aus Dänemark. Keine Hinweise gibt es hingegen, nach denen der Tod des Zwillingspartners schlechter verkraftet wird als der Tod eines anderen nahen Angehörigen. Diese dennoch leidvolle Erfahrung hat auch der Lauffener Bürgermeister gemacht, der vor 13 Jahren seinen Bruder bei einem Sportunfall verlor. „Er fehlt mir sehr“, erzählt Klaus-Peter Waldenberger. „Irgendwie fehlt er aber auch nicht. Er ist ja noch da, in meiner Person. Als Double sozusagen.“