Alte Farbenpracht ans Licht gebracht: Deutsche und ägyptische Archäologen haben im Tempel von Esna ein spektakuläres Deckengemälde freigelegt, das unter einer Rußschicht verborgen lag. Es besteht aus insgesamt 46 Darstellungen von mythischen Wesen mit ausgebreiteten Geierflügeln, die bislang im Detail unbekannt waren. Den Experten zufolge symbolisieren sie die Kronengöttinnen Nechbet und Wadje und stammen aus der letzten Epoche der altägyptischen Geschichte. Weitere Untersuchungen sollen nun die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Inschriften und Darstellungen im Inneren des Tempels klären.
Er ist bereits berühmt für seine besonders farbenfroh erhaltenen Dekorationen und reichen Inschriften: Während in anderen Überresten altägyptischer Gebäude die Darstellungen meist verblasst oder vollständig verschwunden sind, haben sie im Tempel von Esna die Jahrhunderte überdauert. Denn sie schlummerten dort unter einer teils dicken Schmutz- und Rußschicht, die sie vor dem Zerfall bewahrte. Der Tempel von Esna befindet sich etwa 55 Kilometer südlich von Luxor mitten in der gleichnamigen Stadt. Erhalten ist allerdings nur noch die Vorhalle des Heiligtums, die dem eigentlichen Tempelgebäude des widderköpfigen Gottes Chnum vorangestellt war.
Von Schmutz und Ruß verdeckt – und geschützt

Dieser sogenannte Pronaos ist 37 Meter lang, 20 Meter breit und sein 15 Meter hohes Dach wird von 24 reich dekorierten Säulen getragen. Während die verschwundenen Teile des Tempels aus ptolemäischer Zeit stammten, wurde diese Vorhalle interessanterweise erst vor rund 2000 Jahren errichtet. Damals war das Land am Nil bereits eine römische Provinz. Die Ägypter führten ihre uralten Kulte in dieser Zeit allerdings fort. Dabei stellten sie die römischen Kaiser als Pharaonen dar – so auch auf der Außenfassade des Esna-Tempels.
Dass die Vorhalle so erstaunlich gut erhalten geblieben ist, hat wohl mit ihrer Lage mitten im Stadtzentrum von Esna zu tun: Der Bau verwuchs dort mit anderen Gebäuden und die Räume wurden weiterhin genutzt. So entstand auch die konservierende Schmutz- und Rußschicht auf den Abbildungen. Den Schatz erkannte allerdings erst der französische Ägyptologe Serge Sauneron. „Er hat ab den 1950er Jahren den Tempel von Esna und die damals sichtbaren Bildwerke systematisch dokumentiert“, sagt Daniel von Recklinghausen. Seit 2018 arbeitet er gemeinsam mit seinen Kollegen von der Universität Tübingen sowie des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Altertümer daran, die Reliefs, Malereien und Inschriften des Tempels weiter freizulegen und die ursprünglichen Farben wieder sichtbar zu machen. Dabei sind die Ägyptologen bereits auf interessante neue Entdeckungen gestoßen.

Gekrönte Symbol-Gestalten
Nun präsentiert das Team ein weiteres Kunstwerk, das unter dem Ruß schlummerte und der Fachwelt bislang weitgehend verborgen geblieben ist. Diese Serie farbenprächtiger Darstellungen ziert den mittleren Deckenabschnitt des Tempels und grenzt an den mit Inschriften versehenen nördlichen Querbalken. Wie die Ägyptologen erklären, handelt es sich um insgesamt 46 reliefartig ausgeführte Abbildungen der Göttinnen Nechbet und Wadjet. Dargestellt werden sie als Geier mit ausgebreiteten Schwingen. Den Experten zufolge handelt es sich bei beiden mythologischen Gestalten um sogenannte Kronengöttinnen, die Ober- beziehungsweise Unterägypten repräsentierten: Während Nechbet einen Geierkopf und die oberägyptische Krone trägt, ist Wadjet an der unterägyptischen Krone erkennbar, die auf dem Kopf einer Kobra sitzt.
Bei dem eindrucksvollen Deckengemälde handelt sich somit nun um ein weiteres Element, das die Bedeutung des Esna-Tempels verdeutlicht: „Das Bildprogramm des Tempels ist hinsichtlich des Reichtums der Darstellungen und des Erhaltungszustands der Farben einzigartig“, so von Recklinghausen. Wie die Universität Tübingen berichtet, konnten mittlerweile mehr als die Hälfte der Decken und acht der 18 Säulen gesäubert, konserviert und dokumentiert werden. „Damit lassen sich die Dekorationselemente zueinander in Beziehung setzen“, sagt der Tübinger Ägyptologe Christian Leitz. Der Tübinger Ägyptologe plant nun eine Gesamtübersetzung der Esna-Inschriften und beschäftigt sich zudem mit den Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Inschriften und Darstellungen im Inneren des Tempels.
Quelle: Universität Tübingen