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gelage mit geistern

Geschichte|Archäologie

gelage mit geistern
Zwischen Ägypten und dem Hethiterreich blühte in der Mitte der Bronzezeit ein Kleinstaat namens Qatna. Ein riesiger Königspalast und Spuren skurriler Feste mit Toten werfen Licht auf das alte Syrien.

Die antiken Herrschaften lebten auf großem Fuß, in einer pompösen Immobilie. Die Mauern waren fünf Meter dick, die Fundamente reichten zehn Meter tief in den Boden. Das Haus maß mindestens 150 mal 80 Meter. Die Zahl der Räume war immens, die Ausmaße der Festsäle gigantisch. Man heizte mit fahrbaren Öfen, hatte sein eigenes Wasserwerk und leistete sich exotische Kunst an den Wänden. Alles war eine Nummer größer und feiner als anderswo. Idanda, Qatnas letzter König, zelebrierte um 1400 v.Chr. seinen Status in dieser ererbten Antiquität. Doch die wirklich ruhmreiche Vergangenheit lag schon 400 Jahre zurück. Jetzt war die politische Lage im Vorderen Orient labil. Die Hethiter aus Anatolien und die Ägypter rangen um die Vorherrschaft in Syrien, Assur und Mitanni rangelten mit.

Um 1340 v.Chr. kam das Ende für Qatna: Die bronzezeitliche Perle Syriens wurde zerstört, das prachtvolle Königreich ging unter und geriet für 3330 Jahre in Vergessenheit. Heute sieht das Areal wie eine Landschaft aus lauter Gewächshäusern aus: Ausgedehnte Wellblechdächer über lehmigem Boden schützen eine der spannendsten archäologischen Fundstätten der letzten Jahre. Ein Tontafel-Archiv kam zum Vorschein, das dem Grabungsphilologen Kopfschmerzen bereitet. Tausende Fragmente ließen sich zu einer Wandmalerei minoischer Art zusammenpuzzeln – mehr als 1000 Kilometer von Kreta entfernt, dem Zentrum der minoischen Kultur. Und es wurde eine unberaubte Königsgruft entdeckt, die bizarre Details offenbart.

DIE GRÖSSTE ANTIKE STADT IN SYRIEN

Qatna heißt heute Tell Mishrife und liegt 200 Kilometer nördlich von Damaskus. Der quadratische Ruinenhügel hat eine Kantenlänge von einem Kilometer. Mit diesen 100 Hektar übertrifft Qatna alle anderen antiken Stadtanlagen des Landes. Ein bis zu 20 Meter hoher Erdwall umgibt sie noch heute. Die archäologischen Arbeiten der letzten Jahre brachten Licht in die bislang kaum bekannte Geschichte Syriens im 2. Jahrtausend v.Chr. Der „Alte Orient“ wird landläufig mit den Reichen Babylon und Assur, den Ägyptern und Hethitern sowie den Königreichen von Mari und Ebla gleichgesetzt. Die riesige Region dazwischen wurde vernachlässigt – auch wissenschaftlich.

„Syrien wurde lange Zeit unterbewertet“, sagt Peter Pfälzner. „ Man sah es immer nur als Durchgangsstaat an. Das hat sich jetzt geändert.“ Der Archäologe von der Universität Tübingen gräbt den Königspalast von Qatna aus, zusammen mit seinem syrischen Kollegen Michel al-Maqdissi und großzügiger Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das Gesamtvorhaben ist ein internationales Projekt unter Federführung der syrischen Antikendirektion. Pfälzners syrische und italienische Kollegen bearbeiten innerhalb der Großgrabung jeweils eigene Projekte. Sie legten in den letzten Kampagnen einen Unterstadtpalast, ein Verwaltungszentrum sowie eine Handwerkersiedlung frei und erforschten außerdem die Umgebung der antiken Großstadt (siehe Kasten „Kooperation für Qatna“).

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EINFLUSSREICH UND WOHLHABEND

„Syrien spielte sehr wohl eine politische Rolle und hatte eine eigenständige Kultur gebildet“, folgert Pfälzner aus den Ergebnissen. Qatna ist dafür das Paradebeispiel, allerdings mit vielen Rätseln. Aus Stadtstaaten wie diesem wurden – wenn geschickte Herrscher agierten und natürliche Ressourcen und Handelswege vorhanden waren – kleinere und größere Territorialstaaten. Qatna gehörte neben Halab, dem heutigen Aleppo, zu den größeren. Die beiden wurden zu den beherrschenden politischen Akteuren Syriens, auf die auswärtige Mächte wie Ägypten, Babylon oder die Hethiter kaum Einfluss hatten. Das galt für die Blütezeit Qatnas in der mittleren Bronzezeit, die von etwa 1800 bis 1500 v.Chr. dauerte. Zu dieser Zeit erstreckte sich das Reich von Palästina über den Libanon bis an die Tore von Aleppo. Die Stadt lag – gewinnbringend – am Kreuzungspunkt der wichtigsten West-Ost-Handelsroute vom Mittelmeer nach Mesopotamien und der Nord-Süd-Trasse von Anatolien in den arabischen Raum. In den keilschriftlichen Archivtexten des mächtigen Königreichs Mari taucht Qatna immer wieder als wichtiger Verbündeter und Handelspartner auf. Hammurabi aus Babylon korrespondierte mit dem König von Qatna, und eine Prinzessin aus Qatna wurde mit dem König von Mari verheiratet. Es ist klar: Dieser Stadtstaat war ein politisches Schwergewicht.

Der PALAST über der Stadt

Dazu passte der königliche Palast mit seinen nahezu 18 000 Quadratmetern: Auf einem Felsplateau gelegen, durch eine künstliche Terrasse noch ein Stück erhoben, thronte er weithin sichtbar 20 Meter über der Stadt. Hier stellte jemand Macht, Reichtum und Bedeutung zur Schau. In der Spätbronzezeit, von etwa 1500 bis 1200 v.Chr., dominierten in wechselnden Rollen die bekannteren Akteure die Szenerie des Vorderen Orients: Ägypter, Babylonier, Hethiter und die Reiche von Mitanni und Assur.

Qatna verlor seine politische Selbstständigkeit und war in dieser zweiten Phase seiner Existenz vermutlich Vasall zunächst des Mitanni- und dann des Hethiterreichs. Unberührt von diesen Verschiebungen war die kulturelle und künstlerische Entwicklung des syrischen Stadtstaates weiterhin quicklebendig, davon ist Pfälzner überzeugt. Aber Idanda, Qatnas letzter König, lavierte anscheinend etwas zu viel zwischen den Mächten. 1340 v.Chr. wurde die Stadt zerstört und allmählich aufgegeben.

In diesem halben Jahrtausend Qatna bewegt sich Peter Pfälzner, wenn er im Sommer die Wellblechabdeckungen wegräumt und in das Lehmziegelgewirr des königlichen Palastes steigt. Bis Anfang Oktober fahndet er mit seiner Mannschaft weiter nach den Geheimnissen des Herrscherhauses. Unterstützt wird er dabei von rund 80 Helfern aus dem benachbarten Dorf. Sie – oder ihre Eltern – hatten noch vor einigen Jahren auf den antiken Ruinen gewohnt. 1982 zog das gesamte Dorf in eine Neubausiedlung, damit der geschichtsträchtige Siedlungshügel für die Forschung frei wurde. Noch heute kommen die Alten auf den Tell Mishrife, um zu fragen, was es Neues gibt. In nahezu jeder Grabungskampagne kommt eine Überraschung hinzu: Im letzten Jahr etwa wiesen Pfälzner und Kollegen im Nordwesten des Palastes mittelbronzezeitliche Häuser mit drei Stockwerken nach.

Der Königspalast Qatnas stammt aus der Zeit der größten Machtentfaltung. Alles an ihm ist mittelbronzezeitlich – nur die Benutzung ist spätbronzezeitlich, weiß Pfälzner. Der Prunkbau war nicht durch stetigen Anbau gewachsen, sondern vor etwa 3800 Jahren nach einem festen Plan „am Stück“, wenn auch über viele Jahre, errichtet worden. Die Größe seiner drei Repräsentationsräume – Audienz-, Thron- und Festsaal – übertrifft alles, was aus dieser Zeit ansonsten bekannt ist. 36 mal 36 Meter maß der Audienzsaal. Die damals unüberbrückbare Spannweite wurde für die Überdachung durch vier gewaltige Trägersäulen in der Mitte verkleinert. Die Fundamente für diese Holzsäulen waren 5 Meter tief, mit einem Durchmesser von 3,5 Metern. Der schmalere Thronsaal stellte technisch kein Problem dar. Aber wie die bronzezeitlichen Baumeister die 20 Meter des daneben liegenden Festsaals für die Dachkonstruktion überbrückt haben, kann noch niemand schlüssig erklären. Das einzige und deshalb sündhaft teure Material für derlei Konstruktionen lieferten die hoch wachsenden Zedern aus dem Libanon und dem syrischen Küstengebirge mit ihrem überaus harten Holz. Der König von Qatna konnte sich diesen Luxus leisten – das Land gehörte ihm. Aber auch diese Stämme waren nicht länger als 12 bis 14 Meter.

ELEFANTENSCHENKEL IM SCHACHT

In der als „Raum DD“ katalogisierten Kammer stießen die Wissenschaftler auf eine „völlig obskure Situation“, sagt Pfälzner: Zu dem schachtartigen Raum gibt es keinen Zugang und keinerlei Anzeichen einer Treppe. Die Menschen mussten vor 3400 Jahren mit einer Leiter hinabsteigen, um auf dem Boden den Knochen eines Elefantenschenkels zu deponieren – wie die Archäologen heute. Der Ausgräber vermutet leicht ironisch „ irgendwas Kultisches“ – wie Archäologen es nun mal tun, wenn sie einen Befund nicht erklären können. Vielleicht bringt eine kleine verschüttete Maueröffnung am Boden hinter dem Knochen in dieser Grabungssaison Aufschluss.

Hinter dem Bauplan-Kürzel „U“ verbirgt sich das Wasserwerk des Königspalastes – ein 12,5 mal 11 Meter breites Brunnenhaus. Die Basalttreppe entlang der Lehmziegelwände reicht vermutlich bis 20 Meter unter den Palastboden. Noch sind die Ausgräber nicht unten angekommen. In 17 Meter Tiefe stießen sie auf gut erhaltene Holzstücke von Span- bis Balkengröße, die sich in dem feuchten Klima des Brunnens erhalten haben. Sie sollen bald Auskunft geben über das exakte Alter des Baus und über die Zimmermannstechnik der Bronzezeit. Weitere Sparren harren ihrer Bergung. Dafür müssen die Archäologen eine drei Meter dicke Sandschicht herausschaufeln, die sie am Ende der letzten Saison zum Schutz in den Brunnen gekippt haben.

Das Brunnenhaus, der Schacht, die Säle und die zahlreichen anderen privaten und öffentlichen Räume waren alle schon in der ursprünglichen Bauplanung im 18. Jahrhundert v.Chr. vorgesehen – ebenso wie jene Struktur, die die Archäologen am Ende der Grabungskampagne 2002 nervös machte: In einer Ecke des Festsaals stießen sie auf einen absteigenden Korridor ins Nirgendwo. Da wird jeder Archäologe zum Indiana Jones. Nach hektischen Bemühungen um eine verlängerte Grabungsgenehmigung, zusätzliche Gelder, Vorlesungsvertretung für den Archäologieprofessor in Tübingen und Schutzvorrichtungen gegen den aufkommenden Regen schaufelten die Ausgräber drei Monate weiter – bis zwei Tage vor Weihnachten. Dann war die Sensation perfekt: Sie hatten am Ende des 40-Meter-Gangs in die Unterwelt eine in den Fels geschlagene, nicht ausgeraubte Königsgruft aus dem 14. Jahrhundert v.Chr. gefunden.

MEHR RUMPELKAMMER ALS GRUFT

Die bei der Eroberung zusammengestürzten Palastmauern hatten den Zugang komplett verschüttet und so die Grablege, 12 Meter unter dem Palast, in einen 3300 Jahre dauernden Dornröschenschlaf gesenkt. Die unterirdische Beerdigungsstätte, Hypogäum genannt, protzte nicht wie das altägyptische Tutanchamun-Grab mit Gold en masse, ist aber genauso alt und strotzt vor Informationen en detail. Die Gruft wirkte allerdings auf den ersten Blick wie eine Rumpelkammer. An eine acht mal acht Meter messende Hauptkammer schlossen sich drei weitere jeweils halb so große Räume an. Im Hauptraum und in einem Nebengelass stand je ein offener steinerner Sarkophag. In einem lagen Schmuck, durcheinandergewürfelte Knochen und der einzige Schädel der Gruft. Die Kammer 2 war ein unordentliches Beinhaus. Hier lagen eine Menge Knochen herum, die zu mindestens 21 Personen gehörten. „Die Knochen waren nicht säuberlich aufgeschichtet. Das wirkte mehr, als ob sie sorglos hineingeworfen worden wären“, meint Pfälzner. Wie sich herausstellte, waren Knochen von Schafen, Ziegen, Gazellen, Schildkröten und Vögeln darunter. Pietät war offenbar nicht Sache der Gruftbesucher.

Insgesamt bargen die Ausgräber 2064 Objekte aus dem Hypogäum, davon 1008 meist sehr kleine goldene Stücke. Darunter waren eine Schale, eine Hand, Köcherbeschläge und ein janusköpfiges Entenrelief. Schmuck, Bronzegefäße, rund 250 Keramikteller und -schalen, ein Löwenkopf aus baltischem Bernstein, gebrochene Siegelabdrücke, Pfeil- und Lanzenspitzen sowie ägyptische Steingefäße komplettierten den Fund. In der westlichen Kammer 4 stand ein Steintisch mit fünf Zentimeter dicken undefinierbaren Ablagerungen. Ein paar Wirbelknochen waren zu erkennen, und eine Schmuckkette hing seit 3300 Jahren über der Tischkante.

Eine Bestattung lag nahe. Aber Genaueres erkannten die Archäologen erst nach einer interdisziplinären Untersuchung, bei der jeder Kubikzentimeter der Ablagerungen Krümel für Krümel mikroskopisch untersucht wurde. Fazit: Auf der Steinbank hatte der Leichnam einer über 50-jährigen Frau in einem Holzkasten gelegen. Sie hatte eine Hüftkette aus Golddraht mit verschiedenen Perlen getragen und war mit vielen Stofflagen bedeckt worden.

Die Textilien haben es Pfälzner besonders angetan. „Es ist zwar vieles auseinandergefallen, aber es gibt miteinander verbackene Teile, in denen man bis zu 18 Stofflagen übereinander nachweisen kann. Das ist quasi mineralisierter Stoff, bei dem man noch einzelne Fäden unterscheiden und die feine Webtechnik erkennen kann.“ Vor allem aber: Die Experten konnten nachweisen, dass es sich um purpurgefärbte Stoffe handelt – für die Verstorbene war nichts zu teuer. Kollagenveränderungen an den Knochen legen nahe, dass der bekleidete Körper der Toten vor der Aufbahrung in der Gruft bei 200 bis 250 Grad im Freien gedörrt worden war – um Geruchsbelästigungen in der unterirdischen Grablege zu vermeiden, vermutet Pfälzner. Nach Auswertung aller Funde zeichnet er ein lebendiges Bild von altsyrischen Totenfeiern: Die neben dem offiziellen Götterkult übliche Ahnenverehrung geht von einem Weiterleben nach dem Tod aus – nicht in physischer Form wie bei den Ägyptern, sondern als Totengeist, der in der Unterwelt existierte, aber zugleich im Diesseits agierte.

Dieser Geist musste ein- oder zweimal im Monat mit Nahrung versorgt werden, um sein Wohlwollen zu erhalten. Dann konnte man die Toten auch anrufen, befragen und um Hilfe bitten. Die Funde in der Palastgruft von Qatna belegen, dass man den Totengeistern nicht einfach Nahrung hinstellte, sondern gemeinsam mit ihnen speiste: Steinbänke dienten als Sitze, die zahllosen Knochen darunter deuten auf gehaltvolle Mahlzeiten hin, ebenso wie die vielen gebrochenen Gefäßverschlüsse. Zwei kleine Tafeln lassen vermuten, dass dabei – neben Bier und Wein – auch Milch floss. Einiges von diesen Riten ist aus den Textquellen bekannt, aber, so Pfälzner, „jetzt haben wir erstmals das archäologische Material dazu“.

MINOISCHE MALEREIEN AN DEN WÄNDEN

Interpretation ist auch bei einer anderen Sensation gefragt: Aus dem ins Brunnenhaus gestürzten Bauschutt klaubten die Wissenschaftler 3000 Fragmente von Wandmalereien. Einige Abschnitte konnten rekonstruiert werden. Das Ergebnis verblüfft: Es sind minoische Bilder, wie man sie von Kreta oder Santorin kennt – unter anderem ein einst 3 Meter langer und 30 Zentimeter hoher Fries mit einer lebhaften Landschaft am Wasser. Die Archäologin Constanze von Rüden hat sich in ihrer Doktorarbeit damit befasst. Sie findet „keine Parallelen“ dazu in den archäologischen Stätten des östlichen Mittelmeerraums. Die Fresko-Technik (Malerei auf nassem Putz), etliche Motive und die Farben in Qatna sind nicht orientalisch, sie haben ihren Ursprung in der minoisch-ägäischen Welt.

Von Rüden nennt den Wandschmuck im Palast von Qatna dennoch nur „ägäisierende Wandmalerei“ – sie sieht darin eine Nachahmung. Damit facht sie einen wissenschaftlichen Disput an: Haben minoisch-ägäische Meister vor Ort die Malereien zu Putz gebracht – oder haben einheimische Handwerker modische Strömungen der internationalen Kunstszene aufgegriffen und nachgemalt? In Qatna ist für Constanze von Rüden ein „Handwerkerbesuch aus der Ägäis unwahrscheinlich“. Sie setzt auf einheimische, also syrische Künstler. Einige Elemente, etwa die Schildkröte, seien zudem typisch syrisch. Und weil Kalkputz von einer Lehmziegelwand, die wie Holz „arbeitet“, nach 50 bis 70 Jahren abplatzt, datiert sie die Qatna-Wandmalereien auf frühestens 1400 v.Chr.

Damit stößt sie auf Widerspruch beim Ausgräber Peter Pfälzner. Der vermutet, dass ägäische Künstler um 1500 v.Chr. – oder noch früher – an den Qatna-Wänden werkelten, denn derlei Perfektion im handwerklichen Bereich sei nicht über bloße Kommunikation herzustellen. Wegen der speziellen Verankerung des Kalkputzes in der Lehmziegelmauer sieht er auch „keinerlei Probleme, dass die Malereien 200 Jahre an der Wand bleiben“. Auch sei eine solch teure Ausgestaltung des Palastes in Zeiten des Niedergangs schwer vorstellbar. Auf jeden Fall erzeugen die Wandmalereien, so Constanze von Rüden, „einen Hauch von westlichem Luxus im Palast von Qatna“.

Eine weitere Diskussion ist um einige rätselhafte Briefe entbrannt, die mit dem Brandschutt in den Korridor zur Gruft fielen. Sie stammen aus der spätbronzezeitlichen Endphase des Palastes und künden von drohendem Unheil. Einer enthält die Aufforderung: „Befestige Qatna!“ Die Tontafeln sind an Idanda, den letzten – und bislang unbekannten – König von Qatna gerichtet und kommen zum Teil von Takuwa, Hethitervasall und König des benachbarten Nija. Andere stammen von einem Mann namens Hanutti. Den identifiziert Thomas Richter als hethitischen General, der für die Eroberung des Südens inklusive Syrien zuständig war. Der Keilschriftexperte von der Frankfurter Universität und der Tübinger Archäologe gehen konform in der Meinung, dass Briefschreiber und General die gleiche Person waren.

KRIEGSLIST ODER GUTER RAT?

Doch dann gehen die Auffassungen auseinander. Pfälzner sieht im „Befestige-Qatna“-Brief psychologische Kriegsführung der Hethiter. Die schildern nämlich in anderen Schreiben, was ihre Truppen alles besiegt, niedergewalzt und weggeschleppt haben. Um diesem Schicksal zu entgehen, solle sich Idanda besser gleich unterwerfen, so Pfälzners Interpretation, ansonsten die letzte Drohung: „Befestige Qatna!“

Da die Hethiter in der Tat gern versuchten, ihre Eroberungen im Vorfeld diplomatisch zu gestalten, hat eine solche Lesart durchaus ihren Reiz. Allerdings werfen die Qatna-Briefe ein generelles Problem auf: Es gab zwei Syrienfeldzüge der Hethiter, die zeitlich eng beieinander lagen. Es ist nicht klar, auf welche militärische Auseinandersetzung sich die Hanutti- und Takuwa-Briefe beziehen. Folgt man der Auswertung von Thomas Richter, ergibt sich folgendes Szenario: Qatna war zur Zeit des zweiten Feldzugs schon gar nicht mehr selbstständig und Idanda bereits hethitischer Gefolgsmann. Die Hethiter hätten also gar keinen Grund gehabt, Qatna anzugreifen. Sicher ist:

· Die Briefe sprechen von einer akuten Gefährdung Qatnas.

· Königskollege und Hethiter-Vasall Takuwa schickte Durchhalteparolen und versprach Hilfstruppen.

· Hethiter-General Hanutti schrieb: Ich kann Dich nicht schützen, beschütze Dich selbst!

· Idanda orderte bei seinen Schmieden 18 600 Bronzeschwerter.

· Um 1340 v.Chr. wurde Qatna niedergebrannt und zerstört.

„Aber von wem?“ fragt Thomas Richter. Denn der Feind wird in den Briefen an Idanda nicht genannt. In der einzigen hethitischen Quelle zu Qatna ist von einer Plünderung der Stadt, aber nicht von einer Zerstörung die Rede. „Da gibt es keinen Spielraum für Interpretationen“, meint der Frankfurter Philologe. Er zieht versprengte Truppen des von den Hethitern besiegten Mitanni-Reichs als Qatna-Zerstörer in Betracht, aber wirklich lösen kann auch er das Rätsel nicht.

Dazu müssten mehr und eindeutigere Briefe her. Das erscheint durchaus möglich, denn Peter Pfälzners syrische und italienische Kollegen haben inzwischen kleinere Stadtpaläste und große Verwaltungsbauten in Qatna ausgegraben, in denen Keilschrift-Nachrichten zutage kommen können. Der Tübinger Archäologe selbst hat kein kleines Ziel: Er will den Königspalast vollständig ausgraben. „Dabei wird man alles finden, was es in diesem Palast gegeben hat“, ist Pfälzner überzeugt – auch weitere Briefe aus der Endzeit und mehr Fresken, vor allem aber das Tontafel-Archiv aus der mittelbronzezeitlichen Glanzperiode Qatnas mit der Gegenkorrespondenz aus Mari oder Babylon. Davon wurde bislang nicht eine einzige Scherbe gefunden. Die DFG-Förderung läuft weitere neun Jahre. Zeitlich hat die Hoffnung also noch viel Platz. ■

MICHAEL ZICK staunte, wie viele Informationen Archäologen buchstäblich aus einem Haufen Dreck herauspuzzeln.

von Michael Zick

KOMPAKT

· Archäologen haben Syriens größte antike Stadtanlage ausgegraben und eine unberaubte Königsgruft geöffnet.

· Die Funde lassen auf seltsame Toten- und Bestattungsrituale schließen.

· Rätselhaft ist auch die Dachkonstruktion über dem Festsaal im Königspalast.

KOOPERATION für qatna

In einer groß angelegten Kooperation unter syrischer Generalleitung bemühen sich Teams von Archäologen dreier Länder um Qatnas Vergangenheit. Die Syrer arbeiten bereits seit 1994 auf dem Tell Mishrife, italienische und deutsche Ausgräber sind seit 1999 dabei.

Die syrische Mission unter der Leitung von Michel al-Maqdissi, Direktor des Ausgrabungswesens der syrischen Antikenverwaltung, brachte in den letzten Jahren einen kleineren Palast und ein großes Magazingebäude ans Licht. In der Kampagne 2008 hat das Maqdissi-Team östlich des Königspalastes ein Wohnviertel gefunden, das bis in die frühe Bronzezeit (2200 bis 1800 v.Chr.) zurückreicht.

Das syrisch-italienische Projekt unter Leitung von al-Maqdissi und Daniele Morandi von der Universität Udine hat eine Keramikwerkstatt entdeckt, die in Qatnas Blütezeit (1800 bis 1600 v.Chr.) zur größten bekannten Anlage für eine Keramik-Massenpro- duktion ausgebaut wurde. Daneben hat Morandi die Umwelt-Entwicklung Qatnas geoarchäologisch erforscht und gezeigt: Qatna war ab 2800 v.Chr. ständig besiedelt.

Ein kleiner, vermutlich künstlicher See sicherte in der Frühzeit die Wasserversorgung, was Ackerbau und Viehzucht produktiver machte und die Ansiedlung zur Stadt wachsen ließ. Mit der Ausdehnung der Stadt ab 1800 v.Chr. verschwand der See, aus offener Waldlandschaft wurde Savanne. Rinder und Schweine wurden vom Speiseplan gestrichen. Ziegen und Schafe lieferten neben Nahrung das Grundmaterial für die bedeutende Weberei-Industrie Qatnas.

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Georg Gerster, Ralf-B. Wartke FLUGBILDER AUS SYRIEN Von der Antike bis zur Moderne von Zabern, Mainz 2003 nur noch antiquarisch, ab € 129,–

Michel Fortin SYRIEN – WIEGE DER KULTUR von Zabern, Mainz 1999 nur noch antiquarisch, ab € 35,–

Rüdiger Gogräfe, Klaus Obermeier SYRIEN Hirmer, München 1995, € 51,–

EVENT

DIE ENTDECKUNG DES KÖNIGREICHS QATNA Das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zeigt als einziges Museum in Europa die schönsten und wichtigsten Fundstücke der sensationellen Ausgrabungen in Qatna. Die Ausstellung im Stuttgarter Alten Schloss beginnt am 17. Oktober 2009 und endet am 14. März 2010: Landesmuseum Württemberg Schillerplatz 6, 70173 Stuttgart Telefon 0711/279 34 98 Internet: www.landesmuseum-stuttgart.de

Das Begleitbuch zur Ausstellung: Landesmuseum Württemberg SCHÄTZE DES ALTEN SYRIEN Die Entdeckung des Königreichs Qatna Theiss, Stuttgart 2009 (erscheint voraussichtlich im Oktober), € 29,90 (Ein- führungspreis), broschierte Museumsausgabe: € 22,90

PETER PFÄLZNER

Der gebürtige Nürnberger (Jahrgang 1960) ist Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Eberhard-Karls- Universität in Tübingen. Zusammen mit seinen Kollegen Daniele Morandi Bonacossi von der Universität Udine und Michel al-Maqdissi von der Antikendirektion Damaskus leitet er die Grabungen in Qatna. Schon mit zwölf Jahren war Peter Pfälzner klar, dass er unbedingt Archäologe werden wollte. Gleich nach dem Abitur 1979 zog es ihn auf einer Studienreise zum ersten Mal nach Syrien, wo er seither fast jeden Sommer verbracht hat und so „leider keinen deutschen Sommer mehr kennt“. Bei den Kampagnen wird er tatkräftig von seiner Frau Heike Dohmann-Pfälzner unterstützt: Als Chefstrategin leitet sie die Grabungen im Feld. Auch die vier Kinder des Archäologen-Paares waren bei den Ausgrabungen schon oft mit dabei. Das gäbe ihnen den wichtigen familiären Rückhalt, erklären die forschenden Eltern. NE

DER KÖNIGSPALAST VON QATNA

Der große Palast ist noch nicht vollständig freigelegt. Aber schon die derzeit erschlossenen Fundamente zeigen, dass er mindestens die Dimensionen von 150 mal 80 Metern hatte. „CP“ halten die Ausgräber des syrisch-deutschen Teams für den Hauptwohnraum des Regenten, da dies das größte Zimmer des Palastes ist und direkt über der Königsgruft liegt.

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