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Gott ist das Letztgültige

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Gott ist das Letztgültige
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Der Physikprofessor John Polkinghorne war viele Jahre lang Elementarteilchenphysiker und von 1968 bis 1979 Professor für Mathematische Physik an der University of Cambridge, bevor er zur Church of England wechselte und als anglikanischer Gemeindepfarrer arbeitete. Dann war er bis zu seiner Emeritierung 1996 Präsident des Queen’s College in Cambridge und wurde von der Königin 1997 geadelt. Er schrieb vielbeachtete Bücher über Wissenschaft und Religion. Lesen sie hier Textauszüge aus einer Rede. Polkinghorne: „Warum man als moderner Mensch an Gott glauben kann.“

Wurde das Universum planvoll erschaffen? Dann sollten wir genausowenig nach Erzeugnissen mit dem Markenzeichen „Die Himmlische Konstruktionsfirma“ Ausschau halten wie nach Objekten mit dem Stempel „Blinde Zufallsregeln“, wenn das Universum nicht erschaffen worden wäre. Die Wissenschaft wird uns keine Antwort geben. Der Grund dafür ist einfach: Die Frage nach einer Schöpfung ist eine metaphysische, sie reicht über die Physik hinaus. Und solche Fragen müssen mit metaphysischen Argumenten beantwortet werden.

Wissenschaft begrenzt die Metaphysik, aber sie determiniert sie nicht, ebenso wie das Fundament eines Hauses die Möglichkeiten begrenzt, was auf dem Fundament gebaut werden kann, aber die Form des Gebäudes nicht festlegt.

Obwohl wir zu Recht von vielen Dingen beeindruckt sind, die die Wissenschaft zufriedenstellend behandeln kann, sollten wir auch erkennen, daß dieser große Erfolg erkauft wurde durch eine Bescheidenheit des Anspruchs. Wissenschaft beschränkt sich selbst, indem sie sich nur mit einer bestimmten Art der Erfahrung beschäftigt. Sie handelt, grob gesprochen, von der unpersönlichen Dimension der Realität.
Galileo Galilei hatte die brillante Idee, daß man die Aufmerksamkeit auf die primären Quantitäten der Materie und Bewegung einschränken solle, und alles außer Acht zu lassen habe, was er die sekundären Merkmale menschlicher Wahrnehmung nannte, etwa Farben. Diese Vernachlässigung war eine enorm erfolgreiche Untersuchungsmethode. Es wäre jedoch ein Fehler, Galileis methodische Strategie mit einem Urteil über die Existenz der Dinge gleichzusetzen – das heißt einem Verdikt über die Natur der Realität. Eine solche Verwechslung würde zu einer jämmerlich unangemessenen Metaphysik führen.

Die Physik mag uns sagen, daß Musik Luftdruckschwankungen ist, und die Neurophysiologie mag die daraus folgenden Nervenaktivitäten beschreiben, die entstehen, wenn der Schall das Trommelfell trifft, aber es wäre völlig irreführend anzunehmen, Musik ließe sich so angemessen erfassen. Ihr Geheimnis und ihre Realität schlüpft durch die weiten Maschen des wissenschaftlichen Netzes.

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Eine solche auslaugende Wissenschaftsgläubigkeit kann die Metaphysik nicht tolerieren, denn ihr großes Ziel ist eine wahrhaftige Theorie von allem. Und diese erhalten wir nicht dadurch, daß wir die Natur so lange aufs Folterbrett spannen, bis sie auf ein Maß reduziert ist, daß sie sich als Formel auf ein T-Shirt schreiben ließe. Wir erhalten diese Theorie nur, wenn wir den Reichtum der Realität, in der wir leben, ernst nehmen. Das wird nicht gewährleistet durch die Priorität des Objektiven über das Subjektive, des Unpersönlichen über das Persönliche, des Wiederholbaren über das Einzigartige.

Es ist interessant genug, daß einige dieser metaphysischen Themen mit Fragen zusammenhängen, die sich aus unserer wissenschaftlichen Erfahrung ergeben, aber darüber hinausgehen: Sie kreisen um zwei große Metafragen: Warum ist Wissenschaft überhaupt möglich? Und warum ist das Universum so besonders? Der Physiknobelpreisträger Eugene Wigner hat auf die erstaunlich scheinende Effizienz der Mathematik in den Naturwissenschaften hingewiesen – ein Phänomen, das Mathematiker bescheiden „nicht-trivial“ nennen, das heißt hoch signifikant. Diese vernünftige Transparenz macht Theoretische Physik möglich – und ihre rationale Schönheit, auf die Physiknobelpreisträger Paul Dirac, Wigners Schwiegersohn, hinwies, leitet und belohnt jene, die sich damit befassen. Es ist eine Welt, die durchdrungen ist „mit Zeichen des Geistes“.

Ich glaube, eine attraktive, schlüssige und intellektuell zufriedenstellende Erklärung dafür ist, daß es tatsächlich einen göttlichen Geist hinter der wissenschaftlich erkannten rationalen Ordnung des Universums gibt. Ich glaube, daß Wissenschaft möglich ist, weil die physische Welt geschaffen wurde, und weil wir, um eine alte und starke Formulierung zu verwenden, Geschöpfe sind, die als Bild dem Schöpfer gleichen (1. Mose 1, 26). Diese Einsicht ist mein primärer Grund für den Glauben, daß das Universum geplant erschaffen wurde. Ich entschuldige mich nicht für die theistische Sprechweise, denn wenn das Universum geplant erschaffen wurde, wer könnte dann sein Konstrukteur sein, wenn nicht ein Schöpfer-Gott?

Ein zweiter Grund: Es wurde vielfach bemerkt, daß Leben auf Kohlenstoffbasis unmöglich wäre, wenn die Naturgesetze und -konstanten, wie wir sie beobachten, nur geringfügig anders wären. Ich stimme hier mit dem Philosophen John Leslie überein, daß dies kein bloßer Zufall ist, sondern es entweder viele Universen mit ganz unterschiedlichen Naturkonstanten gibt, und unseres die Existenz von Menschen zufällig möglich gemacht hat, oder daß unser Universum gezielt geschaffen wurde.

Aber steckt hier nicht ein fataler Denkfehler? Die größte Schwierigkeit für den Theismus ist das Problem des Bösen und des Leidens, das unsere Welt durchzieht. Das hält mehr Menschen vom religiösen Glauben ab als alles andere, und wir Gläubigen können uns nicht davor drücken. Kann man tatsächlich behaupten, ein augenscheinlich so schlecht funktionierendes Universum wurde gezielt errichtet? Sollte uns nicht unser Sinn für Werte gegen diese seltsame, bittere Schöpfung rebellieren lassen? Ist die Geschichte des Lebens nicht eine des Kampfes, eine blinde Sackgasse, die 99,9 Prozent aller Arten auf der Erde ausgelöscht hat? Ist nicht die Rolle des Zufalls ein überzeugendes Indiz dafür, daß die Geschichte des Universums, wie Macbeth sagte, „ein Märchen ist, erzählt von einem Blöden, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet“?

Hier kann die Biologie der Theologie zu Hilfe kommen. Dieselben biochemischen Prozesse, die Zellen mutieren und neue Lebensformen entstehen ließen – was die Evolution seit vier Milliarden Jahren antreibt -, führen auch dazu, daß eine Zelle bösartig wird. In einer Welt ohne Wunder kann es nicht anders sein, und die Welt ist nicht magisch, weil ihr Schöpfer kein launischer Zauberer ist. Diese Einsicht löst das Problem des Übels noch nicht, gibt aber eine gewisse Hilfe, weil sie vorschlägt, daß die Existenz von Tumoren nicht durch die Herzlosigkeit und Inkompetenz des Schöpfers bedingt ist. Wir meinen alle, wir hätten seine Arbeit besser machen können, wir hätten die schönen Dinge behalten, aber die schlechten verhindert. Doch je mehr uns die Wissenschaft dabei hilft, das Universum zu verstehen, desto mehr erscheint es mir als eine Art Gesamtgeschäft. Licht und Dunkel sind zwei Seiten derselben Münze.

John Polkinghorne
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Neu|be|ginn  〈m. 1; unz.〉 erneuter Beginn von etwas, wiederholter Anfang; Sy Neuanfang … mehr

♦ re|tro|grad  〈Adj.〉 rückwirkend, zurückschauend, rücklaufend ● ~e Amnesie 〈Med.〉 Amnesie nach einer Hirnschädigung, die Zeit vor dem Verlust des Bewusstseins betreffend; … mehr

Kre|sol  〈n.; –s; unz.; Chem.〉 aromatischer Kohlenwasserstoff, aus Steinkohlenteer durch Destillation gewonnen sowie durch Kohlenhydrierung u. aus Erdöl, zum Imprägnieren von Holz u. Tauen sowie zur Desinfektion verwendet [Kunstwort <grch. kreas … mehr

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