Die Asche machte die beiden Orte zu einzigartigen Zeugnissen der römischen Lebenswelt, denn sie konservierte Häuser, unzählige Alltagsgegenstände und sogar die Abdrücke menschlicher Körper über Jahrhunderte hinweg. Von besonderem Wert sind die in einem kleinen Raum einer der Villen erhaltenen Papyrusrollen mit Schriften der Antike. “Diese reiche Sammlung, die vorwiegend philosophische Texte der Epikureer enthält, ist ein einzigartiger Kulturschatz”, erklären Vito Mocella von der Universität Neapel und seine Kollegen. “Denn es ist die einzige Bibliothek, die zusammen mit ihren Büchern erhalten blieb.” Die Entzifferung der Papyri aber ist ein Problem: Viele der Rollen sind von der glühend heißen Asche verkohlt und so zusammengepresst, dass sie sich nicht entrollen lassen, ohne zu zerfallen. Hinzu kommt, dass die antiken Schreiber eine auf Ruß basierende Tinte benutzten. Damit aber bestehen die verkohlten Papyri und ihre Beschriftung aus fast dem gleichen Material und absorbieren Röntgenstrahlung auf die gleichen Weise. “Bisher war es daher unmöglich, die Tinte im Inneren dieser Papyrusrollen mit Hilfe von herkömmlichen Röntgenanalysen lesbar zu machen”, wie die Forscher berichten. Sie haben nun jedoch eine neue Röntgen-Methode ausprobiert – und das mit Erfolg.
Die Röntgen-Phasenkontrast-Tomografie (XPCT) nutzt nicht wie herkömmliche Röntgengeräte Unterschiede in der Absorption der Strahlung, um Kontraste zu erzeugen. Stattdessen werden dabei kohärente – im Gleichtakt schwingende – Röntgenstrahlen auf die Probe gestrahlt. Weil die rußige Tinte beim Schreiben nicht in den Papyrus eindrang, sondern als leicht erhabene Schicht eintrocknete, reflektieren und brechen die Buchstaben das Röntgenlicht etwas anders als der Papyrus. Dieser Unterschied erzeugt in den wiederaufgefangenen Strahlen eine Phasenverschiebung, die ausgewertet und als Kontrast dargestellt werden kann.
Buchstaben aus dem Inneren der Rolle
Um zu testen, wie gut dies gelingt, unterzogen die Forscher zwei Proben der Papyri aus Herculaneum dieser Analyse. Eine der Rollen wurde in Fragmente zerlegt und entrollt, die andere ist noch im aufgerollten Zustand und wurde daher nie entziffert. “Der enorme Druck des auflastenden Materials hat die Rolle zusammengedrückt und ihre innere Spiralstruktur deformiert”, so die Forscher. Dadurch sind die Schichten auf chaotische Weise miteinander verklebt und verworren. Die neue Methode machte nun das bisher Unmögliche möglich: Mit Hilfe der Röntgen-Phasenkontrast-Tomografie gelang es Mocella und seinen Kollegen, Teile des Textes im noch unentrollten Papyrus zu entziffern. Sie konnten einzelne griechische Buchstaben sichtbar machen und anhand von Ähnlichkeiten der Schrift mit der auf dem bereits entrollten Papyrus auf Herkunft und Autor des Textes schließen. Demnach stammt der Text vermutlich aus der Feder des epikureischen Philosophen Philodemus, der ihn zwischen 25 und 50 nach Christus schrieb.
“Dieses Ergebnis eröffnet ganz neue Aussichten nicht nur für die vielen bereits entdeckten noch ungeöffneten Papyri, sondern auch für andere, die möglicherweise noch in Herculaneum gefunden werden”, konstatieren die Forscher. Wie sie betonen, war ihre Methode noch nicht auf einen optimalen Phasenkontrast optimiert. Durch weitere Anpassungen der Technik könnte sich daher der Kontrast noch verstärken lassen, so dass noch mehr Details entziffert werden können. “Das weckt die Hoffnung, dass in Zukunft noch viele der philosophischen Werke aus der Bibliothek von Herkulaneum entziffert werden können, ohne die unersetzlichen Papyri zu beschädigen”, so Mocella und seine Kollegen.