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„Hier endet Deutschland“

Beispiel Ukraine

„Hier endet Deutschland“

In jüngster Zeit ist die deutsch-dänische Grenze unvermutet in die Schlagzeilen der europäischen Presse geraten. Auch wenn sich die Debatte um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen als innenpolitisch motiviertes Strohfeuer erwiesen hat und die Ankündigung bereits von der neuen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt zurückgenommen wurde, zeigt die Auseinandersetzung uns doch vor allem eines: Offene Grenzen sind auch in Zeiten des Friedens und der europäischen Einigung keine unveränderlichen Grundkonstanten, sondern sie müssen immer wieder neu ausgehandelt werden.

Im 17. und 18. Jahrhundert befand sich am südlichen Tor der Stadt Rendsburg eine eingemauerte Inschrift mit den lateinischen Worten: „Eidora Romani Terminus Imperii“ – „Hier an der Eider liegt die Grenze des Heiligen Römischen Reichs“. Bemerkenswerterweise befand sich das Stadttor auf dänischem Gebiet. Aus heutiger Sicht mutet das befremdlich an, hätten wir doch auf dänischer Seite eher die Aufschrift „Hier beginnt Dänemark“ und nicht etwa „Hier endet Deutschland“ erwartet. Aus damaliger Perspektive gab es gleichwohl gute Gründe für eine solche Maßnahme: So trennte die Eider nicht nur das Reich und Dänemark, sondern auch Holstein von Schleswig. Die Inschrift vermittelte also auch die politische Botschaft, das Herzogtum Schleswig gehöre nicht mehr zum Heiligen Römischen Reich.

Zu dieser Zeit war die Grenze schon viele Jahrhunderte alt. Im Jahr 811 – vor genau 1200 Jahren – trafen sich an der Eider zwölf dänische und zwölf karolingische Unterhändler zu folgenschweren Verhandlungen. Nördlich des Flusses hatten die dänischen Regionalkönige schon seit einiger Zeit die Ausdehnung des Karolingerreichs über die Elbe hinweg mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Um 804, als sich Karl der Große im gerade erst gegründeten Hamburg – der „Hammaburg“ – aufhielt, kam es zu ersten Gesprächen mit einem Dänenkönig namens Godfred, dessen Machtzentrum vermutlich irgendwo im nördlichen Schleswig lag: allem Anschein nach ohne Ergebnis, denn einige Zeit danach berichten die Quellen von einem Angriff der Dänen auf die mit Karl dem Großen verbündeten Slawen.

Wenig später griffen wiederum beachtliche 200 Schiffe aus dem Norden das östliche Friesland an und mögen dabei Karl dem Großen einen gehörigen Schrecken versetzt haben. Was Karl aber nicht wusste: Bei den Schiffen handelte es sich keineswegs um Godfreds Streitmacht, sondern um die Fahrzeuge anderer dänischer Fürsten – um eine typische Wikingerflotte. Karl gaben diese Übergriffe gleichwohl zu denken, und 811 kam es zu der bemerkenswerten Übereinkunft, die den Fluss Eider als Grenze zwischen dem Karolingerreich und dem entstehenden Dänemark festlegte.

War die Eider aber schon in der Anfangszeit eine Grenze im modernen Sinn? Heute sind wir es gewohnt, uns eine Grenze als abstrakte Linie vorzustellen, die zwei Länder voneinander trennt. Diese Vorstellung ist zweifellos recht modern. Denn in vormoderner Zeit waren es oft Grenzsäume, die als natürliche Hindernisse ein Land von einem anderen schieden. Ein Blick auf die historische Landkarte zeigt sofort auf, dass auch die Eider nur das südliche Ende eines solchen Saumes darstellte. Ein breiter Streifen nahezu undurchdringlichen Sumpf- und Waldlandes erstreckte sich zwischen jenem Fluss und dem westlichen Ende der Schlei, wo damals noch die Wikingerstadt Haithabu lag.

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Auch heute noch erkennen wir Reste dieser einzigartigen Naturlandschaft, etwa in Form von sich endlos bis an den Horizont erstreckenden Sumpfniederungen oder eines größeren Waldgebiets, dem „Kropper Busch“. Seit alten Zeiten warnt hier an einer historischen Schenke die niederdeutsche Aufschrift „Du büs Kropper Busch noch ni vörbi“ – „Du bist am Kropper Busch noch nicht vorbei“: eine stete Mahnung, dass der Karren leicht im lockeren Treibsand einsinken konnte und dass das Grenzland oft auch das Land von Räubern und Wegelagerern war.

Die zahlreichsten Grenzgänger waren in der Vergangenheit Rinder. Unweit des Gasthofs bei Kropp verläuft heute noch ein Reststück des alten „Ochsenwegs“. Dieser stellte seit jeher die Lebensader des deutsch-dänischen Grenzlandes dar, ehe im 19. Jahrhundert der Chausseebau einsetzte. Weit abseits der großen Städte des Landes führte der Weg über den kargen Mittelrücken der Jütischen Halbinsel. Jahr für Jahr wurden hier Tausende von Ochsen (Kühe behielt man der Milch wegen da‧heim) nach Süden getrieben, wo sie – von dem langen Marsch ausgezehrt – in den Niederungen der Elbe wieder aufgepäppelt und im Westen des Reiches verkauft wurden. Bei der Ortschaft Fockbek nahe Rendsburg ging es durch die Eiderfurt hinüber ins Holsteinische. Ein Spaziergang längs des einsamen, ausgefurchten, von Dünen, Heide und Wald umgebenen Weges lässt einen selbst heute noch schaudern.

Die dänische Macht in dem kargen Land sicherte seit dem 12. Jahrhundert ein Statthalter. Später wurde aus der von ihm beherrschten Grenzmark das Herzogtum Schleswig. Zum immer noch greifbaren Symbol der dänischen Sicherungsbemühungen avancierte das Danewerk – heute ein Kandidat für die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Wie ein Riegel durchquert diese mittelalterliche Wallanlage die schleswigsche Landenge zwischen Ost und West; und allem Anschein nach gab es nur einen Durchlass, nämlich am Ochsenweg.

Ziemlich genau ein Jahrtausend nach dem historischen Treffen an der Eider 811 wurde die Grenzfrage zu einem politischen Sprengsatz, der letztlich zum Auseinanderbrechen der dänischen Monarchie führte. Schon längst war aus dem Herzogtum Schleswig ein multikulturelles Territorium geworden, in dem die Menschen nicht nur Dänisch und Friesisch, sondern auch Deutsch sprachen. Noch im Revolutionsjahr 1789 konnte der dänische Schriftsteller Jens Baggesen während seiner Reise in den Süden feststellen, der nordische Boden reiche bis zur Elbe. Einige Jahrzehnte später hätte eine solche Aussage wohl für einen Sturm der Entrüstung gesorgt.

In dem Zeitalter des nationalen deutsch-dänischen Gegensatzes entwickelte sich die Frage, wo denn nun eigentlich die deutsch-dänische Grenze läge, zur Schicksalsfrage schlechthin. Die dänisch gesinnten „Eiderdänen“ wollten Schleswig von Holstein trennen und noch stärker in die dänische Monarchie integrieren. Die deutsch gesinnten „Schleswig-Holsteiner“ wollten ganz Schleswig in den Deutschen Bund einbinden, obwohl das alte Herzogtum niemals ein Teil des Alten Reichs gewesen war. Der lachende Dritte war das Königreich Preußen, das sich nach dem so kurzen wie folgenreichen deutsch-dänischen Krieg von 1864 zwei Jahre später ganz Schleswig-Holstein einverleibte.

Seit 1920 liegt die deutsch-dänische Grenze nunmehr nördlich der Stadt Flensburg. Die deutsche und die dänische Minderheit diesseits und jenseits der Grenze bilden heute nach langen Jahrzehnten des „Grenzkampfes“ einen stabilisierenden, ausgleichenden Faktor zwischen beiden Ländern. Zum stilisierten Logo wählte die etwa 15 000 Angehörige zählende deutsche Minderheit in Dänemark bezeichnenderweise die alte, am Ochsenweg gelegene Brücke von Immerwatt. Diese bildete wie auch die Furt bei Fockbek und das Tor im Danewerk jahrhundertelang ein wichtiges Bindeglied zwischen Nord und Süd. Aus dem lange umkämpften Grenzland ist dar-über schon längst eine europäische Region par excellence geworden.

Quelle: Prof. Dr. Martin Krieger
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