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Historische Vorlesungsmitschriften entdeckt

Berühmte Gelehrte

Historische Vorlesungsmitschriften entdeckt
Links: Diese Darstellung eines menschlichen Schädels fertigte Nikolai Miklucho-Maclay als Illustration zur Vorlesungsmitschrift bei Carl Gegenbaur an. Links: Zeichnung einer Gottesanbeterin, die bei der Zoologie-Vorlesung von Ernst Haeckel entstand. © RGO St. Peterburg/Russland

Forscher haben Aufzeichnungen von Lehrveranstaltungen zweier bedeutender Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts entdeckt: des Anatomen Carl Gegenbaur und des berühmt-berüchtigten Evolutionsforschers Ernst Haeckel. Die reich bebilderten Mitschriften aus dem Wintersemester 1865/66 an der Universität Jena geben Einblicke in den damaligen Wissensstand und die Vermittlungsmethoden in den Fachgebieten. Sie stammen zudem von einem bedeutenden Studenten: Es handelte sich um Nikolai Miklucho-Maclay, der später zu einem Anthropologen und Forschungsreisenden wurde und sich mit Haeckel wegen dessen rassistischer Thesen überwarf.

Sie gehören zur Prominenz der Wissenschaftsgeschichte in Deutschland: Carl Gegenbaur (1826 bis 1903) und Ernst Haeckel (1834 bis 1919) haben die Entwicklungen in ihren Fachbereichen nachhaltig geprägt. Dabei beeinflussten sie sich auch gegenseitig – unter anderem während ihrer zeitgleichen Tätigkeit als Professoren an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Beide waren starke Befürworter von Charles Darwins Evolutionstheorie. Der Mediziner, Anatom, Zoologe und Physiologe Gegenbaur gilt dabei als einer der bedeutendsten Wirbeltiermorphologen des 19. Jahrhunderts sowie als ein Wegbereiter der modernen Evolutionsmorphologie.

Haeckel wurde hingegen sogar als der „deutsche Darwin“ bezeichnet. Denn der Mediziner, Zoologe und Freidenker vermittelte durch seine Veröffentlichungen die Evolutionstheorie in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit. Doch dabei warf der damals renommierte Wissenschaftler einen finsteren Schatten. Denn von einigen seiner Thesen zur Evolutionsgeschichte des Menschen führen direkte Verbindungslinien zum Sozialdarwinismus, zur Rassenkunde und schließlich zur Rassenhygiene des Dritten Reichs. Ihm wird damit eine Rolle bei der Entwicklung von menschenverachtenden Ansichten – und Taten zugesprochen.

„Eine sensationelle Entdeckung“

Eine wichtige Basis bildete für Haeckel die Universität Jena. Dort gab er Vorlesungen im Fach Zoologie. Gegenbaur vermittelte dort den Studierenden die menschliche Anatomie. Man nahm bisher an, dass von diesen beiden Veranstaltungen keine Mitschriften mehr erhalten geblieben sind. Doch nun präsentieren die Biologiedidaktiker Uwe Hoßfeld und Georgy Levit von der Universität Jena solche Dokumente. Sie haben sie im Nachlass von Nikolai Miklucho-Maclay aufgestöbert, der im Archiv der Russischen Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg aufbewahrt wird.

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Der ursprünglich aus Russland stammende spätere Naturforscher hatte an den Vorlesungen beider Gelehrter im Wintersemester 1865/66 teilgenommen und dabei ausgesprochen sorgfältige Mitschriften angefertigt. Es ist zu vermuten, dass Miklucho-Maclay die Vorlesung nicht nachbereitete, sondern die Inhalte direkt aus der Vorlesung und von der Tafel in seine Mitschrift übertrug, schreiben die Jenaer Forscher. „Diese Entdeckung ist eine Sensation!“, so Hoßfeld. „Die Mitschriften erlauben uns spannende Einblicke in die Geschichte und Visualisierung der Zoologie und der vergleichenden Anatomie jener Jahre“.

Reich bebilderte Mitschriften aus ehrenwerter Hand

Dabei schrieb Miklucho-Maclay mal auf Deutsch, mal auf Russisch, zudem waren die Aufzeichnungen gespickt mit zahlreichen Abkürzungen. Dadurch sind die Mitschriften teilweise schwer lesbar. Die Texte zu transkribieren sei deshalb eine Mammutaufgabe gewesen, die drei Jahre umfasste, sagen die Wissenschaftler. Doch es hat sich gelohnt. Gemeinsam mit weiteren Forschern haben Hoßfeld und Levit die beiden Vorlesungsmitschriften jetzt publiziert. Neben den schriftlichen Einblicken ist zudem besonders interessant: Die Vorlesungsaufzeichnungen weisen Haeckel, Gegenbaur sowie Miklucho-Maclay als kunstfertige Zeichner und Ästheten aus. Denn die Mitschriften sind durch zahlreiche detailgetreue Illustrationen ergänzt, die offensichtlich in den Vorlesungen gezeigt wurden.

Die Entdeckung rückt zudem erneut Miklucho-Maclay ins Rampenlicht, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat, wie Hoßfeld und Levit bereits zuvor in einer Veröffentlichung hervorgehoben haben. Der begabte Student wurde zunächst zu einem Assistenten Haeckels und ging mit ihm sogar gemeinsam auf Forschungsreisen. Ab 1870 unternahm Miklucho-Maclay dann eigenständig Expeditionen nach Neuguinea, um die dortige einheimische Bevölkerung, die Papua, zu erforschen. Anschließend kam es dann zum Bruch mit Haeckel, weil Miklucho-Maclay seine Ansichten über Menschenrassen nicht teilte und sie schließlich sogar wissenschaftlich widerlegte. Seine Beobachtungen und Erlebnisse bei den Papua zeigten, dass die Annahme Haeckels falsch war, es gebe verschiedene Entwicklungsstufen unter den derzeit lebenden Menschen und damit verschiedene menschliche „Arten/Rassen“.

Pikant war dabei, dass Haeckel selbst postuliert hatte, wissenschaftliche Erkenntnisse setzten voraus, die Lebewesen in ihrem natürlichen Lebensumfeld zu beobachten und zu untersuchen. Nikolai Miklucho-Maclay hielt sich an diese Kriterien – Haeckel jedoch nicht. „Miklucho-Maclay kann mit gutem Recht als erster empirischer Antirassist in den Naturwissenschaften bezeichnet werden“, sagt Hoßfeld.

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena

Originalpublikationen:
Vorlesungen über Menschliche Anatomie von Carl Gegenbaur, THK-Verlag, Arnstadt 2022, 271 Seiten, zahlr. Abbildungen, ISBN: 978-3-945068-56-4

Vorlesungen über Zoologie von Ernst Haeckel, THK-Verlag, Arnstadt 2022, 179 Seiten, zahlr. Abbildungen, ISBN: 978-3-945068-55-7

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