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Historischen Fake News auf der Spur

Spätmittelalter

Historischen Fake News auf der Spur
Vinícius Freitas fahndet in Bibliotheken und Archiven nach Bildern, die angeblichen jüdischen Hostienfrevel und Ritualmorde zeigen. (Bild: Universität Würzburg)

Die Geschichte der bösartigen Falschnachrichten reicht weit zurück, verdeutlicht ein Forschungsprojekt an der Universität Würzburg. Im Spätmittelalter waren besonders die Juden Opfer der Verleumdungen. Die frühen Druckwerke verbreiteten angebliche Nachrichten über Hostien-Schändungen und rituelle Kindermorde in Text und Bild, zeigen die bisherigen Rechercheergebnisse.

Die sogenannten Inkunabeln sind sein Spezialgebiet: Bereits in seiner Masterarbeit an der Universidade Federal Fluminense in Rio de Janeiro hat sich Vinícius Freitas mit der Analyse dieser Erzeugnisse des frühen Buchdrucks befasst. In seinem Fokus stand dabei eine antijüdische Ritualmordlegende, die 1475 von dem Augsburger Druckermeister Günther Zainer vervielfältigt wurde. Freitas konnte seine Arbeit anschließend durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Universität Würzburg weiterführen.

Im Rahmen seiner Doktorarbeit sucht er nun in Bibliotheken und Archiven nach weiteren kaum oder unbekannten Zeugnissen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Druckwerke mit ähnlichem Inhalt. „Geht es um Hostienfrevel- und Ritualmordvorwürfe, werden in der Forschungsliteratur fast immer dieselben Bilder angeführt – es fehlt ein Studium des Materials auf Basis einer breiten Quellenrecherche“, erklärt Projektleiter Eckhard Leuschner vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte der Universität Würzburg zum Hintergrund des Projekts.

Gräuel-Mythen und blutende Hostien

Wie Freitas berichtet, gingen den späteren Druckwerken bereits frühere Verleumdungen in Bild und Handschrift voraus: Im Jahr 1290 kam in Paris erstmals der Vorwurf auf, Juden würden Hostien schänden. Nur acht Jahre später wurden dann auch Juden in Röttingen nahe Würzburg beschuldigt, eine Hostie entweihenden Handlungen unterzogen zu haben. In der Röttinger Pfarrkirche hing sogar bis Ende der 1980er-Jahre ein Ölgemälde, das dieses angebliche Verbrechen darstellte, berichtet der Forscher. Weitere Bildwerke im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Hostienfrevels fand er bisher unter anderem in Iphofen, Regensburg und Passau.

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Auch schriftlich wurden die frühen Ritualmordlegenden schon teilweise ausgefeilt dargestellt. Das berühmteste und früheste Beispiel ist Freitas zufolge dabei das Werk „The Life and Passion of Saint William the Martyr of Norwich“ von Thomas of Monmouth. Der Benediktinermönch beschäftigt sich in diesem Werk mit dem Tod des Kindes William. Der Zwölfjährige starb 1144 aus ungeklärten Ursachen. In seinem Werk, an dem Monmouth mehr als 20 Jahre lang geschrieben hat, behauptete er, Juden hätten den jungen William gemartert und gekreuzigt. „Diese Legende hat sich in Europa schnell verbreitet“, sagt Freitas.

Die Macht der Bilder

Abbildungen, die dann auch die frühen Druckwerke untermalten, entfalteten eine besonders starke Wirkung bei der Verbreitung der falschen Informationen, hebt er hervor. Auch wenn die Menschen mit eigenen Augen niemals gesehen hatten, dass Juden Hostien schändeten, glaubten sie durch die teils drastischen Darstellungen fest daran. Die Bilder, die Freitas bisher entdeckt hat, zeigen unter anderem Juden, die sich in wildem Jähzorn an Hostien auslassen. In einem mit Stichen illustrierten Buch wird beispielsweise zunächst berichtet, wie ein jüdischer Mann sich eine Hostie zugänglich gemacht haben soll. Eines der Bilder zeigt eine alte Frau beim Empfang der Kommunion. Doch sie schluckt die Hostie nicht herunter, sondern verbirgt sie im Mund und verkauft sie anschließend dem Juden.

Ein weiteres Bild zeigt dann den Frevler in Aktion: Die Hostie ist an die Wand genagelt und der Mann drischt mit einer Geißel wütend auf sie ein, sodass sie zu bluten beginnt. Diese Bilder der durch die Misshandlungen blutenden Hostien waren offenbar typisch, berichtet Freitas. Die Legenden von der Existenz solcher „Bluthostien“ hatten dabei möglicherweise sogar finanzielle Motive: Denn betreffende Gemeinden konnten zu Wallfahrtsorten avancieren.

Ein interessanter Aspekt des Forschungsthemas sind auch die Parallelen der heutigen Verschwörungsmythen zu den historischen, heben die Wissenschaftler hervor. Der Unterschied zwischen einst und heute ist dabei allerdings die Verbreitungsgeschwindigkeit: Teils absurde Mythen erreichen heutzutage im Internet blitzschnell die ganze Welt. Wie genau und mit welchem Tempo sich einst die antijüdischen Legenden im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit dank der Druckkunst verbreitet haben, versucht Freitas nun ebenfalls herauszufinden. Er hofft, dass er 2021 wieder freieren Zugang zu Bibliotheken und Sammlungen erhalten kann, denn die Corona-Pandemie hat die Recherche im vergangenen Jahr stark behindert. Auf seiner Liste stehen nun weitere Einrichtungen in Deutschland, Österreich und Norditalien.

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg

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