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Im Reich der Gold hütenden Greife

Geschichte|Archäologie

Im Reich der Gold hütenden Greife
Als griechische Geschichtsschreiber von ihnen berichteten, lebten die Skythen am Schwarzen Meer. Jetzt entdeckten Archäologen: Die Wurzeln des wilden Reitervolkes liegen im Herzen Innerasiens, nördlich des Altai-Gebirges.

Weil Archäologen auch auf mythische Untertöne achten, reist Hermann Parzinger seit zehn Jahren in das Land, in dem die alten Historienschreiber das Volk der „Gold hütenden Greife“ beheimateten. Für den Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin liegt das asiatische Eldorado in Südsibirien zwischen Novosibirsk und Irkutsk, im Vierländereck Kasachstan-Russland-Mongolei-China.

Bei mehreren archäologischen Expeditionen fand Parzinger dort mit seinen russischen und deutschen Mitstreitern die Wurzeln einer gigantischen eurasischen Völkerwanderung. Die begann vor 2900 Jahren und ist untrennbar mit den sagenhaften Skythen verbunden. Parzinger: „Wir wollen den Beginn dieser Entwicklung finden.“

Ganz hinten am Rande der Welt, so die antiken Annalen, hatten die Gold hütenden Greife ihr Territorium. Westlich neben ihnen lebten die Stämme der einäugigen Arimaspen. Die vertrieben ihre Nachbarn, die Issedonen, nach Sibirien. Die Issedonen verjagten die dortigen Skythen in Richtung Kaukasus und Schwarzes Meer, von wo diese die Kimmerier in den Vorderen Orient und nach Anatolien verdrängten.

Was im mythischen Ungefähr begann, hatte sehr reale und heftige Auswirkungen auf die Machtverhältnisse im Vorderasien des 1. Jahrtausends vor Christus. Da kamen die Reiternomaden der Kimmerier tatsächlich aus dem Nordosten, besiegten um 715 vor Christus das Kaukasus-Reich von Urartu, bedrohten Assyrien und verwüsteten in Kleinasien die griechischen Küsten-Kolonien. Erst nachdem der Assyrerkönig Assurbanipal den Kimmerierfürsten Tugdamme, die „Ausgeburt der Hölle“, geschlagen hatte, zogen die Barbaren nach rund 100 Jahren an die Schwarzmeerküste um Sinope, wo sie im Nirwana der Geschichte verschwanden.

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Die indoeuropäischen Skythen-Stämme kamen kurz nach 700 vor Christus ebenfalls über den Kaukasus, verjagten die Kimmerier nach Anatolien, zogen gen Mesopotamien, aber auch Richtung Nordpersien und sogar bis an die Grenze Ägyptens. Der Pharao konnte sie nur mit guten Gaben und Diplomatie von Schlimmerem abhalten. Beim Abzug plünderten die Skythen Palästina, was ihnen eine Erwähnung im Alten Testament einbrachte. Selbst die kampfstarken assyrischen Könige hatten der Militärwalze der wendigen Reiter-Horden nichts entgegenzusetzen. König Asarhaddon (680 bis 669 vor Christus) machte den Skythenfürsten Bartatua denn auch lieber gleich zum Schwiegersohn.

Auf eigene Faust und in wechselnden Koalitionen tyrannisierten die Barbaren aus dem Osten den Vorderen Orient. 616 vor Christus wurden sie vom Meder-König Kyaxares geschlagen und zogen sich in das Steppengebiet nördlich des Schwarzen Meeres zurück. Bei ihrem Rückzug über den Kaukasus versetzten sie 585 vor Christus dem Urartu-Reich den endgültigen Todesstoß.

Im Gebiet zwischen Donau und Don etablierten die Flüchtlinge ein Königreich, in den antiken Quellen „Skythien“ genannt. Es betrieb regen Handel mit den – damals von Milet und anderen ionischen Küstenstädten neu gegründeten – griechischen Kolonien an der nördlichen Schwarzmeerküste: Luxus und Lebensart gegen Getreide, Militär-Know-how und Sklaven.

Kunsthandwerkliche Fertigkeiten und Ideen wanderten zwischen Barbaren und Hellenen. Vor allem die Goldarbeiten der Fremden waren sehr begehrt. Dichter der griechischen Kolonien besangen das Land, die Argonautensage vom Goldenen Vlies hatte hier ihren Ursprung. Athen kaufte sich skythische Bogenschützen als Polizei.

Das antike Skythenreich an der Küste des Schwarzen Meeres, obwohl zwischen 500 und 200 vor Christus kein Störfaktor der nahöstlichen Machtpolitik mehr, war für die Griechen offenbar ein Faszinosum: Zwischen Barbarei und Zivilisation, Bewunderung und Schauder schwankend, beschrieben viele antike Literaten die neue Welt. Herodot von Halikarnas- sos, gern als Vater der Geschichtsschreibung apostrophiert, reiste im 5. Jahrhundert vor Christus zu Recherchen selbst nach Skythien. Aus seinen und den Berichten anderer griechischer, persischer und später römischer Schreiber ergibt sich ein ebenso handfestes wie sagenhaftes Bild der Skythen:

Die wilden Reiter aus dem Osten • …waren blutrünstig: Sie tranken das Blut ihres ersten erlegten Feindes. Nach der Zahl der beim König abgelieferten Köpfe berechneten sich der Beutetanteil und die Weinration des Einzelnen. Die Skythen skalpierten die Erschlagenen und hängten die Haarschöpfe an ihr Zaumzeug. Aus den Schädeln ihrer grimmigsten Feinde fertigten sie mit Leder oder Gold überzogene Trinkschalen.

• …kämpften vom Rücken ihrer galop- pierenden Pferde aus mit Lanzen, meist jedoch – scheinbar auf der Flucht – rückwärts mit Pfeil und Bogen schießend. Ihre dreiflügeligen Bronze- und Eisen-Geschosse hatten eine verheerende Durchschlagskraft.

• …berauschten sich in speziellen Zelten an den Dämpfen verkohlter Hanfsamen (Haschisch) und tranken den beliebten griechischen Wein – wie barbarisch! – unverdünnt.

• …bauten keine Häuser und betrieben keine Landwirtschaft, sondern lebten von der Viehzucht.

• …hatten keine Tempel und vermenschlichten Götter, ähnlich wie die Griechen. Für den Kriegsgott wurde auf einen großen Haufen aus Reisigbündeln ein eisernes Schwert gepflanzt, über dem alljährlich das Blut jedes hundertsten Gefangenen ausgeschüttet wurde.

Das Volk, das einst aus der Kälte kam, hatte nach Herodots Notizen seine Bindung an die eurasischen Steppen nie abreißen lassen. Von dort kam auch das Ende: Die Skythen am Schwarzen Meer wurden – Ironie der Geschichte – von wilden Reiternomaden aus Sibirien, den Sarmaten, verdrängt. Nach einem halben Jahrtausend versickert zwischen 250 und 200 vor Christus die skythische Kultur.

Sie wurde wiedergeboren in einem Mythos aus Gold. Im 18. Jahrhundert tauchten die ersten goldenen Zeugnisse der Skythen am Zarenhof Peters des Großen auf, zunächst aus Gräbern des Schwarzmeergebiets, später zuhauf aus Raubgräbereien in den Steppen Sibiriens: goldene Schalen und Becher, Kleiderapplikationen und Pferdezaumzeug aus Goldblech, Kämme und Tierplastiken aus dem gelben Edelmetall, Schnallen, Armreifen, Ketten und pfundschwere Pektorale aus purem Gold. Waffen, Spiegel, Helme und Standartenaufsätze waren zumindest teilvergoldet.

Das „Gold der Skythen“ wurde zum Schlagwort und Titel etlicher vielbesuchter Ausstellungen. Und alle Stücke waren mit sehr eigenwilligen Motiven geziert: Hirsche mit auf den Rücken geworfenem Geweih, auf den Zehenspitzen tänzelnde Wildschweine, sich zusammenrollende Panther, attackierende Greifvögel und Fische. Der „skythische Tierstil“ wurde zum Synonym für Kunst und Kunsthandwerk einer ganzen Epoche. Er kehrt, bei allen regionalen Abweichungen, immer wieder – im gesamten 1. Jahrtausend vor Christus, von Sibirien bis zum Schwarzen Meer.

Wer waren die Schöpfer dieser übergreifenden Kultur? Hermann Parzinger rückt die Frage erst einmal wissenschaftlich zurecht: „ Skythen können wir eigentlich nur die Stämme im nördlichen Schwarzmeergebiet nennen. Wie die Träger dieser Kultur in Sibirien hießen, wissen wir nicht.“ Denn das waren schriftlose Kulturen, im wissenschaftlichen Gebrauch benannt jeweils nach den Orten, an denen die ersten Artefakte gefunden wurden (siehe Zeitleiste unten).

Da der allgegenwärtige Tierstil jedoch eine eurasienweit einheitliche Geisteswelt, vielleicht eine identische Religion und vermutlich eine gleiche Sprache signalisiert, hat sich die Sammelbezeichnung „Skythen“ für die Kriegernomaden eingebürgert, die zu Beginn der Eisenzeit, im ersten Jahrtausend vor Christus, aus Sibirien kamen und die erste historisch und archäologisch fassbare Völkerwanderung bis nach Osteuropa auslösten. Von diesen Gruppen weiß die Wissenschaft inzwischen einiges mehr als die antiken Geschichtsschreiber.

Gold zum Beispiel gab es in der Tat reichlich im Land der Gold hütenden Greife, das Parzinger in die Region des „Minusinsker Beckens“ lokalisiert. Diese Steppenlandschaft liegt am Oberlauf des Jenissei, nördlich des Altai-Gebirges um die Zentren Abakan und Minusinsk, und war schon immer der Verbindungsweg von China und der Mongolei nach Sibirien und weiter nach Westen.

Die Archäologen fanden hier Hunderte von Orten mit gewaltigen Wehranlagen, teilweise aus der Bronzezeit, und eine Großsiedlung aus dem 9./8. Jahrhundert vor Christus, die mit über 100 Häusern, geplanten Straßenzügen und einer Zitadelle stadtähnlichen Charakter hatte. Ein riesiger Friedhof wurde vom 4. Jahrtausend bis zur Zeitenwende genutzt und so zu einer Nekropole mit kontinuierlicher Geschichte ausgebaut. Die Skythen begruben hier ihre Toten ab 900 vor Christus. Es gibt erste Hinweise auf antiken Bergbau und bäuerliche bronzezeitliche Erntegeräte, die in der Steinzeit in Korea erfunden wurden. Und die großartigen skythenzeitlichen Bronze- und Goldschmiedearbeiten, so Parzinger, „sind auch nicht im Sattel fabriziert worden“.

Es lebten also nicht nur viehtreibende Nomaden, Reiterkrieger oder Reiternomadenkrieger in den Steppen jenseits des Urals. Die „ Wohnbevölkerung“ waren wohl Bauern, Kleintierzüchter und Handwerker – doch die bestimmten nicht den Lauf der Geschichte.

Das taten die anderen, die der Urgeschichtler Hansjürgen Müller-Beck in seinem Buch „Die Eiszeiten“ so charakterisiert: „ In Eurasien schlossen sich die Pferdehirten … direkt an die existierenden Jägerkulturen an. Deren Verhalten war … nicht vom Sicherheitsdenken der Pflanzer und Kleintierzüchter bestimmt. Sie blieben daher auch als – berittene – Krieger, zu denen sie rasch wurden, äußerst risikobereite und effektive, beuteorientierte Menschenjäger. Mensch und Pferd bildeten eine universalhistorisch höchst gefährliche Kombination.“

Solchen Reiterkriegern hatten die durchaus kampferprobten Königreiche des Alten Orients nichts entgegen zu setzen. Noch weniger konnten die Sesshaften der Steppe diesen immer wiederkehrenden mobilen Gruppen widerstehen. Die Reiter stülpten den Bauern ihre Kultur über, aus dem Mix der Traditionen entstanden immer neue Regionalkulturen – der Tierstil blieb. Weshalb die Reiterhorden sich auf den Weg machten, ist nicht geklärt: Klimaänderungen werden diskutiert, auch das Ausweichen vor dem Druck anderer aggressiver Gruppen.

Die heute noch sichtbaren Zeichen der skythischen Reiterstämme sind ihre Gräber, Kurgane genannt. Die Erdhügel der schlichten Bestattungen sind längst von Erosion oder Pflug eingeebnet, die rundherum gesetzten Steinplatten aber künden noch heute von ausgedehnten Gräberfeldern. Auf manchen Überlandstraßen im Minusinsker Becken – drei Tagesreisen mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau entfernt – fährt man Kilometer für Kilometer an diesen unscheinbaren Stein-Zeugen einer vergangenen Kultur entlang.

Unübersehbar dagegen ragen die Fürsten- oder Königskurgane als gigantische Landmarken aus der flachen Eintönigkeit der Steppe. Bei Maßen bis zu 100 Meter Durchmesser und mehr als 10 Meter Höhe scheint Parzingers Charakterisierung der Kurgane als „Pyramiden der Steppe“ angemessen.

In der Altai-Provinz Tuva, südlich vom Minusinsker Becken, liegt gar das sibirische „Tal der Könige“ – eine Nekropole mit Tausenden von monumentalen Skythengräbern. Fast alle sind ausgeraubt. Wo die Archäologen noch Inventar vorfinden, stoßen sie immer wieder auf Grabbeigaben chinesischer Provenienz – vierrädrige Wagen, Lackarbeiten, Seide. Einer der altaiischen Fürsten-Kurgane, „Arzan 2″ genannt, bescherte Hermann Parzinger und seinem Grabungsleiter Anatoli Nagler 2001 den Traum eines jeden Archäologen: ein unversehrtes, nicht ausgeraubtes Fürstengrab.

„Wir mussten nur ein bisschen Staub und Dreck wegwischen“, erzählt Hermann Parzinger, dann blickte er mit seinem deutsch-russischen Team auf den größten skythischen Goldschatz, der je am Stück geborgen wurde. Im Kurgan waren ein Mann und eine Frau bestattet und verschwenderisch für das Jenseits geschmückt: Rund 6000 als Panther, Wildschwein oder Hirsch geformte Goldplättchen hatten vor 2600 Jahren die Kleider und Schuhe zum Glitzern gebracht.

Der Skythenfürst trug einen massiven goldenen Halsreif, Goldperlen schmückten seine Stiefel – selbst die eisernen Pfeilspitzen im vergoldeten Köcher waren mit Gold überzogen. Der Kaftan der neben ihm liegenden Frau war ebenfalls mit teilweise massiv gegossenen Gold-Panthern gespickt und zusätzlich mit Perlen aus Malachit, Granat und Bernstein verziert. Ein vergoldeter Spiegel, zwei goldene Haarnadeln und ein goldbeschlagener Kamm lagen neben ihr – selbst ihre Holztasse hatte einen goldenen Griff.

Die „Komposition“ des Kurgans mit weiteren Menschen- und Pferdebestattungen lässt Parzinger vermuten, dass es sich bei Arzan 2 nicht nur um ein Grab, sondern um einen frühskythischen Kultplatz handelt. Die Anlage war nicht als Erdhügel aufgeschüttet, sondern aus unzähligen schweren Steinplatten gebaut. Arzan 2 war der jüngste von vier Stein-Kurganen unter Tausenden von normalen Skythengräbern im „Tal der Könige“ im Altai-Gebirge. Die Lärchen für die Grabkammer wurden zwischen 619 und 609 vor Christus gefällt.

Für ihre edlen Toten betrieben die Skythen einen aufwendigen Bestattungskult. Der König wurde nach seiner letzten Reise in eine holzverschalte Grube gelegt, und man gab ihm alles mit, was für ein würdiges Weiterleben im Jenseits notwendig schien: „ Nebenfrau, Weinschenk, Koch, Stallmeister, Diener, Nachrichtenbringer, Pferde und goldene Schalen“, so Herodot, der in seiner Aufzählung Nahrungsmittel, Wein, Teppiche, Schmuck und Waffen vergaß. Über der Grube „türmen sie einen hohen Grabhügel auf, und im Wetteifer versuchen sie, ihn so hoch wie möglich zu machen“.

Dafür wurde aber nicht planlos Erde aufeinander gehäufelt. Die Großkurgane sind architektonisch geplante Bauten, die bei der Ausgrabung Informationen über Bauweise und Totenritual liefern, wenn sie einigermaßen erhalten sind. Der skythische Königskurgan Barsucij Log bei Abakan ist dafür das aktuellste Beispiel.

In den beiden letzten Jahren haben Parzinger und Nagler diesen 55 mal 55 Meter großen und 10 Meter hohen Bau regelrecht auseinander genommen. Mit einem Spezialbagger – einem Scraper – „ hobelten“ sie den Hügel in 40-Zentimeter-Schichten ab. Dabei offenbarte sich die Arbeitsweise der skythischen Baumeister: Sie hatten den Grabberg aus übereinander geschichteten Placken von Grassoden errichtet, was der Konstruktion eine hohe Stabilität verlieh.

Als obersten Mantel des vierflächigen Pyramidenbaus hatten sie orangerote Lehmblöcke verlegt. Parzinger: „Eine weithin sichtbare, leuchtende Farbmarke in der Gegend.“ Die vier Fußkanten der Pyramide waren mit einer mannshohen Steinplattenmauer umfriedet, in die senkrechte Drei-Meter-Monolithe verbaut waren. Die allerdings waren geklaut – aus anderen, sicher nicht kleinen Kurganen der Region.

Parzinger und sein russischer Kollege Andrey Gotlib von der Staatlichen Chakassischen Universität Abakan wussten vor dem ersten Spatenstich, dass dieses Grab ausgeraubt war. Die charakteristische Senke genau in der Mitte des Hügels signalisierte den senkrechten Schacht, den die Raubgräber einst ausgehoben hatten, um an die Preziosen der Bestattung heranzukommen. Die Ausgräber fanden in der Tat nur eine Handvoll Goldflitter, den die Räuber übersehen hatten.

Dennoch hatte Barsucij Log eine Überraschung für die Forscher parat, die den Hügel zu einem Unikat macht: Wie üblich war in der Mitte der Anlage eine 7 mal 7 Meter große, 4 Meter tiefe Grube ausgehoben, in die die Toten gebettet wurden. Über der Grube errichteten die Grabbauer ein Haus aus Lärchenbalken mit einem Eingangsbereich – einem „Dromos“ –, ebenfalls aus dicken Lärchenbalken.

Nach der Beisetzung zündeten die Bestatter das Toten-Haus samt Dromos an und ließen die verkohlten Balken in die Grube stürzen, die sie dann sorgsam mit Grasmatten auffüllten. Erst nach diesem Ritus errichteten sie über dem Grab die eigentliche Grabpyramide. Parzinger: „Einzigartig! Das gab es bislang noch nirgends.“ Die Hölzer erhaltener, weil damals nicht verbrannter Dromos-Teile liefern Hinweise auf die Zeit des rätselhaften Geschehens: um 600 vor Christus.

Und die Ausgräber stießen auf eine weitere Besonderheit des Kurgans: Die Räuber waren nicht neuzeitliche Schatzsucher gewesen. Die Anführer neuer Reiternomaden, die das Minusinsker Becken eroberten, hatten das Königsgrab ausnehmen lassen. Sie wollten zwar auch das Gold, aber vor allem ging es ihnen darum, Macht zu demonstrieren. Parzinger: „Die Großkurgane mit den Fürstengräbern hatten sicher eine Funktion als Heiligtum, das man immer wieder aufsuchte, um die Ahnen zu ehren.“ Diese Tradition wollten die neuen Herren mit der Grabplünderung bewusst zerbrechen. Sie gingen äußerst gründlich vor. Am Ende schändeten sie das Heiligtum durch die Deponierung eines Hundeschädels.

Das geschah um 200 vor Christus. „Da kam es zu grundlegenden Veränderungen im ganzen eurasischen Steppengebiet“, weiß Parzinger. „Die neuen Gruppen verdrängten, vernichteten oder überschichteten die ansässigen Reiternomaden in Südsibirien.“ Die neuen Herren kamen von jenseits Sibiriens, aus dem fernen Südosten: Hunnen – die ersten nichteuropäischen Reiternomaden.

Sie zogen über das Minusinsker Becken weiter nach Westen, wo sie – wie einst die Kimmerier und die Skythen – als unbesiegbare, blutrünstige Reiterhorden ab dem 2. Jahrhundert nach Christus Europa in Panik versetzten. Da kommt Anatoli Nagler ins wissenschaftliche Grübeln.

Die eisenzeitlichen Skythen (1. Jahrtausend vor Christus) und ihre namenlosen bronzezeitlichen Vorläufer (2. Jahrtausend vor Christus) hatten voll entwickelte Kulturen, als sie im Minusinsker Becken auftauchten. Die Wurzeln dieser indoeuropäischen Gruppen liegen, so vermutet Nagler, ebenfalls weiter östlich – in der Mongolei und in Nordwestchina: „Aber da hinten gibt es noch mehr Fragezeichen als Gewissheiten.“ Immerhin aber stößt man „da hinten“, nämlich im äußersten Nordwesten Chinas, auf die Trockenmumien der Taklamakan-Wüste, die eindeutig „Europäer“ sind (bild der wissenschaft 9/1999, „Der Mumienbeweis“ ).

Wie schließt sich der Kreis? Hermann Parzinger wird wohl auf der Fährte der Alt-Indoeuropäer in die Region östlich der Gold hütenden Greife reisen müssen. Einen Anfang zu dieser nächsten Etappe macht er in diesem Jahr: Noch für 2006 steht ein – skythischer? – Eis-Kurgan in der Mongolei auf dem Arbeitsplan. ■

MICHAEL ZICK , ehemaliger bdw-Redakteur, hat für die Recherche vor Ort die weite Reise nach Süd-Sibirien nicht gescheut.

Michael Zick

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Hermann Parzinger

DIE SKYTHEN

C.H. Beck Wissen, München 2004, € 7,90

Veronique Schiltz

DIE SKYTHEN UND ANDERE STEPPENVÖLKER

Universum der Kunst, Band 39

C.H. Beck, München 1994

(nur noch antiquarisch erhältlich)

EURASIA ANTIQUA und

STEPPENVÖLKER EURASIENS

Publikationen der Eurasienabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin

www.dainst.org

Ohne Titel

Auf Seite 73 des Artikels „Krieger der 13. Wurzel“ der Ausgabe bild der wissenschaft 2/2006 heißt es: „Alexis Lemaire hat jüngst in verschiedenen E-Mails seinem deutschen Konkurrenten den Tod gewünscht. Schlimmer noch: Er hat Morddrohungen gegen Mittring ausgestoßen.“

Hierzu stelle ich namens meines Mandanten Herrn Lemaire fest, dass dieser keinerlei Morddrohungen gegen Herrn Dr. Mittring ausgestoßen hat. Vielmehr hat sich Herr Lemaire durch die Drohungen Mittrings über dessen Anwältin, er werde verfolgt, würde er dessen Rekord brechen und Profit daraus ziehen, eingeschüchtert gefühlt, ohne selbst mit Tötung gedroht zu haben. Er ist im übrigen durch Mittring zur Selbsttötung aufgefordert und als „stupid idiot“ bezeichnet worden.

für Alexis Lemaire

Nils H. Bayer, Rechtsanwalt und Avocat à la Cour

Berlin/Paris am 15.02.2006

Ohne Titel

• Ab dem 6. Jahrhundert vor Christus siedelten skythische Stämme zwischen Don und unterer Donau.

• Ihre Wurzeln reichen 400 Jahre zurück – bis in die Steppe Südsibiriens.

• Dort zeugen noch heute gewaltige Grabhügel, „Kurgane“, von den Urvätern der Skythen und deren Reichtum.

Ohne Titel

Herodot weiss es wieder einmal ganz genau. Die Amazonen sagten zu den jungen Skythen: „Mit euren Frauen können wir nicht zusammenleben … Wir schießen mit Pfeilen und Speeren und leben auf dem Pferd … Wenn ihr uns zur Ehe haben wollt, geht zu euren Eltern und holt euch euer Erbe. Dann werden wir (mit euch) losziehen.“ Die jungen Skythen taten wie empfohlen. Aus der Verbindung ging das Volk der Sauromaten hervor. Die Sauromaten östlich des Dons waren, der Sage zufolge, die Vorfahren der Sarmaten, die die Skythen aus Sibirien verdrängten.

Das Volk der Amazonen war fester und beliebter Bestandteil vieler Erzählungen und Berichte in der Antike. Mit der Königin Penthesilea bekamen die weiblichen Krieger in der Ilias eine quasi-historische Personalisierung: Die Amazonen kämpften auf der Seite der Trojaner, ihre Königin wurde von Achill getötet.

Tatsache ist, dass immer wieder Gräber der Skythen, Sauromaten und Sarmaten entdeckt werden, in denen einzelne Frauen mit ihrem Schmuck, aber in Männerkleidung, mit Waffen und Pferden beigesetzt wurden. Insbesondere aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert sind viele – manche Wissenschaftler sprechen von Hunderten – solcher Gräber gefunden worden. Pfeile und Bogen gehörten zu solchen Bestattungen, ebenso Lanzen, Messer und Streitäxte.

In einer mobilen Gesellschaft, schreibt der Archäologe Alexander Häusler in der Geschichtszeitschrift „Damals“, dürfe man sich die Frauen nicht wehrlos vorstellen: „Bei Abwesenheit der Männer hatten sie viele ihrer Aufgaben zu übernehmen.“ Und die russische Skythenforscherin Natascha V. Polos’mak weiß „aus ethnographischen Fakten, dass Frauen der privilegierten Stände oft Krieger waren“.

Nach Herodot wiederum durften Jungfrauen bei den Sauromaten erst heiraten, wenn sie einen Feind getötet hatten. „Manche werden alt und sterben, … weil sie das Gesetz nicht erfüllen konnten.“ Nach Natascha Polos’mak wäre das weibliche Kriegertum demnach „ein Privileg der jungen Mädchen“ gewesen und habe „nur eine kurze Zeit im Frauenleben eingenommen“. Archäologische Hinweise auf ein ganzes Volk weiblicher Krieger gibt es jedenfalls bislang nicht.

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