Obwohl das Haushuhn ein so wichtiges Nutztier des Menschen ist, liegt die Geschichte seiner Domestikation weitgehend im Dunkeln: Da sich die fragilen Hühnerknochen im Gegensatz zu denen anderer Nutztiere schlecht erhalten, gibt es bislang nur vergleichsweise wenige Funde, die die Erfolgskarriere der Hühnerhaltung dokumentieren. Die Forscher um Lee Perry-Gal von der Universität von Haifa haben sich dem Thema Hühner-Geschichte nun gezielt angenommen. Sie teilen sie in drei Phasen ein: Die Zeit der Domestikation aus der Wildform, die Verbreitung über die Grenzen des natürlichen Vorkommens hinaus und die Einführung als Nutztier in Europa. Zu dieser letzten Phase haben sie nun wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Als klar gilt, dass das Haushuhn einst aus dem südostasiatischen Bankivahuhn (Gallus gallus) hervorgegangen ist. Vermutlich wurde diese Wildform bereits ab dem 6. Jahrtausend v.Chr. gleich mehrmals unabhängig voneinander zum Haustier gemacht. Aus dem 3. bis 2. Jahrtausend v.Chr. stammen dann die ersten Hinweise darauf, dass sich die Hühnerhaltung über das natürliche Verbreitungsgebiet des Bankivahuhns bis in den Westen Asiens und den Nahen Osten ausbreitete. Ab der Mitte des 2. Jahrtausends belegen Aufzeichnungen und Darstellungen, dass man in Mesopotamien, Ägypten und der Levante Hühner kannte. Doch sie wurden offenbar noch nicht in größerem Maßstab als Nutztiere gehalten, berichten die Forscher. Das Federvieh galt noch als exotisch und kam bei Zeremonien zum Einsatz. Auch Hahnenkämpfe waren bereits beliebt.
Die südliche Levante war der Hotspot der Hühnerhaltung
Die frühesten sicheren Hinweise auf eine wirtschaftliche Nutzung des Haushuhns in Europa stammen aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.: Unter den Römern erlangte die Hühnerhaltung schließlich seine Bedeutung bei der Nahrungsmittelproduktion und verbreitete sich in ganz Europa. Perry-Gal und ihren Kollegen zufolge nahm diese Entwicklung im Süden des heutigen Israel seinen Anfang. Ihre Schlussfolgerungen basieren auf Funden aus der Stadt Maresha, die sich in der Antike an einer wichtigen Handelsroute zwischen West und Osten befand. Hier entdeckten die Wissenschaftler große Mengen von Hühnerknochen, die Datierungen zufolge aus dem 4. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. stammen. Charakteristische Spuren an den Knochen belegen, dass die Tiere tatsächlich verspeist wurden. Auch an den Eiern waren die Menschen damals offenbar bereits interessiert: Die Forscher fanden überproportional mehr Überreste von Hennen als von Hähnen.
Perry-Gal und ihren Kollegen zufolge könnte in der südlichen Levante die schrittweise Akklimatisierung der Hühner stattgefunden haben, bis sie zu einem festen Mitglied des dortigen Nutztier-Ensembles avancierten. Dies war möglicherweise der entscheidende Schritt für die etwa hundert Jahre später beginnende Ausbreitung der Hühnerhaltung in Europa. In überlieferten Rezepten der Römer aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. tauchen dann schließlich die ersten Hühnerprodukte auf, berichten die Wissenschaftler.
Originalarbeit der Forscher: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1504236112