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Kommission erforscht Wissenschaftler-Verbindungen zu NS-Verbrechen

Geschichte|Archäologie

Kommission erforscht Wissenschaftler-Verbindungen zu NS-Verbrechen
Neue naturwissenschaftliche Perspektiven haben um die Jahrtausendwende heftige Kontroversen um die ethischen Grenzen wissenschaftlicher Aktivität entfacht. Es geht dabei vor allem um Ergebnisse der Genforschung und die sich aus ihnen ergebenden Möglichkeiten der Manipulation des menschlichen Erbguts. Deutlich wird, wie Nutzen und Gefahren hier eng beieinander liegen.

Als mahnendes Beispiel wird gelegentlich an Praktiken der Nationalsozialisten zur Schaffung eines „erbgesunden“ Volks erinnert. Die angewandten Mittel reichten von menschenrechtsverletzenden Maßnahmen einschließlich Zwangssterilisationen bis zur Vernichtung „unwerten“ Lebens. Prominente Wissenschaftler wirkten dabei mit.

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Prof. Hubert Markl, nennt es eine Lehre aus jener Zeit, dass „Wissenschaft, die sich auf den Menschen bezieht, sich nie nur nach dem richten kann, was technisch machbar und wissenschaftlich begründbar erscheint, sondern dass ihrem Handeln durch die strikte Beachtung der unveräußerlichen Rechte aller Menschen Grenzen gesetzt bleiben müssen, die sie nicht überschreiten darf“.

Markl äußerte sich im Kontext der begonnenen Erforschung der Geschichte der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus. Er berief dafür eine unabhängige Kommission. Die Max-Planck-Gesellschaft ist die Nachfolgeorganisation der KWG.

Unter den Hauptaspekten des auf fünf Jahre angelegten Programms ist die Rolle von Hirnforschern bei der so genannten Euthanasie. Der ärztliche Expertenstab an der Spitze dieses Tötungsprojekts war sich darüber im klaren, dass die damals zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten kaum hinreichten, um den Erbgang von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen zweifelsfrei zu klären. Die Krankenmorde eröffneten nun ganz neue Möglichkeiten. Jetzt nämlich konnte man von der „Euthanasie“-Zentrale im Selektionsverfahren zur Vernichtung freigegebene Menschen, die aber als „interessante Fälle“ die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen hatten, zunächst klinisch beobachten und schließlich auch die Gehirne der Toten sezieren und pathologisch untersuchen.

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Wie der Gastwissenschaftler im Forschungsprogramm, Hans-Walther Schmuhl, in einer der ersten Publikationen der Kommission konstatiert, setzte dies voraus, „dass sich die beteiligten Forscher über elementare allgemein- und berufsethische Normen hinwegsetzten. Wie sich zeigen sollte, hatten viele Forscher damit keine Probleme – es scheint, als sei dadurch, dass man sich grundsätzlich auf das Kategorisieren von Patienten in ‚lebenswert‘ und ‚lebensunwert‘ eingelassen hatte, ein Damm gebrochen“.

Zwischen 1939 und 1944 wurden im KW-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch mindestens 295 Gehirne von „Euthanasie“-Opfern für wissenschaftliche Untersuchungen missbraucht. Weitere 403 verwendete Gehirnpräparate stammten mit hoher Wahrscheinlichkeit von solchen Opfern. Die Forschungsanstalt für Psychiatrie in München erhielt mindestens 194 Gehirne solcher Herkunft für Forschungszwecke.

Die vertretene These, dass die Berliner Hirnforscher alle Gehirne zusammengerafft hätten, deren sie habhaft werden konnten – ganz gleich, ob es sich um Fleckfieberopfer aus dem Warschauer Ghetto, abgestürzte Luftwaffenpiloten oder umgebrachte geistig behinderte Kinder handelte, greift zu kurz, wie Schmuhl feststellt. Bei der Untersuchung der zahlreichen Gehirnpräparate im militärischen Bereich ging es um andere Themen, Fragestellungen und Zielsetzungen als bei der Untersuchung derjenigen aus der „Euthanasie“. In den beiden Instituten gingen 1939-1944 insgesamt etwa 9 000 Gehirnpräparate ein.

Auch Menschenversuche in Auschwitz haben sich KWG-Wissenschaftler zu Nutze gemacht. Im KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik wurden von dort stammende menschliche Blutproben und Augenpaare für die Forschung verwendet. Eine Schlüsselfigur war dabei der berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele, der vorher an der Universität Frankfurt Assistent des 1942 zum Institutsdirektor berufenen Otmar von Verschuer gewesen war. Nach einem Ergebnisbericht von Carola Sachse, Projektleiterin des Forschungsprogramms, und dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Benoit Massin ist noch strittig, ob diejenigen, die Präparate aus Auschwitz verwandten, wussten, auf welche Weise diese dort entstanden sind.

Die neuesten, diese Woche veröffentlichten Forschungsergebnisse betreffen die Zwangsarbeit. Wie der Historiker Jens-Christian Wagner für die Kommission recherchierte, dürften zwischen 1939 und 1945 mindestens tausend Personen für die KWG Zwangsarbeit geleistet haben.

Über den Stand der Kenntnisse zu Beginn der Kommissionsarbeit informiert eine von der Historikerin Doris Kaufmann herausgegebene zweibändige Neuerscheinung des Wallstein Verlags (Göttingen): „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung“

dpa

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