In Frankreich setzte die Tendenz zur Zentralisierung in Paris bereits kurz vor dem 15. Jahrhundert ein, also rund 200 Jahre vor dem Absolutismus. So lautet eine der Schlussfolgerungen, zu denen ein Team von Forschern gekommen ist, das die Geburts- und Sterbeorte namhafter Persönlichkeiten der vergangenen 2000 Jahre statistisch auswertete. Ziel der Wissenschaftler der Universitäten Zürich, Boston und Dallas war es, am Beispiel von Europa und Nordamerika Migrations- und Interaktionsmuster der Kulturgeschichte zu beleuchten.
Datengrundlagen waren die biographischen Daten von über 150.000 Personen, die in drei online verfügbaren Künstler-Datenbanken abrufbar sind. Geburts- und Todesdaten seien für Kunsthistoriker etwas vom Langweiligsten überhaupt, gesteht Schich, von der ETH Zürich. „Doch verfügt man über genügend langweilige Daten, so finden sich darin plötzlich spannende Muster.“ Laut den Wissenschaftlern zeigt die Visualisierung der Migrations- und Interaktionsmuster, welche Orte in welchen Zeiträumen kulturelle Attraktivität besitzen.
Im Zeitraffer lassen diese Mobilitätsmuster beispielsweise erkennen, wie Amerika nach seiner Entdeckung auch von Kulturschaffenden allmählich erschlossen wurde. Man sieht einen starken Sog in Richtung Westküste, etwa Hollywood. In Europa ging ein Großteil der kulturellen Entwicklung seit der Antike von Rom aus. In Frankreich setzte die Tendenz zur Zentralisierung in Paris bereits kurz vor dem 15. Jahrhundert ein, also rund 200 Jahre vor dem Absolutismus. Durch die Kumulation der Sterbedaten namhafter Persönlichkeiten, die vor allem für die Zeit nach dem 13. Jahrhundert dokumentiert sind, konnten die Forscher graphisch darstellen, wie Paris seine Rolle als zentraler Knotenpunkt des kulturellen Schaffens kontinuierlich ausbaute. Ganz anders ist die Dynamik hingegen in Deutschland und anderen Staaten Europas, wo parallel zur Zentralisierung in Frankreich Föderalisierungsprozesse auftraten. In Deutschland fluktuierte vom 13. Jahrhundert an die Attraktivität von Städten wie München, Köln, Leipzig, Heidelberg, Dresden, Hamburg oder Berlin.
Laut den Autoren ist für die Kunstgeschichte insbesondere die Erkenntnis neu, dass nicht allein ökonomische Zentren Anziehungspunkte für Künstler waren. Geburts- und Sterbeorte der erfassten Persönlichkeiten korrelieren teilweise auch nur gering mit den jeweiligen Ortsgrößen. In Hollywood jedoch starben zehnmal mehr Kulturschaffende, als dort geboren wurden.
Die Studie des Forscherteams wird am 7. August 2014 in „Science“ veröffentlicht. Ein Video, in dem die Ergebnisse in Form einer Animation aufbereitet sind, gibt es hier: http://www.youtube.com/watch?v=4gIhRkCcD4U&feature=youtu.be