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Massaker im steinzeitlichen Polen

Geschichte|Archäologie

Massaker im steinzeitlichen Polen
Massengrab
Blick ins steinzeitliche Massengrab im polnischen Koszyce. (Bild: Piotr Wodarczak)

Vor rund 5000 Jahren wurden 15 Männer, Frauen und Kinder im heutigen Südpolen brutal ermordet und in einem Massengrab bestattet. Jetzt liefern DNA-Analysen der Toten neue Hinweise darauf, wer diese Menschen waren und warum sie starben. Demnach handelt es sich bei den Toten um die Mitglieder einer Großfamilie aus der Kugelamphoren-Kultur, die möglicherweise von benachbarten Gruppen der Schnurkeramikkultur getötet wurden.

Das 3. Jahrtausend v.Chr. war eine Zeit großer kultureller und demografischer Umbrüche in Europa. Denn damals wanderten Reiternomaden und andere Volksgruppen aus der Pontischen Steppe nach Westen ein und lösten unter anderem die Entstehung der Schnurkeramik aus – einer für diesen Übergang zur Bronzezeit prägenden Kultur in Mitteleuropa.

Durch einen Schlag auf den Kopf getötet

Doch etwa zur gleichen Zeit – 3300 bis 2700 v.Chr. – war in weiten Teilen Ost- und Mitteleuropas bereits die Kugelamphoren-Kultur verbreitet – eine durch Herdenviehhaltung geprägte halbnomadische Kultur. Wie diese Hirten und Pastoralisten jedoch mit ihren eingewanderten Schnurkeramik-Nachbarn interagierten und ob die Beziehungen beider Kulturen friedlich oder kriegerisch waren, darüber war bisher kaum etwas bekannt. Mehr Licht in dieses Verhältnis wirft nun ein steinzeitliches Massengrab, das 2011 in der Nähe des südpolnischen Ortes Koszyce entdeckt worden ist.

Das Grab enthält die Überreste von 15 toten Männern, Frauen und Kindern der Kugelamphoren-Kultur, wie anhand der Grabbeigaben zu erkennen ist. „Eine nähere Analyse der Skelette enthüllte, dass alle Personen in diesem Grab durch Schläge auf den Kopf getötet wurden – möglicherweise bei einem Überfall ihrer Siedlung“, berichten Hannes Schroeder von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen. Das Fehlen von Abwehrverletzungen deutet zudem darauf hin, dass die Männer, Frauen und Kinder nicht im Kampf starben, sondern erst gefangen und dann hingerichtet wurden. Trotz dieses gewaltsamen Todes waren jedoch alle Opfer der Gewalttat sorgfältig mitsamt Grabbeigaben bestattet worden.

Konflikt mit den schnurkeramischen Nachbarn?

Um mehr über die Herkunft und das Schicksal dieser Toten herauszufinden, haben Schroeder und sein Team nun die Gebeine und deren Erbgut genauer analysiert. Die DNA-Analysen bestätigten, dass alle 15 Toten der Kugelamphoren-Kultur angehörten. Denn ihr Erbgut enthielt zwar etwa 30 Prozent Gene europäischer Jäger-und-Sammler-Vorfahren und rund 70 Prozent Gene eingewanderter neolithischer Bauern, aber keine DNA der Steppennomaden, wie die Forscher berichten. Das deutet darauf hin, dass diese Population sich weder gegenwärtig noch in der Vergangenheit mit den aus der Pontischen Steppe stammenden Volksgruppen in ihrer Nachbarschaft gekreuzt haben.

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Stattdessen könnte dieser klare Bruch zwischen den Kulturen kombiniert mit dem Massengrab womöglich auf eher kriegerische oder zumindest konfliktgeladene Beziehungen hindeuten. „Es ist zwar unmöglich, die Täter dieses Massakers zu identifizieren, aber es ist interessant festzustellen, dass es sich genau um die Zeit ereignete, als der Komplex der schnurkeramischen Kultur sich über weite Teile Mitteleuropas ausbreitete“, konstatieren Schroeder und seine Kollegen. Ihrer Ansicht nach ist es gut denkbar, dass es damals zu territorialen Streitigkeiten zwischen den mit ihren Herden umherziehenden Gruppen der Kugelamphoren-Kultur und den Schnurkeramikern kam.

„Die pastorale Lebensweise bringt ein großes Maß an Mobilität in oft nur vage abgesteckten Territorien mit sich“, sagen die Forscher. „Das wiederum birgt ein signifikantes Konfliktpotenzial mit benachbarten Gruppen.“ Das Massaker an den 15 Männern, Frauen und Kindern könnte daher ein Versuch der Schnurkeramiker darstellen, die konkurrierende Kugelamphoren-Kultur aus ihrem Territorium zu vertreiben.

Familienbande bis in den Tod

Gleichzeitig lieferte das Erbgut aber auch Hinweise auf die Verwandtschaftsverhältnisse der 15 Toten untereinander: Die DNA-Analysen enthüllen, dass es sich offenbar um Angehörige derselben Großfamilie handelte. „Wir haben vier Kernfamilien in dem Grab identifiziert, die größtenteils aus Müttern mit ihren Kindern bestanden“, berichten Schroeder und sein Team. Während jedoch die erwachsenen Frauen nicht miteinander verwandt waren, teilten die Männer eine gemeinsame Herkunft. Vier der acht Männer waren Halbbrüder, weitere Männer waren über Verwandtschaften zweiten Grades miteinander verbunden.

„Die Präsenz nicht verwandter Frauen und verwandter Männer in diesem Grab ist interessant, denn es deutet darauf hin, dass die Gemeinschaft in Koszyce patrilinear organisiert war“, erklären die Forscher. Bei dieser Gesellschaftsform prägt die väterliche Linie die Familienstruktur, Frauen dagegen heiraten in diese Sippen ein oder werden in andere Clans verheiratet. „Das bestätigt die zunehmenden Indizien dafür, dass diese Form der sozialen Organisation unter den spätneolithischen Gemeinschaften in Mitteleuropa vorherrschte“, so Schroeder und seine Kollegen.

Interessant auch: Bestattet wurden die Toten offenbar nicht von ihren Feinden, sondern von Menschen, die diese Familien gut kannten. Denn die sterblichen Überreste der im Massaker Ermordeten wurden nicht wahllos ins Grab geworfen, sondern sorgfältig nach Verwandtschaft gruppiert bestattet. So wurden die Kinder neben ihren Müttern platziert und Geschwister eng nebeneinander. „Diese Anordnung zeigt, dass die wichtigsten sozialen Beziehungen in dieser Gemeinschaft die die durch Genetik und Fortpflanzung geprägten Verwandtschaftsbeziehungen waren“, sagen die Forscher.

Quelle: Hannes Schroeder (Universität Kopenhagen) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.1820210116

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