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Mauern wie in Mykene

Geschichte|Archäologie

Mauern wie in Mykene
Als Mitteleuropa kulturell noch ziemlich unbedarft schien, wurde hoch in den österreichischen Alpen eine Burg errichtet, die eher ins bronzezeitliche Griechenland gepasst hätte. Wer waren die Erbauer dieser einzigartigen Wehranlage – und was hatten sie zu verteidigen?

Lahme Lamas behinderten die Gruppe um den baden-württembergischen Archäologen Rüdiger Krause bei der Expedition in die österreichischen Ostalpen. Die Tiere weigerten sich, das Gepäck zu tragen, die Wissenschaftler mussten es selbst schultern. Dennoch erfüllten die Lamas einen Zweck – sie hatten die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein archäologisches Projekt gelenkt, das Überraschungen verspricht – eine veritable, 3700 Jahre alte Burg, die erste in Mitteleuropa.

1999, vier Jahre vorher war Krause auf der Suche nach prähistorischen Siedlungsspuren, ohne Lama und Gepäck, durch das österreichische Montafon gewandert – einen weißen Flecken auf der vorgeschichtlichen Landkarte. 240 Meter über der Talsohle von Schruns nahe des Ortes Bartholomäberg fielen ihm Stufen und regelmäßige Formen auf einem Geländesporn auf. Die konnten nur Menschenhände geschaffen haben. Krause vermutete Reste einer mittelalterlichen Siedlung, aber er wollte es genau wissen. Kurzerhand nahm er eine Bodenprobe und ließ im Labor das Alter der Holzkohlereste darin mit der Radiokarbon-Methode bestimmen. Ergebnis: Krause war auf eine Siedlungsstätte aus dem 16. oder 17. Jahrhundert v.Chr.gestoßen.

Im Jahr 2000 begannen die Ausgrabungen. Archäologen der Freien Universität Berlin, Botaniker der Universität Innsbruck und Archäometallurgen der Bergakademie Freiberg in Sachsen versuchten, das Geheimnis der bronzezeitlichen Wohnstätte und ihrer Umgebung zu lüften. Gefördert mit Geldern des Gemeindeverbandes Montafon, der Thyssen-Stiftung und privater Sponsoren kamen die Wissenschaftler den prähistorischen Alpenbewohnern auf die Spur:

In fast 1000 Meter Höhe hatten die Burgbauer sich eine Stelle mit Panoramablick ins Tal ausgesucht, Südhang mit viel Sonne – beste Lage also. Sie nutzten für ihren Neubau Terrassen, die frühere Siedler angelegt hatten. Auf dem mittleren von drei Plateaus errichteten sie eine halbrunde Mauer, um die Wohnstatt zum Berg hin zu schützen. Auf der Talseite fiel das Gelände so steil ab, dass sie dort keine steinerne Sicherung benötigten. Vielleicht standen dort Palisaden.

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Das Wehrwerk war von beeindruckender Mächtigkeit: Zwischen die innere und äußere Mauerschale hatten die Burgerbauer Bruchsteine gefüllt. Bis zu drei Meter war die Mauer dick. „So etwas würde man in Mykene erwarten, aber nicht in unseren Breiten“, kommentiert Rüdiger Krause den Fund. Die sechs bis acht Holzhütten hatten die Bewohner auf steinernen Fundamentplatten errichtet. „Die Häuser waren bis zu fünf Meter lang und wegen des Platzmangels direkt an die Mauer gebaut“, beschreibt der Archäologe die beengte Wohnsituation. Eine weitere Mauer riegelte die Terrassen gegen den Hang ab.

Für die Ausgräber ist die Burg in den Bergen ein Glücksfall: Mauern, Fundamente, Feuerstellen – alles können sie präzise verschiedenen Siedlungsschichten zuordnen und exakt datieren. Sämtliche Bauten stammen aus dem 16./15. vorchristlichen Jahrhundert. Auch Troja – oder die Siedlung, die man heute dafür hält – wurde ungefähr zu dieser Zeit zu der Festung ausgebaut, um die dann – angeblich – der Trojanische Krieg tobte.

Die vorgeschichtliche Eroberung der Alpen durch den Menschen hatte mit der Wende vom 3. zum 2. Jahrtausend v.Chr. begonnen. Natürliche Einfallstraßen wie das Rheintal führten die bronzezeitlichen Bauern auf der Suche nach neuen Lebensräumen ins Gebirge. Sie fanden in den Höhen relativ günstige Bedingungen, denn um 2400 v.Chr. veränderte sich das Klima: Die Temperaturen stiegen um ein bis zwei Grad, und es gab weniger Niederschlag als zuvor. Die Gletscher zogen sich zurück. Ackerbau und Viehzucht wurden auch in höheren Lagen möglich. Im Sommer trieben die Hirten das Vieh in die Berge auf die saftigen Almwiesen und holten es mit Beginn der schlechten Witterung wieder zurück.

In dieser Zeit stieg auch die Nachfrage nach nützlichen oder prestigeträchtigen Dingen aus Kupfer und Bronze enorm. Der Kupferbergbau in den Alpen gewann entsprechend an Bedeutung. Ein reger Warenaustausch zwischen den Tälern, aber auch weit über den Alpenraum hinaus bis nach Schweden und Osteuropa begann. Ideen und Innovationen wurden weiter getragen – ganz offensichtlich eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderung.

Mit Folgen: Im 17./16. Jahrhundert v.Chr. begannen die Alpenbewohner plötzlich, ihre Siedlungen zu befestigen. Die Burg von Bartholomäberg ist eines der ältesten Zeugnisse. Das bronzezeitliche Bellevue war schon zuvor bewohnt gewesen, aber erst jetzt schleppten die Menschen riesige Steinbrocken heran, um eine Mauer um ihre Häuser zu ziehen. Das war nicht die Arbeit einer einzelnen Familie, vermutet Rüdiger Krause: „Wahrscheinlich hat eine soziale Elite diese Anlage initiiert.“ Aber wofür? Für bloßen Wind- und Witterungsschutz war der Schutzwall zu aufwendig.

Der Grund lag vermutlich in folgender Entwicklung: Seit dem 3. Jahrtausend verwendeten die Menschen in Europa Werkzeuge und Waffen aus Kupfer oder Bronze. Erzgewinnung, -bearbeitung und Handel waren wesentliche Bestandteile des wirtschaftlichen Lebens. Dafür waren Spezialisten nötig – Bergleute, Handwerker und Händler. Die Gesellschaft gliederte sich immer stärker in Gruppen, die unterschiedliche Arbeiten ausführten. Das musste übergeordnet organisiert werden – es bildeten sich Eliten mit wirtschaftlicher und religiöser Autorität. Doch Macht, Wissen und Besitz müssen gegen Rivalen verteidigt werden. Auch in den Alpen, so die Vermutung, entstand eine Führungsschicht, die ihren Machtanspruch durch dicke Mauern manifestierte.

Rüdiger Krause holt für eine andere Überlegung weit aus: Seit etwa 2000 v.Chr. ließen sich die Menschen rund um die Adria mit Vorliebe auf Hügelkuppen nieder. Ihre elitären Wohnstätten hatten ein befestigtes Zentrum (Akropolis), um das sich einfachere Wohngebiete legten, sodass stadtähnliche Strukturen entstanden. Vielleicht, so der Archäologe, haben ägäische Handwerker oder Händler Anregungen zum Mauerbau in die Alpen gebracht.

Mit der prähistorischen Metallurgie beschäftigt sich der Zweite im interdisziplinären Bunde von Montafon. Ernst Pernicka, bis 2004 Professor für Archäometallurgie an der sächsischen Bergbauuniversität Freiberg und jetzt an der Universität Tübingen, spürt der bronzezeitlichen Kupfergewinnung und Metallbearbeitung nach. Die Alpenburgbewohner haben dazu allerdings nur wenige Hinweise hinterlassen. Gewandnadeln aus der Zeit des Mauerbaus sind Pernickas einziger Anhaltspunkt. Das Metall dieser Fibeln, so wies er nach, wurde mit großer Wahrscheinlichkeit in der Region abgebaut – eine recht vage Aussage.

Die Untersuchung eines kleinen Bergwerkstollens im benachbarten Gaflunatal versprach mehr Informationen. Dort wurde das Kupfererz durch „Feuersetzen“ gewonnen. Dazu wurde im Stollen ein Feuer entzündet. Die Hitze machte das erzhaltige Gestein porös, es konnte leichter abgebaut und verarbeitet werden. Die Technik ist in Mitteleuropa seit der frühen Bronzezeit bekannt.

Pernickas Hoffnung wuchs, tatsächlich eine Erzgrube aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend gefunden zu haben. Zwei verkohlte Hölzer am Untersuchungsort – vermutlich zum Brandsetzen verwendet – machten dieser Hoffnung jedoch ein jähes Ende: Die Radiokarbonmethode verwies sie eindeutig in die Neuzeit. Pernickas Suche nach einem bronzezeitlichen Bergwerk geht weiter. Sie wird dadurch erschwert, dass in den gesamten Ostalpen ab dem Mittelalter intensiv Bergbau betrieben wurde und viele ältere Spuren für immer verloren sind.

Während sich der Archäometallurge Pernicka gern in alten Stollen aufhält, zieht es Klaus Oeggl zu den Mooren. Der Professor für Botanik an der Universität Innsbruck liest aus ihnen die Vegetation vergangener Zeiten ab. In der moorigen Tiefe schlummern Reste von Pflanzen, die in der Gegend vor fast 4000 Jahren wuchsen.

Oeggl erkennt darin einen drastischen Wandel: Um 1700 v.Chr. ging der Bestand an Fichten und Tannen, den damaligen Hauptbaumarten, stark zurück, an ihrer Stelle wuchsen Gräser. Eine bestimmte Pilzart breitete sich aus, die nur auf dem Dung von Tieren gedeiht. Es ist nicht schwierig, diesen Befund zu übersetzen: Die damaligen Siedler rodeten die Wälder, um Flächen zum Getreideanbau und Weiden für ihr Vieh zu gewinnen.

Rüdiger Krause war nach diesem Ergebnis klar: „Es müssen noch weitere Siedlungen da sein. Das kann nicht alles sein.“ Und noch etwas: Es ist schier unmöglich, dass die Bewohner des Burgfleckens, 35 bis 40 an der Zahl, die kompakte Mauer allein gebaut haben. Dazu brauchten sie kräftige Helfer, die in Siedlungen um die Burg gewohnt haben könnten. Wahrscheinlich versorgten sie die Burgbewohner auch mit Nahrungsmitteln aus ihrer Landwirtschaft. Dafür bekamen sie vermutlich Waffen und Ackerbaugeräte aus Metall, deren Verteilung die Elite hinter der Mauer kontrollierte – so die Arbeitsthese. Nach der Ausgrabung der Burganlage 2003 suchte Rüdiger Krause mit seinen Studenten deshalb Reste von Gehöften in der Umgebung. Die Archäologen zogen im umliegenden Gelände Bodenproben und untersuchten die Bohrkerne auf Holzkohle und andere Siedlungsspuren. Tatsächlich fanden sie auf den sonnigen Hängen in Sichtweite der Burg Überbleibsel einer Siedlung. C-14-Datierungen verwiesen sie jedoch in das 14./13. vorchristliche Jahrhundert – da war die Burg schon verlassen.

Statt Fragen zu beantworten, hat der Fund also neue aufgeworfen. Vielleicht sind die Bewohner aus ihrer mauerbewehrten Anlage in eine unbefestigte Siedlung umgezogen. Möglich ist auch, dass die jüngeren Siedlungsspuren ältere überdecken. Der Schleier ist noch nicht völlig gelüftet. „Es ist wichtig, dass wir die Grabungen hier fortsetzen, sonst bleibt das ein Fragment“, sagt Rüdiger Krause. Auf seiner Fund-Wunschliste stehen auch Gräber und ein Kultplatz – davon gibt es bis heute noch keine Spur. Der Archäologe hat gute Chancen, die Rätsel der bronzezeitlichen Alpenfestung zu lösen. Ausnahmsweise wartet einmal keine Baggerschaufel ungeduldig darauf, Platz zu schaffen für die Bedürfnisse unserer modernen Welt.

Rüdiger Krause hat inzwischen das Montafon auch privat entdeckt: als Gebiet zum Wandern und Erholen – dafür braucht man keine störrische Lamas. ■

Ulrike Biehounek

Ohne Titel

• Vor über 4000 Jahren eroberten die Mitteleuropäer den Alpenraum.

• Die Führungsschicht der bronzezeitlichen Gesellschaft kontrollierte die Metallgewinnung und -verarbeitung.

• Im 17./16. vorchristlichen Jahrhundert erbaute diese Elite die ersten Burganlagen in den Alpen.

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Rüdiger Krause, Klaus Oeggl, Ernst Pernicka

EINE BEFESTIGTE BURGSIEDLUNG DER BRONZEZEIT IM MONTAFON

Interdisziplinäre Siedlungsforschungen und Montanarchäologie in Bartholomäberg und im Silbertal

in: Archäologie Österreichs 2004 Für € 6,90 plus Versand zu beziehen über: Alexandra.Krenn-Leeb@univie.ac.at

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ZUR ENTSTEHUNG VON MACHT, HERRSCHAFT UND PRESTIGE IN MITTELEUROPA

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DER LANGE WEG ZUR GESCHICHTE – DIE URGESCHICHTE ÖSTERREICHS

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AUSSTELLUNG

Bis zum 25. Oktober 2005 im Montafoner Heimatmuseum in Schruns:

DIE PRÄHISTORISCHE BESIEDLUNG MONTAFONS

7000 Jahre Besiedlungsgeschichte von der Steinzeit bis zu den Römern

www.montafon.at/portal/content/ museen/home.htm

Zum Thema der Ausstellung ist eine interaktive CD-ROM erarbeitet worden, die für € 10,– zuzüglich Versand zu beziehen ist: museen@montafon.at

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