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Mimische Fähigkeiten formten das Gesicht

Geschichte|Archäologie

Mimische Fähigkeiten formten das Gesicht
Schädel von Homininen aus den letzten 4,4 Millionen Jahren (Bild: Rodrigo Lacruz)

Es ist typisch menschlich: Unsere Antlitz unterscheidet sich deutlich von den Gesichtern unserer Affenverwandtschaft und auch von den Versionen der archaischen Vertreter unseres Stammbaums. Aber wie und warum hat sich das Gesicht auf diese Weise entwickelt? Einem Forscherteam zufolge wurde bei dieser Frage bisher eine Einflussgröße zu wenig beachtet: Auch soziale Aspekte haben neben den biomechanischen und physiologischen Faktoren die Entwicklung unseres „Aushängeschilds“ geprägt. In den Merkmalen des Gesichts spiegelt sich demnach seine Bedeutung bei der nonverbalen Kommunikation wider.

Die Evolution ist gleichsam die „Abteilung für Forschung und Entwicklung“ der Natur: Seit vielen Jahrmillionen bringt sie immer neue Modelle von Lebewesen hervor und passt sie ständig an neue Herausforderungen an. Das Prinzip dabei: Erweist sich ein bestimmtes Merkmal als vorteilhaft für das Überleben und die Fortpflanzungsrate einer Art, kann es sich im Lauf der Generationen verstärken. Beispiel: Für die Vorfahren der Giraffen war ein langer Hals vorteilhaft, um an Nahrung zu kommen. So wurde er im Lauf der Entwicklungsgeschichte länger, bis ein Punkt erreicht war, ab dem die Nachteile einer weiteren Zunahme die Vorteile überstiegen. Bei subtileren Merkmalen von Lebewesen sind die Hintergründe oft weniger offensichtlich wie beim Giraffenhals. Bei ihnen stellt sich allerdings ebenfalls die Frage, welche evolutionären Einflussgrößen sie geprägt haben könnten.

Was prägte die Gesichtsformen?

In diesem Zusammenhang hat sich nun ein internationales Forscherteam der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Gesichts gewidmet. Seine grundlegenden Aspekte sind natürlich von den Hauptfunktionen geprägt: Es handelt sich um einen Komplex aus 14 einzelnen Knochen, die Teile des Verdauungs-, Atmungs-, Seh- und Riechsystems formen. Die Besonderheit besteht jedoch darin, dass der moderne Mensch neben seinem rundlichen Schädel ein ausgesprochen kurzes, kaum hervorstehendes Gesicht besitzt. Darin unterscheidet es sich deutlich von den Versionen unserer nächsten lebenden Verwandten – den Schimpansen und Bonobos. Klar ist auch: Die archaischen Vertreter unseres Stammbaums, wie etwa die Neandertaler, besaßen ebenfalls noch andere Gesichtsmerkmale.

Im Rahmen ihrer Überblicksstudie haben die Forscher nun fossile Daten zur Evolutionsgeschichte des Gesichtskeletts der letzten sechs Millionen Jahren begutachtet. Sie stellten die Informationen dabei in einen Kontext mit den möglichen Faktoren Entwicklung, Morphologie und Funktion. Ihr besonderes Augenmerk lag auf den Veränderungen in der Entwicklung des Gesichts bei den frühen afrikanischen Homininen bis hin zum Auftreten der modernen menschlichen Anatomie.

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Wie die Forscher berichten, scheint klar, dass die Entwicklung der menschlichen Gesichtsformen vom Klima im jeweiligen Lebensraum und vor allem vom Wandel bei der Ernährungsweise geprägt war. Das bedeutet: Weil die zunehmenden Fähigkeiten zur Verarbeitung von Lebensmitteln zu einem verringerten Kaubedarf führten, wurde an der Investition in diesen Apparat eingespart: Die Gesichter wurden deshalb kleiner und zierlicher. Besonders deutlich zeichnet sich dies beim frühen afrikanischen Homo erectus ab, der sich vor knapp zwei Millionen Jahren entwickelt hat. Der Schrumpfungsprozess verstärkte sich später weiter und bekam erneut einen Schub durch die Einführung der Landwirtschaft. Als die Menschen von Jägern und Sammlern zu Bauern wurden, gab es immer weniger Bedarf an kräftigen Kieferstrukturen. Möglicherweise verloren auch robuste Merkmale wie Knochendicke und Überaugenwülste etwas an Bedeutung.

Ein vernachlässigter Aspekt

„Wir wissen, dass Faktoren wie Ernährung, Atmungsphysiologie und Klima zur Gestaltung des modernen menschlichen Gesichts beigetragen haben, aber wenn man die Entwicklung nur im Hinblick auf diese Faktoren interpretiert, wäre dies eine Vereinfachung“, betont Co-Autor Paul O’Higgins von der University of York. Wie er und seine Kollegen berichten, spiegelt sich in der Veränderung der Merkmale auch die zunehmende Bedeutung des Gesichts als Kommunikationsfläche wider. Die Anpassungen eröffneten unseren Vorfahren vermutlich mehr Möglichkeiten für Mimik und nonverbale Kommunikation. Sie dienten der Entwicklung der komplexen zwischenmenschlichen Zusammenarbeit, die zum Schlüssel des Erfolges unserer Spezies avancierte.

Ein wichtiger Aspekt bei der Geschichtsveränderung war den Forschern zufolge etwa der Übergang von den ausgeprägten Stirnkämmen der archaischen Menschenformen zu den vergleichsweise glatten Strukturen des modernen Menschen: Sie verstärken den Bewegungsspielraum der Augenbrauenpartie. Unsere vergleichsweise zierlichen, feinmotorischen Gesichter ermöglichen es, eine Vielzahl subtiler Emotionen auszudrücken – einschließlich Anerkennung und Sympathie, sagen die Wissenschaftler.

„Wir können jetzt mit unseren Gesichtern über 20 verschiedene Kategorien von Emotionen durch Kontraktion oder Entspannung der Muskeln signalisieren“, sagt O’Higgins. „Es ist unwahrscheinlich, dass unsere frühen menschlichen Vorfahren die gleiche Gesichtsgewandtheit hatten, weil die Gesamtstrukturen ihrer Gesichter und Muskeln deutlich anders waren als die unseren“, sagt der Wissenschaftler.

Er und seine Kollegen kommen deshalb zu dem Fazit: Unsere Gesichter sollten als Ergebnis einer Kombination von biomechanischen, physiologischen Faktoren und nonverbalen Kommunikationsfähigkeiten gesehen werden. Der letztere Aspekt hat dabei bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, resümieren die Wissenschaftler.

Quelle: University of York, Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-019-0865-7

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