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Mit Quanten ist zu rechnen

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Mit Quanten ist zu rechnen
Irrwitzige Theorien führen zu brauchbaren Produkten. Physiker schicken sich an, die Quantenphysik für technische Anwendungen zu erschließen. Quantencomputer und Quantenlaser sollen die Informationstechnik revolutionieren.

Es bedarf keiner großen Rechenkünste, um die Zahl 15 in ihre beiden Faktoren 3 und 5 zu zerlegen. Zu Recht würde belächelt, wer für diese Aufgabe einen Taschenrechner oder gar einen Computer zu Rate zöge. Was soll man gar von jemandem halten, der zur Lösung dieses Problems ein Experiment aufbaut, in dem einige der verrücktesten Ideen der Quantentheorie ihren Niederschlag finden?

Zu Beginn der achtziger Jahre begann eine kleine Schar Verwegener zu überlegen, ob man nicht einen Computer bauen könnte, der durch geschicktes Ausnutzen quantenmechanischer Effekte zu atemberaubender Schnelligkeit aufläuft. Statt Transistoren aus Silizium, sollten darin einzelne Atome die Rechenarbeit verrichten. „Quantencomputer“ nannten die Forscher diese zunächst fiktive Idee, die jedoch im Laufe der Jahre immer konkretere Formen annahm.

Einer der Vorschläge, wie man den Prototyp eines Quantencomputers realisieren könnte, stammt von Prof. Peter Zoller und seinem Kollegen Dr. Ignacio Cirac von der Universität Innsbruck. Ihr primitiver Quantenrechner besteht aus sogenannten Ionenfallen, mit denen sich ionisierte Atome einfangen und so sehr abkühlen lassen, daß ihre Wärmebewegung praktisch zum Erliegen kommt. „Im Laufe der Jahre sind solche Fallen immer perfekter geworden. Heute arbeiten sie bereits am Quantenlimit, wo wir die Quanteneigenschaften der Ionen ausnutzen können“, begründet Prof. Peter Zoller den Vorteil des Fallen-Konzepts.

Durch geeignete Felder werden die Ionen in der Falle in Reih und Glied gedrängt – sie bilden eine Kette, in der jedes Ion einem Informationsbit entspricht. Die Besonderheit: Durch die Verkettung kann jedes Bit mit jedem anderen „kommunizieren“. Mit diesen Ionen zu rechnen heißt nun, sie einem Blitzlichtgewitter von Laserpulsen auszusetzen. Die „Software“ des Quantenrechners steuert, wann welcher Laser mit welcher Frequenz und wie lange auf dieses oder jenes Ion zu zielen hat.

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Den Quantencomputer wie einen gewöhnlichen Rechner zu betreiben wäre zwar möglich, hieße aber, seine Fähigkeiten zu vergeuden. Denn als Quantengerät kann man den Computer in Zustände versetzen, die der klassischen Physik fremd sind. Wo diese nur ein „Entweder/Oder“ kennt, gibt es in der Quantentheorie auch ein „Sowohlalsauch“. Ein einzelnes Ion kann sich energetisch nicht nur im Grundzustand oder in einem angeregten Zustand befinden – entsprechend den Zuständen 0 und 1 eines klassischen Bits -, in ihm können diese beiden Möglichkeiten gleichzeitig überlagert sein.

Die Zahl der überlagerten Zustände wächst exponentiell mit der Zahl der verketteten Ionen. Schon mit zehn Ionen könnte sich ein Quantencomputer in 1024 verschiedene Zustände verzweigen und in jedem dieser Pfade paral lel Berechnungen ausführen. Zwingt man die verschiedenen Pfade, sich zu überlagern, läßt sich aus dem Interferenzmuster das Endergebnis ablesen.

Diese Überlagerung der verschiedenen Pfade funktioniert aber nur, wenn während der Rechnung der innere Zusammenhalt, die sogenannte Kohärenz, nicht verloren geht. Jede Störung würde den Quantencomputer sofort in einen klassischen Zustand zurückwerfen und damit die Rechenoperation abbrechen. Ob sich die rechnenden Ionen lange genug von der Außenwelt abschirmen lassen, ist bis heute ungewiß. Auch weiß man bisher nicht, wie man eventuell auftretende Fehler während der Berechnung korrigieren könnte.

„Das Faktorisieren hundert- oder gar tausendstelliger Zahlen dürfte eine der Stärken eines Quantencomputers sein“, nennt Thomas Beth, Professor für Informatik an der Universität Karlsruhe, die Vorzüge. An dieser Aufgabe scheitern herkömmliche Rechner, weil sie alle Zahlen, die als Teiler in Frage kommen – und das sind astronomisch viele -, nacheinander durchprobieren müssen. Ein parallel rechnender Quantencomputer aus genügend vielen Ionen könnte diese Aufgabe hingegen auf einen Schlag lösen.

„Tausende von Ionen in einer Falle zu halten, ist heute kein Problem mehr. Die Frage ist aber, wie man jedes Ion einzeln ansteuern kann“, charakterisiert Beth die Lücke, die heute noch zwischen Theorie und Praxis klafft. Bevor man den Quantencomputer an die wirklich großen Aufgaben heranläßt, muß er sich erst einmal im Kleinen bewähren. Und das heißt: mit einigen wenigen Ionen kleine Zahlen faktorisieren – zum Beispiel die 15 in die Faktoren 3 und 5 zerlegen.

Der Quantencomputer ist exemplarisch für eine neue Epoche in der Quantenphysik. Seit etwa 10 bis 15 Jahren wagen sich Wissenschaftler an Experimente heran, die bisher allenfalls Stoff für philosophische Debatten hergaben. Fast immer entzündeten sich diese Diskussionen an dem Verhalten einzelner Quanten. Wenn die Physiker die erst einmal richtig im Griff haben, wird das große Umwälzungen mit sich bringen – vor allem in der Telekommunikation. Denn neben der Informatik sind auch die optische Nachrichtenübertragung und die Kryptographie – die Wissenschaft der Informationsverschlüsselung – vom akuten Quantenfieber befallen.

Für die Optik ist es nicht die erste Begegnung mit der Quantentheorie – der Laser zeugt davon. In gewisser Weise nimmt der Laser jedoch eine Zwischenstellung zwischen klassischer Physik und Quantenphysik ein. Einerseits nutzt er zur Verstärkung des Lichts die Tatsache, daß es in Atomen diskrete – quantisierte – Energieniveaus gibt. Andererseits verhält sich die Summe der austretenden Lichtquanten – der Lichtstrahl – klassisch, denn die einzelnen Photonen kommen „statistisch verteilt, also in unregelmäßigen Abständen aus dem Hohlraum“, wie es Prof. Herbert Walther, Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching, formuliert.
Bereits Mitte der achtziger Jahre entwickelte Walther zusammen mit seinen Mitarbeitern eine nichtklassische Strahlungsquelle, bei der auch das ausgesandte Licht den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht.
Dieser sogenannte Ein-Atom-Maser (Maser: Microwave amplification by stimulated emission of radiation) arbeitet im Mikrowellenbereich und funktioniert nach folgendem Prinzip: Einzelne angeregte Atome durchfliegen im Ein-Atom-Maser einen Hohlraum. Obwohl nicht jedes Atom Photonen aussendet, verstärkt sich das Strahlungsfeld im Hohlraum solange, bis die neu hinzukommenden und die abgestrahlten Photonen sich gerade die Waage halten. Seit etwa einem Jahr gibt es auch das optische Pendant dazu, das sichtbares Licht liefert: den Ein-Atom-Laser.

Auf eine Überraschung stößt man, wenn man die Zahl der Photonen im Hohlraum mißt. Während diese Zahl in einem gewöhnlichen Maser um einen mittleren Wert schwankt, ist sie bei einem Ein-Atom-Maser scharf definiert.
Denn die nichtklassische Strahlung dieses Ein-Atom-Masers besteht aus Photonen, die in gleichmäßigem Abstand aus dem Hohlraum kommen.
Interessant ist diese Eigenschaft vor allem für die Nachrichtenübertragung. „Nichtklassisches Licht erzeugt praktisch kein Rauschen – schwache Signale würden nicht länger verschluckt“, erklärt Prof. Herbert Walther. Nichtklassisches Licht könnte sich zunächst in Nischen bewähren, beispielsweise bei der Übertragung von Signalen im Weltraum oder über sehr lange, verrauschte Strecken.

Nachrichtenübertragung ist auch das Thema der Kryptographen. Allerdings geht es ihnen in erster Linie um Aspekte der Sicherheit. Heute hat sich bei der Verschlüsselung von Nachrichten ein Standard etabliert: Wollen Sender und Empfänger eine Nachricht austauschen, die nicht in falsche Hände geraten soll, so benutzen sie zum Chiffrieren oder Dechiffrieren einen geheimen Schlüssel. Doch wie einigen sich Sender und Empfänger auf einen gemeinsamen Schlüssel, ohne belauscht zu werden? Die Lösung: das sogenannte „Publickey-Verfahren“, mit dem es möglich ist, über öffentliche Kanäle einen sicheren Schlüssel auszutauschen („Fälscher im Internet“, bild der wissenschaft 1/1996). Eines der bekanntesten Verschlüsselungsbeispiele ist der RSA-Algorithmus. Er nutzt die Tatsache, daß es zwar einfach ist, zwei große Primzahlen mit dem Computer zu multiplizieren, ungleich schwieriger aber, das Produkt wieder zu zerlegen, wenn man die Faktoren nicht kennt. Für die heutige Generation von Computern ist dies eine nahezu unlösbare Aufgabe.

„Trotzdem wäre es beruhigender, wenn es ein physikalisches Grundgesetz gäbe, das einen Schlüssel sicher macht“, gibt Thomas Beth zu bedenken. Schon zu Beginn der achtziger Jahre schlugen Charles Bennett vom IBM-Forschungszentrum in Yorktown, Heights und Gilles Brassard von der Universität Montreal vor, beim Austausch eines Schlüssels auf die Empfindlichkeit einzelner Quanten zu vertrauen. Wenn man nämlich einzelne Quanten als Informationsträger benutzt, kann ein Dritter diese Information nicht lesen, ohne Spuren zu hinterlassen.

Sender und Empfänger könnten über ein Glasfaserkabel Photonen austauschen, die vorher „verschränkt“ wurden. Wie weit zwei verschränkte Photonen auch voneinander entfernt sein mögen – sie sind immer ein Paar. Ein Lauscher könnte zwar eines der Photonen abfangen, seinen Zustand ermitteln und es dann weiterschicken. Durch seine Messung würde er aber unweigerlich die Verschränkung mit dem anderen Photon zerstören. Durch einen Vergleich einiger Meßergebnisse kommen Sender und Empfänger dem Lauscher auf die Schliche. Liefert der Vergleich hingegen keine Verdachtsmomente, können sie aus den Meßergebnissen einen Schlüssel konstruieren und für die Übermittlung ihrer geheimen Nachrichten benutzen.
Längst ist man über das Stadium rein theoretischer Erörterungen hinaus. Mittlerweile geht es um die Frage, über welche Entfernungen der Austausch von Quanteninformationen funktioniert.
Eines der Probleme: Störungen in der Übertragungsleitung lassen sich nicht von einem Lauschangriff unterscheiden. Galten anfangs schon Strecken von dreißig Zentimetern als großer Erfolg, so schaffte eine Arbeitsgruppe der Universität Genf eine Strecke von 23 Kilometern. Das Signal schickten sie durch ein Glasfaserkabel im Genfer See. Trotz dieser Fortschritte ist Prof. Thomas Beth skeptisch. „Ich glaube nicht, daß man mit Quantenkryptographie mehr erreichen kann als mit publickey-Verfahren. Das ist höchstens etwas für Hochsicherheitsanwendungen.“ Doch er schränkt ein: „In dem Moment, wo Quantencomputer gebaut sind, wird das Faktorisieren großer Zahlen so schnell gehen, daß man auf quantenkryptographische Schlüssel ausweichen muß.“

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Quanten-Technologie im Alltag
Die Erfolgsgeschichte der Quantentheorie als ernstzunehmende technische Anwendung beginnt nicht erst mit dem Quantencomputer oder der Quantenkryptographie. Im Gegenteil:

– Erst die Quantentheorie erklärt, warum manche Festkörper Isolatoren, andere aber Halbleiter, Leiter oder gar Supraleiter sind.

– Der Laser profitiert in geschickter Weise von der Quantisierung der Energie.

– Das bildgebende Verfahren der Kernspintomographie basiert auf den diskreten Einstellungsmöglichkeiten des Kernspins in einem Magnetfeld.

– Das Elektronenmikroskop zeugt davon, daß ein Elektron nicht nur Teilchen, sondern auch Welle ist.

– Das Rastertunnelmikroskop beruht auf dem quantenmechanischen Effekt des Tunnelns, wo Teilchen energetisch vermeintlich unbezwingbare Hürden mühelos durchdringen.

Auch in miniaturisierten elektronischen oder optoelektronischen Bauteilen regieren die Gesetze der Quantentheorie. In Quantenschichten, Quantendrähten oder Quantenpunkten ist der Bewegungsspielraum der Ladungsträger so stark eingeschränkt, daß ihre Wellennatur zum Tragen kommt. Dadurch sind nur noch bestimmte Zustände erlaubt, die den Eigenfrequenzen einer schwingenden Saite ähneln. Beispielsweise ändert sich die Stromstärke in einem Quantendraht nicht mehr kontinuierlich mit der angelegten Spannung, sondern in Sprüngen. Einem Quantenpunkt kann man Elektronen wohldosiert zuführen oder entnehmen und so mit einzelnen Elektronen schalten.

Christian Speicher
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