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Mittelalterliche Handgranaten?

Archäologie

Mittelalterliche Handgranaten?
Ein Fragment des Gefäßes aus Jerusalem, das möglicherweise explosives Material enthielt. © 2022 Matheson et al., Creative Commons Attribution License, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Schon in der Kreuzfahrer-Ära gab es vermutlich so etwas wie Handgranaten: Untersuchungen der Inhalts-Rückstände kleiner Keramikgefäße aus dem einstigen Jerusalemer Palastbezirk der Kreuzfahrer legen nahe, dass sie explosive Mixturen enthielten. Möglicherweise setzten die islamischen Truppen diese Explosivwaffen bei der Rückeroberung Jerusalems im Jahr 1187 ein, sagen die Wissenschaftler.

Sie sind klein, rundlich und laufen nach unten hin kegelförmig zu: Im gesamten Nahen Osten wurden Exemplare sogenannter „sphäro-konischer Gefäße“ entdeckt, die aus der Zeit vom 9. bis zum 15. Jahrhundert stammen. Abgesehen von der Grundform und der meist geringen Größe sind sie in vielen unterschiedlichen Versionen bekannt: Einige erscheinen simpel und grob, andere sind hingegen filigran gearbeitet und verziert. Darin sahen Experten bereits Hinweise darauf, dass diese Gefäße für unterschiedliche Zwecke und Inhalte verwendet wurden. Man nahm an, dass einige einfache – andere hingegen luxuriöse Substanzen enthielten. Historische Überlieferungen von kleinen Explosivwaffen aus der Ära ließen zudem vermuten, dass manche sphäro-konische Gefäße mit entzündlichen Mixturen gefüllt gewesen sein könnten und als Waffen dienten.

Vier sphäro-konische Gefäße im Visier

Die Wissenschaftler um Carney Matheson von der Griffith University in Brisbane haben sich nun der Aufgabe gewidmet, den einstigen Inhalten dieser Behälter mit analytischen Methoden auf die Spur zu kommen. Sie haben sich dabei mit Bruchstücken von vier unterschiedlichen sphäro-konischen Gefäßen beschäftigt, die auf dem Gelände des einstigen Palastes der Kreuzfahrer in Jerusalem gefunden wurden. Sie entstammen einer Schicht aus Trümmern, die auf die Zeit vom 11. bis 12. Jahrhundert datiert wird. Dabei handelt es sich um die Ära des christlichen Königreichs Jerusalem, das die Kreuzritter nach der Eroberung der Stadt errichtet hatten.

Drei der Gefäße scheinen zu dem gehobenen Umfeld zu passen: Sie waren elegant gestaltet und verziert. Das vierte wirkte hingegen grob: Im Vergleich zu den anderen war es schmucklos und ausgesprochen dickwandig. Um Hinweise zu erhalten, was die Gefäße einst enthielten, haben die Forscher Rückstandspuren auf den Innenseiten der Scherben mit modernen Analyseverfahren untersucht.

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Wie die Forscher berichten, fanden sie in den drei feiner gestalteten sphäro-konischen Gefäßen Spuren von Ölen und weiteren Substanzen, die nahelegen, dass sie einst Duftöle oder medizinisch genutzte Substanzen enthielten. Bei einem fanden sie auch Hinweise darauf, dass die Öffnungen der Gefäße einst mit Harz versiegelt wurden. Bei dem vierten Exemplar lieferten die Analysen jedoch besondere Befunde: Es zeigten sich die chemischen Signaturen von vergleichsweise hohen Mengen an Schwefel und weiteren „einschlägig“ bekannten Substanzen.

Vermutlich explosiver Inhalt

Die Mixtur könnte zwar theoretisch ebenfalls friedlicher Natur gewesen sein – doch vermutlich war sie das nicht: In ihrer Kombination könnten die nachgewiesenen Substanzen ein explosives Gemisch ergeben haben, berichten die Forscher. Sie vermuten, dass es sich wahrscheinlich um eine Mixtur gehandelt hat, die noch vor der Verbreitung des späteren Schwarzpulvers für explosive Effekte sorgen konnte. Wie sie erklären, passt zu dem möglichen Einsatz als Granate auch die grobe Struktur und Schlichtheit dieses speziellen sphäro-konischen Gefäßes.

Den Wissenschaftlern zufolge untermauert der Befund die historischen Überlieferungen, wonach islamische Truppen geworfene Gefäße gegen die Kreuzritter einsetzten, die laute Geräusche und helle Lichtblitze erzeugten. „Unsere Studie hat die vielfältige Verwendung dieser einzigartigen Keramikgefäße aufgezeigt, zu denen wohl auch ein Einsatz als Explosivwaffe gehörte“, resümiert Matheson. In der Publikation schreiben die Forscher dazu: „Der archäologische Kontext der Ausgrabungsstätte als königlicher Palast steht im Einklang mit dem Vorhandensein von Luxusartikeln und Arzneimitteln und auch mit der Scherbe einer Explosivwaffe. Denn möglicherweise wurde sie bei der historischen Zerstörung des königlichen Palastes verwendet“.

Matheson zufolge zeichnet sich nun allerdings weiterer Forschungsbedarf ab: „Zusätzliche Untersuchungen dieser Gefäße und ihres möglicherweise explosiven Inhalts könnten es uns zukünftig ermöglichen, die Sprengstofftechnologie des Mittelalters und die Geschichte der explosiven Waffen im östlichen Mittelmeerraum zu verstehen“, sagt Matheson abschließend.

Quelle: Griffith University, Fachartikel: PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0267350

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