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Mittelalterlicher Anhänger entpuppt sich als Reliquiar

Geschichte|Archäologie

Mittelalterlicher Anhänger entpuppt sich als Reliquiar
Anhänger
Der Anhänger ist außen mit Bildern von Jesus und Maria geschmückt. © Sabine Steidl / LEIZA

Schatz aus der Abfallgrube: Ein bei Ausgrabungen in Mainz entdeckter Anhänger aus dem Mittelalter hat nun ein ganz besonderes Innenleben offenbart. Denn das aus vergoldetem Kupfer bestehende Schmuckstück enthält in Seide gehüllte Knochenstückchen – wahrscheinlich Reliquien. Damit ist dieser mit emaillierten Bildern von Jesus, Maria und mehreren Heiligen verzierte Anhänger aus dem 12. Jahrhundert eines von erst vier bekannten Phylakterien – Mini-Reliquiaren – dieser Machart.

Im Oktober 2008 machten Archäologen um Matthias Heinzel vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in der Altstadt von Mainz einen unverhofften Fund: Bei Ausgrabungen in einer mittelalterlichen Abfallgrube stießen sie auf ein stark korrodiertes Schmuckstück aus vergoldetem Kupfer. Vorder- und Rückseite des wie ein vierblättriges Kleeblatt geformten Anhängers waren mit farbigen Emaille-Motiven verziert. Nähere Untersuchungen ergaben, dass dieser rund sechs Zentimeter große Anhänger aus dem 12. Jahrhundert stammt.

Ist der Anhänger ein Reliquiar?

Form und Dicke des vergoldeten Anhängers legten bereits beim Fund nahe, dass sich etwas in seinem Inneren verbergen könnte. „Doch durch die jahrhundertelange Korrosion ist das Objekt und vor allem der Schließmechanismus stark beschädigt, und es zu öffnen würde bedeuten, es unwiderruflich zu zerstören“, erklärt Heinzel. In 500 Stunden Arbeit befreite der Restaurator das Fundstück daher zunächst vorsichtig von den groben Korrosionsauflagerungen. Dadurch wurde sichtbar, dass die Vorder- und Rückseite des Schmuckstücks mit den emaillierten Abbilder von Jesus, den vier Evangelisten, Maria und vier weiblichen Heiligen verziert ist. Aus der Machart schließen die Archäologen zudem, dass der Anhänger vor rund 800 Jahren in einer Werkstatt im niedersächsischen Hildesheim gefertigt wurde.

Die Form des Schmuckstücks und die Art der Verzierungen deuteten zudem darauf hin, dass es sich dabei um einen Aufbewahrungsbehälter für Reliquien handeln könnte, ein sogenanntes Phylakterium. Dieser Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet so viel wie Verwahrungs- oder Schutzmittel. Solche sogenannten Phylakterien wurden im Mittelalter am Körper, meist um den Halsgetragen und enthielten kleine Relikte eines Heiligen wie Knochen- oder Gewandstücke. Diese Reliquien sollten dem damaligen Glauben zufolge ihrem Träger den Schutz und Beistand des Heiligen sichern.

Neutronentomografie
Die Neutronentomografie zeigt seidenumhüllte Knochenstückchen im Inneren des Anhängers. © Burkhard Schillinger / MLZ

Neutronentomografie enthüllt Knochenstückchen im Inneren

Doch enthielt auch der Mainzer Anhänger solche Reliquien? Da auf Röntgenaufnahmen der organische Inhalt des Objekts nicht zu erkennen war, durchleuchteten die Forscher das mittelalterliche Schmuckstück an einer Neutronenquelle der TU München mit Neutronenstahlen. Anders als Röntgenstrahlen können die Neutronen Metalle durchdringen und dabei organische Substanzen sichtbar machen. Anhand der durch die Neutronen ausgelösten Strahlungsemissionen des Materials konnte das Team zudem bestimmen, welche Elemente in dem Objekt enthalten waren.

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„Die zerstörungsfreie Untersuchung mit Neutronen war besonders hilfreich, da wir den Anhänger nicht einfach öffnen und hineinsehen konnten“, erklärt Heinzel. Die Neutronentomographie enthüllte, dass der Anhänger fünf Päckchen aus Seide und Leinen in sich barg, in denen jeweils einige Knochensplitter verpackt waren. Dies bestätigt, dass es sich bei dem Schmuckstück höchstwahrscheinlich um ein Phylakterium handelt. „Ob es sich um Knochen von Heiligen handelt und welchen Heiligen die Knochensplitter zugeordnet werden können, lässt sich aber nicht herausfinden“, sagt Heinzel. „Meist ist Reliquienpäckchen ein Pergamentstreifen beigefügt, auf dem der Name des Heiligen steht. In diesem Fall können wir es aber leider nicht sehen.“

Eines von nur vier Phylakterien dieser Art

Der Fund aus der mittelalterlichen Abfallgrube ist damit eines von erst vier bekannten Reliquiaren dieser Art, die anderen drei werden in Rom, Boston und Halberstadt auf bewahrt. Während der Restaurierung entdeckte Heinzel in der Aufhängungsöse zudem ein Kordelfragment, das sich als Rest einer Seidenschnur erwies. „Dies ist der erste Nachweis, dass solche Anhänger womöglich an einer Seidenkordel um den Hals getragen wurden“, sagt der Forscher. „Durch die Neutronentomografie an der TUM konnten wir zusätzlich die Fadenstärke und den Fadenabstand der Textilien im Inneren vermessen.“ Das Fundstück befindet sich im Besitz der Direktion Landesarchäologie Mainz und kann bis auf Weiteres in der Mittelalter-Ausstellung „AUREA MAGONTIA – Mainz im Mittelalter“ des Landesmuseum Mainz besichtigt werden.

Quelle: Technische Universität München; Fachartikel: Proceedings of the interim Meeting of the ICOM-CC metals working group 184-191 (2022)

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