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Musik zum Fühlen

Spielräume des Widerstands

Musik zum Fühlen
Die selten gezeigte Weingartner Liederhandschrift ist noch bis zum 12. September 2010 in Stuttgart zu sehen. Weingartner Liederhandschrift, Konstanz, um 1310/20. © Württembergische Landesbibliothek Stuttgart

Wie kann man Musik ausstellen? Das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart hat in seiner neuen Sonderausstellung „Freud und Leid in Dur und Moll. Musikkultur in Baden-Württemberg“ eine kreative Antwort gefunden: Man lässt die Besucher Musik hören, Instrumente und Liederhandschriften sehen, aber vor allem lässt man sie die Musik fühlen. Denn Musik und Emotionen gehören einfach zusammen. Wer bereit ist, sein musikalisches Wissen und Musikverständnis zu erweitern und zu vertiefen, der kann im Stuttgarter Fruchtkasten noch bis zum 12. September 2010 einen Aufenthalt der besonderen Art verbringen, wenn er nicht ganz alltäglichen Musikstücken in dazu passender Atmosphäre lauscht.

Ausgestattet mit einem Audioguide taucht der Besucher ein in die sechs „Gefühlswelten“ der Ausstellung: Noch bevor man die eigentlichen Ausstellungsräume betritt, wird man an ihrer Schwelle von einer Klanginstallation empfangen, die akustisch auf die kommenden Höreindrücke vorbereitet. In den Räumen werden dann die Gefühle Freude, Aggression, Glaube, Trauer, Liebe und Wir-Gefühl mit unterschiedlichen klanglichen Mitteln, Ausstellungsobjekten und Schwerpunkten thematisiert.

Die Ausstellungsarchitektur hebt auf ein ganzheitliches Besuchserlebnis ab, daher harmonisiert die Raumgestaltung bestens mit den liebevoll gestalteten Details der jeweiligen Gefühlswelt überein. Zum Beispiel sind die Sitzgelegenheiten mit Herzen im Bereich „Liebe“ oder mit Pistolenkugeln im Bereich „Angst und Aggression“ dekoriert. Bewusst wurde der Weg der rein chronologischen Darstellung verlassen und ein thematischer Ausstellungsrundgang gewählt. In jeder Gefühlswelt finden sich daher Musik- und Ausstellungsstücke aus mehreren Jahrhunderten (1310-2009) der Musikgeschichte des heutigen Baden-Württembergs, die in ihrer ganzen Vielfalt präsentiert wird.

Zurecht betont die Kuratorin der Ausstellung Irmgard Müsch, dass diese Musiklandschaft bisher noch nicht ausreichend gewürdigt wurde. Denn vieles, was im Lauf der Jahrhunderte komponiert und aufgeführt wurde, verschwand in Archiven. Einen guten Überblick bieten deshalb die 70 Hörbeispiele, von denen 24 Neueinspielungen sind, viele davon wurden sogar anlässlich der Ausstellung zum ersten Mal eingespielt, zum Beispiel die 1801 komponierte Trauerkantate zur Beerdigung des Reichsgrafen Johann Carl von Zeppelin und die anlässlich des Todes von König Wilhelm I. entstandene Trauermusik „Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir“.

In der ersten Klangwelt „Freude“ erwarten den Besucher Jubel, Trubel und Heiterkeit. Schwäbisch Gmünder Fastnachtsmusik und ein Musiker-Häs empfangen den Besucher im poppig bunten Raum. Die Festkultur aus drei Jahrhunderten steht stellvertretend für das Gefühl „Freude“ im Mittelpunkt, und natürlich dürfen dabei die höfischen Feste und Feste auf dem Dorf nicht fehlen. Stellvertretend dafür sind Instrumente wie die Prunk-Theorbe von 1593, ein Zupfinstrument ähnlich der deutschen Barocklaute, oder die schwäbische Sackpfeife aus Markgröningen, die im Raum zu schweben scheinen.

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Dunkle Farben, kaltes Licht und kreischende Heavy Metal Musik bereiten den Besucher dagegen in einem Zwischenraum auf die zweite Gefühlswelt vor. Der Kontrast zwischen „Freude“ und „Angst und Aggression“ hätte kaum drastischer ausfallen können – weder in den Farben, in der Musik noch in den Ausstellungsobjekten, wie der Stihl-Motorsäge, die in HipHop- und Metalmusik als Instrument eingesetzt wird. Gerade an diesem Raum wird der thematische Aufbau deutlich: Hier geht es ebenso um Naturgewalten und ihre Darstellung im 18. Jahrhundert wie um die läuternde Effekte von Musik und bildender Kunst. Zwischen Elementen des gespenstisch anmutenden Bühnenbilds von Helmut Lachenmanns RAF-Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ erfährt man, wie im 18. Jahrhundert der Komponist Justin Heinrich Knecht Donnergeräusche auf seiner Orgel erzeugte, indem er mehrere nebeneinanderliegende Tasten gleichzeitig niederdrückte. Die düstere Atmosphäre im Raum trägt zur wohligen Gänsehaut beim Donnergrollen bei. Musik kann tatsächlich gefühlt werden.

Luftig und leicht wandelt man hingegen auf dem roten Flokati in der Gefühlswelt „Liebe“. Auf Samt gebettet säumen die Objekte, zum Beispiel die „Liegende Sappho“ des Bildhauers Johann Heinrich von Dannecker oder ein Gedenkschrein der Schlagerband „Die Flippers“, den Weg des Besuchers hin zum Minnesang und einem der Höhepunkte der Exponate: der Weingartner Liederhandschrift aus dem Jahr um 1310, die erstmals wieder seit 1977 ausgestellt wird. Dabei kann man mit dem Audioguide von den Klängen des Minnesängers Bernger von Horrheim begleiten lassen. Den Ausstellungsbesuch kann man anschließend in der Hörlounge mit Entspannungs- und Erbauungsmusik im wahrsten Sinne des Wortes ausklingen lassen.

Das Begleitbuch zur Ausstellung erläutert anhand ausgewählter Exponate die Musikgeschichte des Landes Baden-Württemberg. Schön ist, dass im Buch die Symbole und Gestaltungselemente der „Gefühlswelten“ aufgenommen wurden. So finden sich im Kapitel „Glaube“ die stilisierten Kirchenfenster wieder, die dem Besucher schon in der gleichnamigen Gefühlswelt begegnet sind. Damit kann der Ausstellungsbesuch zu Hause fortgesetzt werden.

Zum ersten Mal wird eine Große Landesausstellung im Landesmuseum Württemberg von einer großen Kinderausstellung begleitet. Vom 4. Mai bis zum 12. September 2010 haben Kinder in der Mitmachausstellung „Music4kids“ im Alten Schloss die Möglichkeit, selbst klassische oder ganz und gar unkonventionelle Musikinstrumente wie eine Monsterflöte oder ein Flaschophon auszuprobieren.

Die Ausstellung in Stuttgart ist ein Beitrag zur Großen Landesausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Auch die Ausstellung „Vom Minnesang zur Popakademie“ im Karlsruher Schloss widmet sich noch bis zum 12. September 2010 der Vergangenheit und der Gegenwart der Musikkultur in Baden-Württemberg. In sechs thematischen Abteilungen wird der Frage nachgegangen, welche historischen, territorialen und sozialen Entwicklungen zur heutigen Musikkulturlandschaft in Baden-Württemberg führten und welchen Stellenwert Musikproduktion- und Pflege dabei einnehmen. Dabei werden etwa die regionalen Wurzeln der Musik thematisiert, so etwa anhand der Spitzenleistungen in Orgelmusik und -bau und des ältesten bekannten Musikinstruments der Welt, der rund 35 000 Jahre alte Knochenflöte aus Blaubeuren. Der Besucher flaniert durch 500 Jahre Musikgeschichte und erkundet mit Hilfe der über 400 Exponate, was gemeinhin unter dem Begriff „Musik“ zusammengefasst wird.

Quelle: Carmen Fischer
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