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Mussolini – der vergessene Antisemit

Faszinierende Figuren: Antje Vollmer über Friedrich Karl Klausing

Mussolini – der vergessene Antisemit

Claretta Petacci, die Geliebte Benito Mussolinis, war es gewohnt, ihrem Tagebuch die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung ebenso anzuvertrauen wie die politischen Ergüsse des „Duce“. Sie notierte am 9. Oktober 1938 folgende Bemerkungen Mussolinis: „Ah, diese Juden. Ich werde sie alle vernichten. … Ich bin gut gewesen, geduldig. Ich habe ihnen nicht zu sehr zugesetzt, und sie, sie sind wirklich Schweine.“

Und wenige Tage später brach es aus dem Diktator her-aus: „Diese widerlichen Juden, man muss sie alle vernichten. Ich werde ein Massaker unter ihnen anrichten, wie es die Türken gemacht haben. Und überhaupt, ich habe 70000 Araber interniert, ich werde auch 50000 Juden internieren können. Ich werde eine Insel finden, ich werde sie alle dort einsperren. Oder ich werde alle vernichten … Sie sind Aas, Feinde und Feiglinge. … Sie sind ein widerliches Volk, ich bedauere es, nicht härter durchgegriffen zu haben. Sie werden sehen, zu was die eiserne Faust Mussolinis im Stande ist.“

Als sich der „Duce“ zu diesen Ausbrüchen hinreißen ließ, steuerte die antisemitische Kampagne in Italien einem ersten Höhepunkt zu – eine Kampagne, die 1936 mit einer Propaganda-Offensive gegen die Juden Italiens begonnen hatte. Seit Anfang 1938 ging es dann Schlag auf Schlag. Im Februar rief Mussolini zu erhöhter Wachsamkeit gegenüber den Juden auf. Außerdem drohte er ihnen mit einer Art Numerus clausus; die Juden sollten künftig in Wirtschaft und Kultur nur noch mit einer ihrem Anteil an der Gesamtgesellschaft entsprechenden Quote vertreten sein. Im Juli folgte die Veröffentlichung eines von Mussolini redigierten „Manifesto della razza“, das ebenso biologistisch wie antisemitisch fundiert war.

Im August 1938 wurden die Juden gezählt, und im September erließ das Erziehungsministerium eine Verordnung, die alle jüdischen Schüler und Lehrer zwang, die öffentlichen Schulen binnen kurzem zu verlassen. Ebenfalls im September nahm die faschistische Regierung die ausländischen Juden, die oft nach dem Ersten Weltkrieg nach Italien gekommen waren, ins Visier; sie verloren die italienische Staatsbürgerschaft und sollten innerhalb von sechs Monaten ausreisen. Das Gesetz zum „Schutz der italienischen Rasse“ vom 17. November 1938 „krönte“ schließlich das Werk der Entrechtung und Erniedrigung. Juden unterlagen von nun an strengsten Heiratsbe‧schränkungen, sie durften keinen Militärdienst mehr leisten und wurden aus der faschistischen Partei ausgeschlossen. Überdies verloren sie ihre Stellung im öffentlichen Dienst, und es war ihnen verboten, mehr als 50 Hektar Grund zu besitzen oder größere Firmen zu leiten.

Das alles geschah nur we‧nige Tage nach der sogenannten Reichskristallnacht, die im Deutschen Reich über 100 Juden das Leben gekostet hatte. Mussolini hat diese Exzesse zustimmend kommentiert. „Der Duce“, so heißt es im Tagebuch seines Schwiegersohns und Außenministers Galeazzo Ciano, „wird gegenüber den Juden immer aufgebrachter. Er billigt die von den Nazis ergriffenen Abwehrmaßnahmen uneingeschränkt. Er sagt, dass er in einer vergleichbaren Situation noch härter durchge‧griffen hätte.“

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Dieses und die eingangs erwähnten Zitate widersprechen dem oft gehörten Argument, Mussolini sei – anders als Hitler – kein radikaler Antisemit gewesen. Auch der Einwand, das antisemitische Gesetzeswerk von 1938 habe zahlreiche Ausnahmen vorge‧sehen und überhaupt sei in Italien nie etwas so heiß gegessen worden, wie es gekocht worden sei, überzeugt nicht. Die Ausnahmeregelungen betrafen zunächst tatsächlich etwa 15 Prozent der jüdischen Bevölkerung, sie wurden aber rasch eingeschränkt oder ganz zurückgenommen, so dass es spätestens nach dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 kaum mehr einen Juden auf der Apenninen-Halbinsel gab, der nicht von Diskriminierung und Verfolgung bedroht gewesen wäre.

Die italienische Gesellschaft hat sich nach 1945 lange mit dem Argument beruhigt, Mussolini und der Faschismus seien nicht wirklich judenfeindlich gewesen. Der antisemitische Kurswechsel des „Duce“ sei dagegen von Hitler veranlasst worden. Ein Beweis für diese Behauptung ist freilich nie gefunden worden, und es spricht auch ansonsten vieles gegen sie. So begann Mussolini bereits um 1934 damit, Juden aus einflussreichen Stellungen entfernen zu lassen; auch die propagandisti‧sche Vorbereitung der Rassengesetze setzte zu einem Zeitpunkt – 1936 – ein, als das deutsch-italienische Bündnis noch längst nicht sicher war. Dementsprechend erklären die meisten Historiker heute die Radikalisierung der Judenpolitik Mussolinis weniger mit der „Achse“ zwischen Berlin und Rom als mit der inneren Dynamik des Faschismus und mit lange vergessenen ideologisch-rassistischen Dispositionen des „Duce“.

Als Mussolini 1922 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, war der militante Antisemitismus in Italien wie im Partito Nazionale Fascista (PNF) ein Randphänomen, wenngleich Judenfeindschaft in dem traditionell katholisch geprägten Land nicht unbekannt war. Die faschistische Partei hatte nicht wenige jüdische Mitglieder, von denen einzelne in den 1920er Jahren sogar eine beachtliche Karriere machen konnten. Doch der Wind begann sich allmählich zu drehen, und die faschistische Presse griff die Juden wiederholt an, weil sie angeblich die Opposition unterstützten, im internationalen Kommunismus eine tragende Rolle spielten und überhaupt national un‧zuverlässig seien.

Träger dieser Propaganda war vor allem eine Gruppe radikaler Antisemiten am rechten Rand des PNF um Roberto Farinacci, Telesio Interlandi und Giovanni Preziosi. Letzterer hatte schon früh die „Protokolle der Weisen von Zion“ publiziert, um die These von der jüdischen Weltverschwörung zu untermauern. Als Anhänger einer engen Koopera-tion zwischen Faschismus und Nationalsozialismus wurde er auch zum vielleicht wichtigsten Propagandisten des rassistischen Antisemitismus deutscher Prägung in Italien.

Bis zu den Rassengesetzen von 1938 war es aber noch ein großer Schritt – und dieser ist nicht denkbar ohne Mussolini. Ob der Diktator schon früh ein wirklicher Judenfeind war oder ob er sich als Agitator der antisemitisch-rassistischen Klaviatur zunächst lediglich bediente, sei dahingestellt. Sicher ist, dass er die Juden mit der Zeit als die eigentlichen Träger des Antifaschismus betrachtete und ihren angeblich weltweiten Einfluss zu fürchten begann.

Überdies stand politisches Kalkül dahinter, wenn Mussolini in den 1930er Jahren immer stärker auf die antisemitische Karte setzte. Der „Duce“ hatte mit seinem Volk Großes vor, er musste aber immer wieder erkennen, dass es seinen Ansprüchen nicht genügte. Mussolini wollte den neuen faschistischen Menschen schaffen, um in der Nachfolge des antiken Rom das Italien zustehende Imperium zu erobern. Ein solches Reich lasse sich aber nur mit „Prestige“ behaupten, und um „Prestige zu haben“, sei „ein klares und strenges Rassenbewusstsein vonnöten, das nicht nur Grenzen zieht, sondern eine deutliche Überlegenheit begründet“.

Die Juden hatten in diesem Experiment mit dem Ziel einer homogenen faschistischen Volksgemeinschaft keinen Platz. Gleichwohl war ihnen eine wichtige Rolle zugedacht – die des Sündenbocks, der entweder Konsens stiften oder dessen Schicksal regimefernen Gruppen als Warnung dienen sollte. Das Vorbild Deutschlands, dem sich Italien seit 1936 näherte, stachelte Mussolini zusätzlich an, hatte Adolf Hitler doch in seinen Augen bewiesen, zu welchen Leistungen ein Volk fähig war, wenn man es gegen einen rassisch definierten inneren Feind mobilisierte und dabei alle Tabugrenzen niederriss.

Die Rassengesetze des Jahres 1938 waren nicht der Endpunkt dieser Entwicklung. Nach dem Kriegseintritt Italiens wurden zunächst die ausländischen Juden, die bis dahin noch nicht ausgereist waren, und die als gefährlich eingestuften italienischen Juden in Lager eingewiesen, von denen Ferramonti di Tarsia in Kalabrien mit schließlich mehr als 2000 Insassen das bekannteste ist. Im Mai 1942 verpflichtete das faschistische Regime alle erwachsenen Juden zur Zwangsarbeit, obwohl diese Maßnahme ökonomisch wenig Sinn hatte, da es in Italien keinen Arbeitskräftemangel gab. Es ging allerdings auch nicht darum, kriegsbedingte Engpässe auszugleichen, sondern darum, die ins Wanken geratene Heimatfront zu stabilisieren. Der Kampf gegen die Juden als dem inneren Feind sollte die Mobilisierung der letzten Kräfte gegen den äußeren Feind erleichtern.

Damit radikalisierte sich die antisemitische Politik des faschistischen Regimes ein weiteres Mal, ohne jedoch die Brutalität des deutschen Vorgehens auch nur im Entferntesten zu erreichen. Der italienische Faschismus ging bis 1943 in seiner Judenpolitik sehr weit und setzte eine Gesetzgebung ins Werk, die als die härteste nach der der Nazis gelten muss. Anders als der Nationalsozialismus überschritten Mussolini und der Faschismus jedoch nicht die Grenze zum Mord.

Es waren die Deutschen, die nach dem Sturz des „Duce“, dem Frontwechsel des Königreichs und der Besetzung des Landes durch die Wehrmacht im September 1943 ihre Vernichtungsmaschinerie auch nach Italien ausdehnten und 7000 bis 8 000 Juden aus Italien in die Todeslager deportierten. Doch die Behörden der Republik von Salò – eines deutschen Satellitenstaats in Nord- und Mittelitalien mit Mussolini an der Spitze – und zahl‧reiche faschistische Aktivisten trugen durch ihre Kollabora‧tionsbereitschaft viel dazu bei, den Schergen Hitlers ihr blutiges Handwerk zu erleichtern. Dieses dunkelste Kapitel in der Geschichte der italienischen Juden endete erst Ende April/Anfang Mai 1945 mit der Hinrichtung Mussolinis und der Kapitulation der deutschen Italien-Armee.

Quelle: PD Dr. Thomas Schlemmer
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