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Neandertaler: Gewagte Jagdtechnik

Geschichte|Archäologie

Neandertaler: Gewagte Jagdtechnik
Speerwunde
Loch im Hüftknochen des urzeitlcihen Damhirsches (rechts) und Rekonstruktion der Jagdverletzung. (Grafik: Eduard Pop, MONREPOS)

Neandertaler waren durchaus begabte Jäger und fertigten schon vor rund 400.000 Jahren hölzerne Jagdspeere an. Doch wie sie diese Waffen einsetzten – ob als Wurfspeer oder zum Stoßen – blieb bisher unklar. Jetzt liefert ein Fund in Sachsen-Anhalt neue Hinweise. Archäologen haben dort zwei 120.000 Jahre alte Damhirsch-Skelette mit Speerwunden im Knochen entdeckt. Winkel und Form der Verletzungen sprechen dafür, dass sie von Holzspeeren stammen – und dass diese aus nächster Nähe gestoßen wurden.

Lange galt der Neandertaler als primitiver, eher ungeschickter Vetter unserer Vorfahren. Ihm traute man daher auch keine fortgeschrittenen Waffen und Jagdtechniken zu. Doch das änderte sich, als in den 1990er Jahren im niedersächsischen Schöningen die Überreste mehrerer urzeitlicher Holzspeere gefunden wurden. Wie Datierungen ergaben, waren diese Speere bereits 300.000 bis 400.000 Jahre alt – und stammten damit aus der Ära des Neandertalers und seines Vorläufers, des Homo heidelbergensis. Etwas jünger, aber auch aus der Neandertalerzeit ist ein Eibenholzspieß, der bereits 1948 in Lehringen in Niedersachsen gefunden wurde.

Doch trotz dieser Funde blieb bisher offen, wie die Neandertaler diese Speere einsetzten. „Bei heutigen Jägern und Sammlern werden solche Speere manchmal aus der Distanz auf die Beute geworfen, manchmal aber auch zum Stoß eingesetzt“, erklären Sabine Gaudzinski-Windheuser vom archäologischen Forschungszentrum MONREPOS in Neuwied und ihre Kollegen. Welche dieser
Jagdtechniken die Neandertaler nutzten, ließ sich aber mangels konservierter Überreste von Jagdbeute mit aussagekräftigen Verletzungsspuren nicht eindeutig feststellen.

Älteste Zeugnisse der Jagd mit dem Speer

Durch eine Entdeckung in Neumark-Nord in Sachsen-Anhalt hat sich dies nun geändert. Bereits in den 1980er Jahre waren Archäologen in diesem Flusstal mit urzeitlichen Seebecken auf zahlreiche Spuren früher Besiedlung gestoßen. Schon vor mehr rund 375.000 Jahren lagerten demnach hier altsteinzeitliche Jäger und verarbeiteten ihre Jagdbeute. Tausende von Tierknochen, darunter von Damhirschen und sogar Waldelefanten, zeugen davon.

Gaudzinski-Windheuser und ihr Team haben nun einige der Damhirschskelette aus rund 120.000 Jahre alten Seesedimenten von neuem untersucht – und dabei Entscheidendes entdeckt. Im Hüftknochen eines männlichen Damhirsches fanden die Archäologen eine kreisrunde, gut einen Zentimeter große Perforation. „Das Fehlen jedes Anzeichens einer Knochenheilung deutet darauf hin, dass dieses Tier bald nach dieser Verletzung starb“, berichten die Forscher. Bei einem zweiten Damhirsch fanden sie ein ähnliches Loch in einem der Halswirbel.

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Könnte es sich bei diesen Knochenlöchern um Jagdverletzungen durch einen Speer handeln? Die Form der Löcher und die Merkmale des umliegenden Knochens sprechen nach Ansicht der Forscher dafür. Zudem zeugen Schnittspuren an vielen Tierknochen aus dieser Fundstätte davon, dass hier Fleisch zubereitet und vermutlich auch gegessen wurde. „Diese beiden Läsionen sind die ältesten Beispiele für die Nutzung von Speeren als Jagdwaffen“, sagen Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen.

Eher Stoß als Wurf

Wie aber wurden diese Speere eingesetzt – geworfen oder gestoßen? Um das herauszufinden, führten die Forscher umfangreiche Experimente durch: Sie betteten Hüftschaufeln und Schulterblätter von Damhirschen in spezielle Gelatine ein und warfen oder stießen dann mit Sensoren bestückte Spezialspeere in diese Nachbildungen der urzeitlichen Beutetiere. Dabei testeten sie, wie viel Kraft nötig war, um die Knochen zu perforieren. Mittels Micro-Tomografie analysierten die Wissenschaftler zudem, welche Verletzungen die jeweiligen Jagdtechniken im Knochen hinterließen.

Es zeigte sich: Nur ein Stoß mit dem Holzspeer war kräftig genug, um die Knochenverletzungen der beiden urzeitlichen Damhirsche hervorzubringen. „Wir können die Waffe, die den ersten Damhirsch traf, als Holzspeer identifizieren, der in einer Stoßbewegung von seitlich hinten in die Hüfte des wahrscheinlich stehenden Tieres gestoßen wurde“, berichten Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen. „Unsere Daten legen damit die Interpretation nahe, dass die Holzspeere von Schöningen und Lehringen als Spieße verwendet wurden.“ Das schließe aber nicht aus, dass auch die Neandertaler wie einige heutige Naturvölker ihre Speere sowohl zum Stoßen als auch zum Werfen einsetzten.

Sabine Gaudzinski-Windheuser (MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum, Neuwied) et al., Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-018-0596-1

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