Wer schon mal den Urlaub auf der ostfriesischen Insel Norderney verbracht hat, dem sind die Tiden der Nordsee, das typische Reizklima und vielleicht noch das Weltnaturerbe Wattenmeer ein Begriff. Was aber kaum bekannt ist und nun von Judaistik-Studierenden der Universität Münster eingehend erforscht wurde, ist die große Beliebtheit der ostfriesischen Insel bei jüdischen Badegästen im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Norderney wurde in dieser Zeit zu einem Treffpunkt von Juden unterschiedlicher religiöser, nationaler, sozialer und kultureller Herkunft, was mit dem Aufbau einer jüdischen Infrastruktur bestehend aus einer Synagoge, koscheren Küchen in jüdisch-geführten Hotels und Restaurants sowie einem rituellen Schlachter und einem jüdischen Kinderheim einherging.
„Mindestens ein Drittel aller Sommergäste war in den Jahren um 1900 jüdisch“, fanden Christiane Bramkamp und Lisa Andryszak heraus. Die beiden Studentinnen – die eine promoviert gerade in Religionswissenschaft, die andere studiert evangelische Theologie – waren erstaunt, welch enorme Vielfalt das jüdische Leben auf der Insel Norderney damals hatte.
Auf die historischen Quellen stießen die jungen Frauen und etliche ihrer Kommilitonen im Rahmen des Projektseminars „Jüdisches Leben auf Norderney“, welches sich unter Leitung von Judaistik-Professorin Dr. Regina Grundmann auch dem sogenannten Bäder-Antisemitismus widmete. Der Bäder-Antisemitismus, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einsetzte, macht die alltäglichen Dimensionen von Antisemitismus besonders sichtbar. Einzelne Nordseebäder wie zum Beispiel Borkum erklärten sich schon lange vor 1933 für „judenfrei“.
Norderney hingegen war im völkischen Lager als „Judeninsel“ verschrien. Ab 1933 versuchte die Kur- und Badeverwaltung Norderneys, sich von diesem nun als Stigma empfundenen Ruf zu befreien. Exemplarisch sei die 1933 herausgegebene Briefverschlussmarke mit der Aufschrift „Nordseebad Norderney ist judenfrei“ genannt. Die Maßnahmen der Kurverwaltung führten zum Ausbleiben der jüdischen Badegäste und zum Ruin der jüdischen Geschäfts-, Restaurant- und Hotelbesitzer auf Norderney.
Die Juniorprofessorin und rund ein Dutzend Studierende verbrachten zwei Exkursionen in dem ersten deutschen Nordseebad (gegründet 1797). Sie durchforsteten das Stadtarchiv Norderney, sichteten Fotos, alte Ansichtskarten, Artikel in der jüdischen Presse – und die Idee für ein weitergehendes Forschungsprojekt war geboren. Abschließend mündete das Projekt „Jüdisches Leben auf Norderney – Zwischen jüdischer Vielfalt und Bäder-Antisemitismus“ nun in einem Sammelband, der in wenigen Wochen druckfrisch auf dem Markt erscheinen wird.
„Durch unsere Beschäftigung mit dem Archivmaterial war es möglich, die eine oder andere Darstellung in der Sekundärliteratur zu korrigieren. Dass wir so einen Beitrag zur Forschung leisten können, hat uns sehr motiviert“, meint die 26-jährige Christiane Bramkamp.