Nach Meinung einiger Experten finden Staphylokokkus und Co. in dieser natürlichen Umgebung gute Bedingungen, sich langsam an die verteilten Antibiotika anzupassen und könnten so leichter eine Resistenz aufbauen. „Doch erwiesen ist dieser Zusammenhang nicht“, schränkt Klaus Kümmerer, Antibiotika-Experte an der Uniklinik Freiburg ein. „Ein größeres Risiko sehe ich in der Verbreitung von bereits resistenten Keimen über den Wasserkreislauf.“
Nun hat Ternes die Abwässer von Krankenhäusern, Pharmaproduzenten und Kommunen ins Visier genommen. Im Rahmen des Europäischen Forschungprojektes Poseidon hat er mit weiteren Instituten in Frankreich, Finnland, Spanien, Polen und der Schweiz ein Verfahren entwickelt, Antibiotika und Hormone bereits in der Kläranlage zu vernichten.
Die ersten Ergebnisse präsentierte er nun auf einer Fachtagung im schwedischen Göteborg. „Reaktionsfreudiges Ozon oxidiert Hormonrückstände und Antibiotika äußerst effektiv. Nach wenigen Sekunden werden die Substanzen vollständig umgesetzt und können so im Abwasser unschädlich gemacht werden“, so Ternes. „Unser Verfahren läuft in der Pilotanlage in Braunschweig schon sehr vielverprechend. Sowohl Kommunen also auch Industrie könnten von diesen Erfahrungen profitieren.“
Auf eine vergleichbare Methode griffen bisher nur Wasserwerke bei der Reinigung des wichtigsten Lebensmitteln überhaupt, dem Trinkwasser, zurück. Dieser Prozess unmittelbar vor der Einspeisung ins Wassernetz kommt zwar dem Menschen zu Gute, doch die Umwelt profitiert von diesem so genannten „End-of-Pipe“-Verfahren nicht. „Das Wissen darüber, was mit Antibiotika nach ihrem Einsatz geschieht, wenn sie in die Umwelt gelangen, war bisher sehr beschränkt“, unterstreicht auch EU-Forschungskommissar Philippe Busquin die Notwendigkeit dieser Arbeiten. Denn aktuelle Studien zeigen, dass neben der vermuteten Resistenzbildung der Bakterien in heimischen Gewässern auch eine Anreicherung der Hormone und Antibiotika-Substanzen über die Nahrungskette drohen könnte. Wie giftig diese unerwünschten Stoffe auf Algen, wirbellose Tiere und Fische wirken, entzieht sich bisher weitgehend der Kenntnis der Forscher. Dieses Ziel verfolgen vor allem italienische, französische und schwedische Biologen im parallel laufenden EU-Projekt Rempharmawater.
Eine tickende Zeitbombe vermuten viele EU-Bürger in den vielen Arzneimitteln und Antibiotika, die bei der intensiven Viehhaltung auf unserem Kontinent verwendet werden. Doch hier scheinen sich die Gefahren in Grenzen zu halten. „Insgesamt beruhigen unsere Ergebnisse und zeigen, dass die Antibiotika-Konzentrationen in Böden und Wasser viel höher sein müssten, um einen Effekt auf die Umwelt haben zu können“, berichtet Alistair Boxall vom EU-Projekt Eravmis . So scheinen natürliche Abbauprozesse dieser in der Tierhaltung verwendeten Substanzen über UV-Strahlung und chemische Reaktionen in Gülle und Boden effektiv genug zu sein, um kein Risiko entstehen zu lassen.
„So sinnvoll all diese Untersuchungen im Abwasser oder in der Tierhaltung sein mögen, am besten können wir einer Resistenzbildung durch einen vernünftigen Umgang mit Antibiotika vorbeugen“, sagt Kümmerer. Denn im menschlichen Körper stoßen die Bakterien auf die besten Bedingungen, im Laufe ihrer schnellen, evolutionären Entwicklung dem Angriff von Antibiotika standzuhalten. Der allzu schnelle Griff zur Tablettenschachtel und das zu frühe Absetzen der Therapie unterstützen die kleinen Erreger in ihrem Lebenskampf am besten. „Hier sind Ärzte und Patienten zu gleichen Teilen gefordert, den Missbrauch von Antibiotika zu vermeiden“, so Kümmerer.