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„Pestilenz“ entpuppt sich als Paratyphus

Mittelalterliches Lübeck

„Pestilenz“ entpuppt sich als Paratyphus
Lübeck wurde im 14. Jahrhundert offenbar von einer Paratyphus-Epidemie heimgesucht. (Bild: Dirk Rieger, Hansestadt Lübeck)

Welche Erreger steckten hinter den Seuchen, die im späten Mittelalter allgemein als „Pestilenz“ bezeichnet wurden? Im Fall von Toten eines Massengrabs der Hansestadt Lübeck geht nun aus Analysen von mikrobiellen DNA-Überresten hervor: Sie wurden nicht von Pest-Bakterien dahingerafft, sondern von besonders aggressiven Salmonellen, die eine Erkrankung verursachen, die als Paratyphus bezeichnet wird.

Die schrecklichen Seuchenzüge bilden geradezu ein Markenzeichen des späten Mittelalters: Europa wurde von teils verheerenden Epidemien heimgesucht, die in historischen Texten meist allgemein mit dem Ausdruck „pestis“ oder „pestilentiae“ bezeichnet wurden. Am schlimmsten wütete dabei der sogenannte Schwarze Tod, der sich zwischen 1346 und 1353 in allen größeren Städten Europas ausbreitete und Millionen von Opfern forderte. Heute gilt als gesichert, dass diese Erkrankung von dem Bakterium Yersinia pestis hervorgerufen wurde. Doch in anderen Fällen ist unklar, welche Erreger konkret hinter als „Pestilenz“ bezeichneten Infektionskrankheiten steckten. Das gilt auch für einige spätmittelalterliche Epidemien in der Hansestadt Lübeck. In den Stadtchroniken ist allein im 14. Jahrhundert von mindestens sechs „Pestilenzen“ die Rede, deren Ursachen als unklar gelten.

Erregern auf der Spur

Der Erforschung von Seuchen im mittelalterlichen Lübeck hat sich nun ein interdisziplinäres Forscherteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gewidmet. Konkret befassten sie sich mit archäologischen Spuren, die bereits Anfang der 1990er Jahre zum Vorschein gekommen sind: Bei Umbaumaßnahmen am alten Heiligen-Geist-Hospital zu Lübeck wurden Massenbestattungen entdeckt. Verteilt auf verschiedene Gruben unterschiedlicher Größe wurden insgesamt mehr als 800 Skelette aller Geschlechter und Altersstufen geborgen, die auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert wurden.

Diese Befunde und die hohe Anzahl an offenbar innerhalb kurzer Zeit verstorbener Menschen deutete auf eine infektiöse Krankheit als Todesursache hin. Zunächst lag die Vermutung nahe, dass es sich um Pestopfer gehandelt hat. Doch die Wissenschaftler wollten es nun genauer wissen. Im Rahmen ihrer Studie haben sie aus Proben von insgesamt 92 Skeletten DNA-Überreste isoliert, sequenziert und analysiert. Die Hoffnung war dabei, auf Spuren des Erbmaterials der Erreger zu stoßen, die einst den Menschen zum Verhängnis geworden waren.

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Aggressive Salmonellen nachgewiesen

Im Fall von Toten aus zwei Gruben glückte dies: Die Wissenschaftler konnten das Erbgut des Bakteriums Salmonella enterica mit der Unterart enterica Paratyphi C nachweisen. Dabei handelt es sich um den Erreger des sogenannten Paratyphus. Das Bakterium kann sich schnell verbreiten und findet seinen Weg in den menschlichen Körper über den Verzehr von verunreinigtem Wasser oder Nahrung. Die Infektion äußert sich durch anhaltend hohes Fieber, Bauchschmerzen, Übelkeit und Durchfall. Unbehandelt kann die Erkrankung lebensgefährlich werden: Bis heute fordert der Paratyphus in manchen Teilen der Welt noch immer Todesopfer. Offenbar war das im Mittelalter auch in Lübeck der Fall: „Aus den Chroniken der Stadt wissen wir, dass für das Jahr 1367 eine ‚Pestilencia‘ verzeichnet ist, welche viele Menschenleben forderte, aber auf Lübeck beschränkt war“, sagt Co-Autor Gerhard Fouquet. Den Wissenschaftler zufolge liegt nahe, dass die Toten aus der Massenbestattung vom Heiligen-Geist-Hospital Opfer dieser „Pestilenz“ waren – bei der es sich den Ergebnissen zufolge also um einen Ausbruch von Paratyphus gehandelt hat.

Den Molekularbiologen des Forscherteams gelang es zudem, drei der Paratyphus-C-Genome vollständig zu rekonstruieren. Sie konnten sie dadurch mit dem Erbmaterial eines zuvor gefundenen Erregers aus Norwegen vergleichen, der aus der Zeit um 1200 stammt. „Unsere Analysen deuten auf einen hohen Verwandtschaftsgrad der im Mittelalter vorkommenden Paratyphus-C-Stämme hin“, sagt Erstautorin Magdalena Haller. Es liegt deshalb nahe, dass sich der Erreger über die damaligen Handelswege verbreitet hat. Die Analysen liefern somit Aufschluss über die Evolution und Ausbreitung des Paratyphus-Erregers, über dessen Ursprung bisher noch wenig bekannt ist, schreiben die Wissenschaftler.

Abschließend sagt Haller: „Paratyphus C kommt heute in Europa faktisch nicht mehr vor. Unsere Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass der Erreger in der Vergangenheit recht häufig war. Wiederkehrende Ausbrüche von Paratyphus müssen die Menschen damals in Angst und Schrecken versetzt haben“, so die Forscherin.

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Fachartikel: iScience, doi: 10.1016/j.isci.2021.102419

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