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Philosophen-Manuskript aus der Vesuvasche

Entzifferungsprojekt

Philosophen-Manuskript aus der Vesuvasche
Mithilfe moderner Technik werden sogenannte Hyperspektralbilder der verkohlten Papyrusfragmente erstellt, die Textspuren verdeutlichen. (Bild: Kilian Fleischer)

Ein Literaturwissenschaftler entlockt den verkohlten Überresten einer spannenden Schriftrolle Geheimnisse: Es handelt sich um ein Manuskript des Philosophen Philodem, das aus der Villa dei Papiri stammt, die beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschüttet wurde. Der griechische Text repräsentiert Teile des Werks „Index Academicorum“ des antiken Autors. Durch moderne Techniken zur Visualisierung der Schriftspuren ist es dem Forscher gelungen, bisher unbekannte Passagen auf dem Papyrus zu entschlüsseln. Wie er berichtet, sind auch Anmerkungen Philodems zu erkennen. Der Papyrus gewährt damit Einblicke in den Entstehungsprozess eines literarischen Werks der Antike, sagt der Altphilologe.

„Es ist ein gigantisches Kreuzworträtsel – aufwendig und mühsam, aber die neu gewonnenen Erkenntnisse entschädigen für alles“, sagt Kilian Fleischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seit 2019 leitet er das Forschungsprojekt „Philodems Index Academicorum“, das der Untersuchung einer Schriftrolle gewidmet ist, die aus der Biblioteca Nazionale in Neapel stammt. Die verkohlten Fragmente wurden neben vielen weiteren Überresten von Schriftrollen in einem Gebäude bei Herculaneum entdeckt, das wegen der Funde „Villa dei Papiri“ genannt wurde. Als im Jahr 79 n. Chr. der Vesuv ausbrach, wurde die Villa wie die anderen Gebäude Herculaneums und des benachbarten Pompejis von den heißen Asche-Strömen verschüttet.

Bereits im frühen 18. Jahrhundert wurden die Reste des antiken Anwesens wiederentdeckt. Bei den Ausgrabungen kamen seltsame Objekte zutage – dass es sich um die Reste aufgerollten Papyri handelte, war zunächst nicht klar, sagt Fleischer: „Man hatte die zu Klumpen verbackenen Rollen zunächst für Kohlebriketts oder Wurzeln gehalten“. Erst als ein solcher Klumpen zerbrach, entdeckte man auf den Bruchstücken Schriftzeichen und begann, sie genauer zu untersuchen. Es zeichnete sich schließlich ab, dass sich in der „Villa dei Papiri“ eine Bibliothek befunden hat. Dass man noch Spuren der Schrift auf den Papyri erkennen kann, basiert Fleischer zufolge auf einem glücklichen Zufall: „Das hat etwas mit der Lage der Villa zu tun“. Demnach waren nur dort die Temperaturen nach dem Vesuvausbruch exakt so, dass die Buchrollen karbonisierten und nicht direkt verbrannten. „Ein paar Straßen weiter vorne oder weiter hinten wären sie vermutlich auf alle Zeit verloren gewesen“, erklärt Fleischer.

Verkohlte Papyrusfragmente im Visier

Gut zwei Drittel der insgesamt etwa 1000 Rollen sind in den vergangenen 200 Jahren zumindest fragmentarisch untersucht worden. Rund 5000 Bruchstücke befinden sich fein säuberlich gerahmt in Neapel in der Biblioteca Nazionale – mal mehr, mal weniger gut erschlossen. Seit zwei Jahren widmet sich Fleischer nun der Entzifferung und Übersetzung der Überreste der „speziellen“ Schriftrolle aus dieser Sammlung. Wie er erklärt, geht man davon aus, dass es sich bei der Villa dei Papiri um ein Anwesen gehandelt hat, das Lucius Calpurnius Piso Caesonius im 1. Jahrhundert v. Chr. erbauen ließ. Caesonius war als ein philosophisch interessierter Mensch bekannt. Überlieferungen zufolge war er der Mäzen des griechischen Philosophen Philodem von Gadara (um 110 v. Chr. bis 40–35 v. Chr.). Man nimmt an, dass der Gelehrte in seiner Villa lebte und arbeitete. Dafür hatte Philodem offenbar seine umfangreiche Bibliothek aus Griechenland mitgebracht. Schriftrollen aus diesem Bestand wurden dann 79 n. Chr. in der Villa verschüttet.

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„Bei der Rolle, die ich untersuche, handelt es sich um einen Band eines insgesamt zehnbändigen Werks, das Philodem über die Geschichte der Philosophie verfasst hat“, sagt Fleischer. Dieser sogenannte „Index Academicorum“ stellt Platon und die von ihm gegründete Akademie in den Mittelpunkt und schildert deren Geschichte von deren Beginn bis zur Zeit Philodems. Das Werk ist bisher zumindest teilweise aus anderen antiken Quellen bekannt.

Damit Fleischer die verkohlten Papyrusreste aus der Villa dei Papiri studieren kann, kommt modernste Technik zum Einsatz. Ohne sie ist auf den schwarzen Bruchstücken nicht zu erkennen, was ein Tintenstrich, eine Papyrusfaser oder ein Knick ist. Moderne Bildgebungsverfahren können die Unterschiede nun aufzeigen: Sie steigern den Kontrast von Tinte und Papyrus und verdeutlichen damit den Text. Besonders aufschlussreich sind Hyperspektralbilder, die Fleischer gemeinsam mit Physikern und Informatikern erstmals von herkulanischen Papyri erstellte. Sogar Blicke auf die Rückseite von Papyrusstücken, die auf Papptafeln aufgezogen wurden, sind möglich.

Einblick in die Arbeit eines antiken Autors

„Mithilfe dieser Techniken ist es mir gelungen, etwa 30 Prozent mehr Text im Vergleich zur Vorgängeredition zu entschlüsseln“, sagt Fleischer. Wie er erklärt, macht ein spezieller Aspekt die Schriftrolle besonders interessant: Es handelt sich um ein echtes Autorenmanuskript – eine vorläufige Arbeitsfassung beziehungsweise eine Projektskizze Philodems. So finden sich neben und unter dem Text, der in vertikalen Kolumnen angeordnet ist, aber auch auf der Rückseite zahlreiche handschriftliche Anmerkungen und Änderungsvorschläge des Autors. „Der Papyrus gewährt uns somit wertvolle Einblicke in den Entstehungsprozess eines antiken Buches und in die Arbeitsweise antiker Autoren“, sagt Fleischer. Sogar der Vergleich mit der Endfassung ist möglich – zumindest mit den wenigen Überresten, die davon erhalten geblieben sind.

Nach wie vor widmet sich der Wissenschaftler nun der Puzzlearbeit, denn die Spurensuche auf den Fragmenten des Papyrus geht weiter. Ein neuer Buchstabe könnte dabei im Idealfall in einer Art Dominoeffekt zu ganz neuen Erkenntnissen über Textinhalte führen, erklärt der Wissenschaftler. „Ich finde, die Wiederentdeckung von Literatur, die gut 2000 Jahre lang als verschollen galt, ist eines der spannendsten Felder in der Klassischen Philologie“, so Fleischer.

Angst, dass ihm der „Lesestoff“ nach dem aktuellen Projekt ausgehen könnte, muss er nicht haben. Denn von den gut 1000 Schriftrollen, die aus der Villa dei Papiri geborgen wurden, sind mehr als 300 noch nicht genauer untersucht worden. Ihnen könnte wohl auch der zerstörerische Akt des Entrollens erspart bleiben: Durch moderne Durchleuchtungs-Techniken sind mittlerweile auch virtuelle Einblicke in die zerbrechlichen Überreste möglich. Zudem könnten in der Villa dei Papiri auch noch weitere literarische Schätze verborgen liegen: Es gibt noch Bereiche, die auf eine Ausgrabung warten.

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch

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