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RETTUNGSRING FÜR SEUTHOPOLIS

Geschichte|Archäologie

RETTUNGSRING FÜR SEUTHOPOLIS
Die exzellent erhaltene thrakische Stadt schlummert am Grund eines Stausees. Nun soll die Königsresidenz wieder auftauchen – ein einzigartiges Projekt.

Die Geschichte beginnt vor 60 Jahren im berühmten Rosental nördlich der bulgarischen Stadt Kazanlak. Zur Bewässerung der riesigen Rosenfelder wird viel Wasser benötigt. Deshalb beschließt Bulgariens Staatsführung fünf Kilometer westlich der Stadt durch Aufstauung der Tundsha einen 20 Kilometer langen Stausee anzulegen. Bei den Bauarbeiten dazu stoßen die Arbeiter im Frühjahr 1948 auf dicke Mauern. Es ist der Beginn einer spektakulären Ausgrabung. In den folgenden sechs Jahren legen Archäologen des Nationalen Archäologischen Instituts der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Dimitar P. Dimitrov eine fünf Hektar umfassende antike Stadt frei – so groß wie sieben Fußballfelder. Name und Erbauer sind zunächst unbekannt. In keiner antiken Quelle wird die Stadt erwähnt. Erst 1953 finden die Ausgräber eine Marmorplatte, deren griechische Inschrift den Namen verrät: Seuthopolis, „Stadt des Seuthes“. Ihr Erbauer war Seuthes III., König der thrakischen Odrysen.

Die Odrysen hatten sich nach 480 v.Chr. militärisch und wirtschaftlich die Führung unter den Thrakerstämmen erkämpft. Alexander der Große sicherte 335 v.Chr. die makedonische Vorherrschaft in den thrakischen Gebieten bis an die Donau. Doch das verbündete thrakische Königshaus ließ er weiter regieren. Seuthes III. errang nach erfolgreichen Kämpfen gegen Lysimachos, den Nachfolger Alexanders, eine immer größere politische Selbstständigkeit. Sichtbarer Beweis seiner Macht: die um 323 v.Chr. errichtete Königsresidenz Seuthopolis.

NACH GRIECHISCHEM STADTPLAN

Die Ausgrabungen verraten, dass die Stadt von einem 890 Meter langen, turmbewehrten Mauerring umgeben war. Zwei Hauptstraßen führten ins Zentrum, kreuzten sich dort im rechten Winkel und umschlossen einen rechteckigen Platz, die Agora. Die anderen Straßen bildeten ein regelmäßiges Netz. Mit einem solchen Stadtplan hatten die Ausgräber nicht gerechnet, denn er entspricht den Prinzipien des griechisch-hellenistischen Städtebaus. Der griechische Baumeister Hippodamos hatte Mitte des 5. Jahrhunderts v.Chr. Stadtanlagen mit einem rasterförmigen Straßennetz entworfen. Eine derartige Stadt mitten in Thrakien? Münz- und Keramikfunde weisen auf wirtschaftliche Kontakte mit den griechischen Küstenstädten hin. Die Stadtanlage ebenso wie Baudetails des Palastes zeugen von der Vorbildwirkung der griechischen Kultur. Im Norden von Seuthopolis stand der Palast, ein monumentales zweistöckiges Gebäude. Dessen gesamte Nordhälfte nahm der riesige Festsaal ein. Ihm gegenüber lagen kleine Räume für Kulthandlungen. Der Palast als Residenz und Heiligtum symbolisierte die Doppelfunktion des thrakischen Herrschers als „ Priesterkönig“.

Doch das Reich hatte Feinde. Um 270 v.Chr. setzten die Kelten die Stadt in Brand. Sie waren auf ihrem Weg von der mittleren Donau nach Griechenland und Kleinasien in Thrakien eingefallen und zerstörten das gesamte Odrysenreich. Die kurze Zeit ihrer Existenz mag erklären, warum die Stadt von den Historikern vergessen wurde. Doch der sensationelle Fund der Archäologen konnte den Weiterbau des Staudamms nicht stoppen. Das Prestigeobjekt hatte aus wirtschaftlichen Gründen Vorrang. Eine Rettungsaktion wie 1964 in Assuan, wo die Tempel von Abu Simbel und Philae abgebaut und an sicherem Ort wieder aufgebaut wurden, gab es nicht. Seuthopolis versank 1954 in den Fluten des Koprinka-Stausees, des früheren Georgi-Dimitrov-Stausee.

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Umfangreiche Ausgrabungen brachten in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche thrakische Grabanlagen und Schätze bei Kazanlak ans Licht. Das Gebiet wurde zu einem Zentrum der Thrakerforschung. 2005 schlug der Bürgermeister von Kazanlak vor, Seuthopolis als Kopie aufzubauen. Doch der Architekt Sheko Tilev, der den Auftrag bekommen sollte, lehnte ab und setzte einen eigenen Plan dagegen: das Original an Ort und Stelle. Mitten im Stausee soll ein gigantischer Betonring mit einem Durchmesser von 420 Metern die antike Stadt vom umgebenden Wasser trennen. Kein leichtes Unterfangen: Um die Stadt trockenzulegen, müssen 3,7 Millionen Kubikmeter Wasser abgepumpt werden. Touristen sollen dann mit Booten zu der riesigen Anlage gebracht werden und von vier gläsernen Aussichtstürmen auf die Stadt blicken können. Aufzüge und Treppen werden 20 Meter hinab zu den Ruinen der Stadt führen. Die knapp 1300 Meter lange Ringmauer soll an der Innenseite, „Hängenden Gärten“ ähnlich, begrünt werden. An der Ringmauer sollen Restaurants und Läden mit Blick auf die Stadt und den See eingerichtet werden.

500 000 BESUCHER JÄHRLICH

Seit September 2007 arbeitet die „Nationale Vereinigung zur Bewahrung des bulgarischen Erbes“ mit Architekt Tilev an der „ Initiative Seuthopolis“. Im Juni 2008 gab das bulgarische Ministerium für Kultur grünes Licht. Der Vorsitzende der Vereinigung, Dimitar Mandradjiev, rechnet jährlich mit 500 000 Besuchern, auch wegen der anderen archäologischen Denkmäler in der Region. Zunächst hatten Spezialisten des Ozeanographischen Instituts Varna den Grund des Stausees untersucht und bestätigt, dass die Überreste der Stadt in einem sehr guten Zustand sind. Im Frühling dieses Jahres begann das Institut mit hydrogeologischen Untersuchungen, damit die Lage der Ringmauer punktgenau projektiert werden kann.

„Es ist ein anspruchsvolles und aufwändiges Projekt, aber realisierbar“, urteilt Manfred Curbach vom Institut für Massivbau an der Technischen Universität Dresden. „Eine 20 Meter hohe Mauer kann so konstruiert werden, dass sie dem Wasserdruck standhält.“ Schwieriger ist die Abdichtung des Bodens. Lothar Stempniewski vom Institut für Massivbau und Baustofftechnologie der Universität Karlsruhe betont, dass die Ringmauer nicht einfach auf den Grund des Stausees „gestellt“ werden kann, sondern bis in eine wasserundurchlässige Schicht eingelassen werden muss. Ein schwieriges Projekt, bei dem Geologen und Ingenieure eng zusammenarbeiten müssen.

Nicht nur die technischen Anforderungen sind enorm, sondern auch die finanziellen: Schätzungen liegen bei rund 150 Millionen Euro. Dafür sollen nationale und internationale Hilfsprogramme und Fonds genutzt werden, man setzt auf Public Private Partnerships. Die Mitglieder des EU-Parlaments wurden auf Unterstützung angesprochen. Investoren und Stiftungen aus Kuwait, Griechenland und den Niederlanden haben bereits ihre Zusage gegeben. Und so könnte Seuthopolis eines Tages prachtvoll aus den Fluten wiederauferstehen. ■

von Ronald Sprafke

Thrakische MAchtkämpfe

Seuthopolis als Statussymbol: Die Odrysen hatten sich die Vorherrschaft unter den Thrakerstämmen gesichert.

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