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Scheintote Nonne und aufständischer Erzbischof

Geschichte|Archäologie

Scheintote Nonne und aufständischer Erzbischof
Rees Jones
Archivist Gary Brannan und die Mediävistin Sarah Rees Jones mit einem der erzbischöflichen Register. (Bild: University of York)

Eine Nonne, die ihren Tod vortäuschte und ein Erzbischof, der in die Schlacht zog: Neue Einblicke in das Leben im mittelalterlichen Nordengland haben Historiker aus den Archiven der Erzbischöfe von York gewonnen. Die Briefe, Manuskripte und Aufzeichnungen aus der Zeit von 1305 bis 1405 beleuchten spannende Einzelschicksale in einer von Krieg, Seuchen, politischen Intrigen und religiöser Reformation geprägten Ära.

Für Sarah Rees Jones, Mediävistin an der University of York, sind die 16 schweren Manuskriptbände ein echter Schatz. Denn in ihnen ließen die mittelalterlichen Erzbischöfe von York alles niederschreiben, was sich unter ihrer Ägide in der Stadt York und den umliegenden Provinzen ereignete. „Erzbischöfe hatten im 14. Jahrhundert unglaublich vielseitige Rollen“, erklärt die Forscherin. Einerseits nahmen sie diplomatische Aufgaben in Rom und dem Rest Europas wahr und begegneten den VIPs des Mittelalters. Andererseits aber mussten sie Inspektionen in Klöstern durchführen, Streit zwischen normalen Bürgern schlichten und über Verfehlungen von Mönchen und Nonnen urteilen.

Über alle diese Tätigkeiten führten die Erzbischöfe Buch. „Und dies ist der Grund, warum diese Archive uns heute so reiche Informationen über Menschen aller Schichten und Lebenslagen in dieser so faszinierenden und extrem turbulenten Zeit liefern“, sagt Rees Jones. Im Rahmen ihres Projekts haben sie und ihre Kollegen inzwischen einen Teil der Aufzeichnungen aus der Zeit von 1305 bis 1405 gesichtet und ausgewertet. Dabei stießen sie auf eine Vielzahl von überraschenden und faszinierenden Einzelschicksalen.

Die entlaufene Nonne

Eine Geschichte findet sich in einem Brief des Erzbischofs William Melton aus dem Jahr 1318. In ihm beschreibt er das skandalöse, geradezu blasphemische Verhalten einer Nonne namens Joan. Diese hatte offenbar die Nase voll vom Klosterleben und kaschierte ihre Flucht auf ziemlich spektakuläre Weise: Sie täuschte ihren Tod vor und schaffte es, dass statt ihrer Leiche ein Dummy aus einem mit Erde gefüllten Habit mit Schleier begraben wurde. In seinem Brief bittet der Erzbischof nun den Dean von Beverly, einem 64 Kilometer östlich von York gelegenen Gebiet, nach der entlaufenen Nonne Ausschau zu halten.

Warum die Nonne Joan aus ihrem Konvent floh, ist nicht genau bekannt. Der Erzbischof beschreibt es in seinem Brief zwar als „fleischliche Lust“. Doch wie Rees Jones erklärt, musste dies nicht bedeuten, dass die Nonne ihr Keuschheitsgelübde ablegen und eine sexuelle Beziehung eingehen wollte. Genauso denkbar wäre es, dass die Nonne der Askese des Klosterns entrinnen und anderen säkularen Gelüsten frönen wollte. „Wir wissen, dass viele andere Kleriker dieser Zeit ihre Gelübde brachen, um entweder zu heiraten oder aber ein Erbe anzutreten“, erklärt die Historikerin.

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Erzbischöfe als Krieger und Aufständische

Doch die kirchlichen Archive von York beleuchten auch die ungewöhnlichen Schicksale einiger Erzbischöfe jener Zeit. So führte William Melton im Jahr 1319 höchstselbst eine ganze Armee von Priestern und normalen Bürgern in den Kampf gegen die Schotten. „Im Mittelalter war York eine sehr wichtige Stadt an der Frontlinie des Schottischen Unabhängigkeitskrieges“, erklärt Rees Jones. „Leider aber ging der Kampf für Melton und seine Klerikerarmee nicht gut aus: Ihr Mangel an militärischer Übung führte dazu, dass den Berichten zufolge 4000 Männer auf dem Schlachtfeld starben. 1000 weitere sollen im Fluss Swale auf der Flucht ertrunken sein.“

Weniger loyal agierte dagegen einer der Nachfolger von Melton knapp 100 Jahre später: Erzbischof Richard le Scrope wurde 1405 wegen seiner Teilnahme am Aufstand des Nordens gegen König Henry IV hingerichtet. Es kann gut sein, dass die Aufzeichnungen uns noch mehr Informationen über diese Episode verraten – und auch, was Scrope dazu motiviert hat, sich am Aufstand zu beteiligen“, sagt Rees Jones. Denn noch haben die Forscher erst angefangen, die Texte in den 16 Bänden zu sichten, zu übersetzen und zu digitalisieren, wie die Historikerin berichtet.

Im Rahmen des laufenden Projekts sollen die mittelalterlichen Aufzeichnungen aufbereitet und für alle zugänglich gemacht werden. „Diese Chroniken werden uns ein Fenster in das Leben von wichtigen Personen und ganz normalen Leuten öffnen“, so Rees Jones.

Quelle: University of York, Projekt „York’s Archbishops Registers Revealed

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