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So regierte Kaiser Franz Joseph I.

Blick auf den kaiserlichen Schreibtisch

So regierte Kaiser Franz Joseph I.
Franz Joseph I.
Kaiser Franz Joseph I. setzte auf Mikro-Management und Bürokratie (Bild: ÖNB)

Kaiser Franz Joseph I. von Österreich hat rund eine Viertelmillion Dokumente hinterlassen, die von den Entscheidungen seines Regierungsalltags zeugen. Ihre Auswertung verrät nun, dass der Kaiser zum Mikromanagement neigte und Wert auf Bürokratie und Formalitäten legte. Gleichzeitig offenbaren sie aber auch, dass sein Regierungsstil eher konsensorientiert war – er war eher Typ Merkel als Typ Trump.

Kaiser Franz Joseph I. regierte von 1848 bis 1916 über Österreich – 68 Jahre lang. Zu Beginn seiner Herrschaft war er noch ein absolutistischer und zentralistischer Herrscher alter Schule, doch die politischen und sozialen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts und zunehmende Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen zwangen auch ihn zur Anpassung: Ab 1867 regierte Franz Joseph I. als konstitutioneller Monarch über Österreich-Ungarn.

Dokumente vom Schreibtisch des Kaisers

Wie der Regierungsalltag des Kaisers damals aussah, davon zeugen rund 250.000 schriftliche Vermerke, sogenannte „Vorträge“, die in Protokollbüchern der Kabinettskanzlei dokumentiert und im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien aufbewahrt sind. Diese drei- bis fünfseitigen Dokumente sollten dem Kaiser als Entscheidungshilfe dienen und enthielten eine von der Kabinettskanzlei verfasste Kurzzusammenfassung des Themas oder der Fragestellung samt Entscheidungsvorschlag der zuständigen Minister. Die „Vorträge“ geben damit einen spannenden Einblick darin, welche Entscheidungen Franz Joseph I. im Zuge seiner Regierung zu treffen hatte und wie er entschied.

Doch lange blieb dieser Korpus der kaiserlichen „Vorträge“ weitgehend unerforscht – allein schon die schiere Mengen an Dokumenten machte die Untersuchung zu einer Mammutaufgabe. Die Historiker Jana Osterkamp vom Collegium Carolinum in München und Peter Becker von der Universität Wien haben sich nun jedoch dieser Aufgabe gestellt und dafür eine spezielle Methode eingesetzt: „Mit der historisch-statistischen Politikfeldanalyse können wir die Protokollbücher der Kabinettskanzlei statistisch und qualitativ auswerten. Dabei betrachten wir nicht nur inhaltliche, sondern auch zeitliche Komponenten wie die Bearbeitungsdauer“, erklärt Osterkamp. Jetzt gibt es erste Zwischenergebnisse.

Vom Einzelfall bis zur Gesetzesvorlage

Eine überraschende Erkenntnis: Der österreichische Kaiser hielt offenbar wenig vom Delegieren und legte eher einen Stil an den Tag, den man heute als „Mikro-Managing“ bezeichnen würde. „Über 90 Prozent sind Einzelfallentscheidungen, ein Wert, der uns umgehauen hat“, sagt Becker. Die Spannbreite der Themen reichte dabei von Anträgen auf eine Erhebung in einen höheren Stand über Gesetzesvorlagen und Verordnungen bis hin zu Einzelfall-Entscheidungen. „Die Themen landeten bunt gemischt auf seinem Schreibtisch“, erklärt der Historiker. „So folgte etwa auf eine Gnadengabe von 50 Kreuzern eine Eisenbahnkonzession. Wir waren fasziniert, wie wenig zusammenhängend sie abgearbeitet wurden. Das muss für ihn unglaublich anstrengend gewesen sein.“

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Dennoch arbeitete der Kaiser die Entscheidungen trotz dieser enormen Fülle und Bandbreite erstaunlich schnell ab: „Er war ein höchst effizienter Bürokrat, der nichts liegen oder anbrennen ließ“, berichtet Becker. „68 Prozent entschied er innerhalb eines Tages und das Allermeiste erledigte er binnen einer Woche.“ Dabei legte Franz Joseph I. augenscheinlich viel Wert auf die Einhaltung von formalen Abläufen, wie die Analysen ergaben. Dieser Anspruch gekoppelt mit dem Mikro-Management hatte jedoch auch eine Schattenseite: Der Kaiser kam dabei häufig an die Grenze seiner Belastbarkeit und verlor teilweise den Blick auf das Ganze – auch auf die großen gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit, die mit dem Einzug der Moderne verknüpft waren.

Eher Merkel als Trump

Die Auswertungen der kaiserlichen „Vorträge“ geben aber auch interessante Einblicke darin, mit welcher Grundeinstellung der Kaiser regierte. „Faszinierend ist zum Beispiel, dass der Kaiser stets eine starke Konsensorientierung erkennen lässt“, sagt Becker. „Wir haben nach einem zeitgenössischen Vergleich gesucht und man könnte ihn in dieser Hinsicht als männliches Pendant zu Angela Merkel betrachten, während der deutsche Kaiser Wilhelm II. an Donald Trump erinnert.“ Dieses Streben nach Konsens war jedoch nicht immer ein Vorteil, wie die Historiker erklären: „In Zeiten der Massenpolitik und im konkreten Fall der Nationalitätenkonflikte stellte dies kein angemessenes Steuerungsinstrument dar“, so Becker.

Aus den Dokumenten geht auch hervor, wer auf die kaiserlichen Entscheidungsprozesse Einfluss nahm oder es zumindest versuchte. Wer wie Einfluss nahm, hing demnach davon ab, ob er alleine entschied, wie beispielsweise bei Anträgen auf Standeserhöhung, oder ob Minister eingebunden waren. Nur in wenigen Fällen wie der Symbolpolitik versuchten dabei Mitglieder der gehobenen Gesellschaft, über die Kabinettskanzlei auf informellem Weg Einfluss zu nehmen.

Quelle: Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF; Fachartikel: Der Kaiser und seine Kanzlei. Überlegungen zum Herrschaftssystem der Habsburgermonarchie, in: Politik- und Kulturgeschichtliche Betrachtungen, Hermagoras

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