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Städtische Probleme – schon vor 9000 Jahren

Geschichte|Archäologie

Städtische Probleme – schon vor 9000 Jahren
Skelett einer Frau aus Çatalhöyük. (Bild: Çatalhöyük Research Project/Jason Quinlan.)

Das Leben in unseren modernen Städten hat bekanntlich Schattenseiten: Überfüllung, Infektionskrankheiten, Gewalt und Umweltprobleme machen den Bewohnern das Leben schwer. Wie Forscher nun berichten, war das prinzipiell auch schon in einer der ersten landwirtschaftlichen Siedlungen der Menschheitsgeschichte der Fall: In den Überresten von Çatalhöyük in der heutigen Türkei fanden sie die Spuren typisch städtischer Probleme, unter denen die Bewohner vor rund 9000 Jahren litten.

Çatalhöyük ist ein ausgesprochen spannender Fundort für die Archäologie. Denn in der Geschichte der Siedlung spiegelt sich wider, was es für den Menschen bedeutete, von der ursprünglich nomadischen Jäger- und Sammler-Lebensweise zu einer bäuerlichen Siedlungs-Kultur überzugehen: Bei Çatalhöyük handelte es sich um eine der ersten größeren Siedlungen, deren Lebensgrundlage die Landwirtschaft bildete. Der Ort repräsentiert somit gleichsam eine Urform unserer heutigen urbanen Strukturen.

Wie das Ausgrabungsteam um Clark Spencer Larsen von der Ohio State University berichtet, belegen die Funde auf dem 13 Hektar großen Gelände, dass Çatalhöyük von etwa 7100 bis 5950 v. Chr. bewohnt war. Anfangs bestand die Siedlung wahrscheinlich nur aus ein paar Lehmziegelhäusern – doch dann wuchs der Ort zu einer beachtlichen Größe heran: Den Höhepunkt seiner Entwicklung erreichte Çatalhöyük etwa von 6700 bis 6500 v. Chr., berichten die Forscher. Schätzungen zufolge lebten in dieser Zeit 3500 bis 8000 Menschen in der Siedlung. Später ging die Bevölkerung dann wieder stark zurück, bis Çatalhöyük um 5950 v. Chr. schließlich ganz verlassen wurde.

Dem Leben in der Steinzeitsiedlung auf der Spur

Im Rahmen ihrer aktuellen Studie sind die Wissenschaftler nun der Entwicklung der Lebensbedingungen in der steinzeitlichen Siedlung nachgegangen. Ihre Ergebnisse basieren auf Analysen von menschlichen, pflanzlichen und tierischen Überresten sowie auf Untersuchungen von Baustrukturen und Spuren der klimatischen Entwicklung in der Region. Neben forensischen Methoden kamen bei der Untersuchung der menschlichen Überreste auch Isotopenanalysen zum Einsatz, die Rückschlüsse über die Ernährungsweise der einstigen Bewohner zulassen.

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Diesbezüglich zeigte sich: Die Menschen aßen viel Weizen, Gerste und Roggen sowie eine Reihe nicht domestizierter Pflanzen. Aus den Untersuchungen der Stickstoffisotopenverhältnisse in den menschlichen Überresten ging zudem hervor, dass das Eiweiß der Nahrung von Schafen, Ziegen und auch Wildtieren stammte. Wie die Forscher berichten, zeichnete sich bei den Untersuchungen der gefundenen Zähne der Bewohner ab, dass sie bereits unter der sogenannten „Zivilisationskrankheit“ Karies litten: Etwa 10 bis 13 Prozent der Zähne der Erwachsenen wiesen demnach Löcher auf. Vermutlich war dies auf die getreidereiche Ernährung zurückzuführen, erklären die Forscher.

Umweltschäden und Hygieneprobleme

Wie sie weiter berichten, zeigen Veränderungen der Form der Beinknochenquerschnitte im Laufe der Zeit, dass die Bewohner von Çatalhöyük in der Spätzeit deutlich mehr laufen mussten als die früheren Bewohner. Dies legt den Wissenschaftlern zufolge nahe, dass sich die Bereiche, die sich für Landwirtschaft und Viehzucht eigneten, immer mehr vom Ort entfernten. „Wir glauben, dass lokale Umweltzerstörungen und der Klimawandel in der Region die Menschen gezwungen haben, sich weiter von der Siedlung zu entfernen, um Landwirtschaft zu betreiben oder Vorräte wie Brennholz zu beschaffen“, sagt Larsen. „Das hat vermutlich letztlich auch zum endgültigen Untergang von Çatalhöyük beigetragen“, so der Wissenschaftler.

Auch was das gesundheitliche Niveau in der Proto-Stadt betrifft, fanden die Forscher Hinweise auf einen Niedergang: Offenbar litten die Bewohner unter einer hohen Infektionsrate – konkret weisen bis zu einem Drittel der Überreste die Spuren von Infektionen an den Knochen auf. Vermutlich war dies auf die hohe Bevölkerungsdichte und die mangelnde Hygiene in der engen Siedlung zurückzuführen. Die Untersuchungen der Baustrukturen zeigen in diesem Zusammenhang: In der Blütezeit wurden die Wohneinheiten ohne Zwischenräume gebaut und die Bewohner kamen und gingen über Leitern.

In den durch Lehm verputzen Innenräumen ging es wohl auch nicht immer gerade sauber zu: Die Forscher fanden Spuren von tierischen und menschlichen Fäkalien. „Die Bewohner lebten unter sehr beengten Verhältnissen, mit Müllgruben und Tierställen direkt neben einigen ihrer Häuser. Es gab also offenbar eine ganze Reihe von Hygieneproblemen, die zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten beitragen haben könnten“, resümiert Larsen.

Spuren der Gewalt

Die Ergebnisse der forensischen Untersuchungen der menschlichen Überreste legen zudem nahe, dass die beengten Bedingungen in Çatalhöyük zu einem hohen Maß an Gewalt zwischen den Bewohnern geführt haben. Die Untersuchung einer Stichprobe von 93 Schädeln aus Çatalhöyük ergab, dass mehr als ein Viertel die Spuren geheilter Frakturen aufwiesen. Zwölf waren sogar mehrmals Opfer geworden – mit zwei bis fünf Verletzungen im Laufe der Zeit. Mehr als die Hälfte der Opfer waren dabei Frauen, ergaben die Untersuchungen.

Die Form der Läsionen lässt den Forschern zufolge darauf schließen, dass die Schläge auf den Kopf von harten, runden Gegenständen verursacht wurden. Die meisten Verletzungen befanden sich dabei am Hinterkopf, was vermuten lässt, dass die Opfer hinterrücks attackiert worden waren. „Wir fanden eine Zunahme dieser Schädelverletzungen während der mittleren Periode, als die Bevölkerung am größten und am dichtesten war“, sagt Larsen. „Somit könnte man interpretieren, dass die Überbevölkerung zu erhöhtem Stress und zu Konflikten innerhalb der Siedlung geführt hat“, so der Wissenschaftler.

Abschließend sagt Larsen: „Am Beispiel von Çatalhöyük können wir etwas über die Ursprünge der Faktoren lernen, die noch immer das Leben in unseren heutigen Gemeinschaften prägen: Mit vielen der Herausforderungen unserer Zeit waren offenbar auch schon die Menschen in Çatalhöyük konfrontiert“. Der Unterschied ist allerdings: “Unsere heutigen Probleme haben größere Dimensionen“, so der Wissenschaftler.

Quelle: Ohio State University, PNAS, doi: 10.1073/pnas.1904345116

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