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Streitgespräch mit dem eignen Geschlechtsteil

Geschichte|Archäologie

Streitgespräch mit dem eignen Geschlechtsteil
Dieser Pergamentstreifen aus dem Kloster Melk trägt Textfragmente des mittelalterlichen Werks „Rosendorn“. (Bild: Stift Melk)

Ein unscheinbarer Schnitt-Streifen eines beschrifteten Pergaments – was stand einst auf der vollständigen Seite dieser mittelalterlichen Handschrift geschrieben? Die Antwort auf diese Frage brachte ein Team aus deutschen und österreichischen Mittelalter-Spezialisten zum Erstaunen – und vermutlich auch zum Schmunzeln. Wie ihre Analysen ergaben, handelt es sich bei dem Textfragment aus der Stiftsbibliothek Melk um den nun ältesten bekannten Nachweis eines pikanten Textes: Im sogenannten „Rosendorn“ diskutiert eine Jungfrau mit ihrer eignen Vulva.

Die alten Bibliotheken sind Schatzhäuser unseres kulturellen Erbes – und in ihnen schlummern verborgene Juwelen, wie sich im aktuellen Fall erneut gezeigt hat. Der Erhaltung, Sicherung und Untersuchung der alten Handschriften ist das Akademieprojekt „Handschriftencensus“ gewidmet. Dessen Ziel ist es, Informationen zu sämtlichen deutschsprachigen Handschriften des Mittelalters in einer Internet-Datenbank zu vereinen. Etwa 900 Mitarbeiter forschen dazu in insgesamt rund 140 Projekten mit rund 200 Arbeitsstellen.

Zu Falzstreifen zerschnitten

Im Rahmen dieses Projekts ist nun auch der aktuelle Fund geglückt. Entdeckt hat das Fragment Christine Glaßner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Wien in der berühmten Bibliothek des Klosters Melk. Sie hat das Fragment in einem lateinischen Klosterband gefunden, in dem es als Falzstreifen für den Einband diente. Das Pergamentstück stammte offenbar aus einem vormals vermutlich vollständigen Blatt, das zerschnitten wurde. Wie die Forscher erklären, war dies eine gängige Methode, um das kostbare Material wiederzuverwerten.

Um herauszufinden, zu welchem Text die Schriftfragmente einst gehört haben könnten, kontaktierte Glaßner die Mittelalter-Spezialisten Nathanael Busch von der Universität Siegen. Durch akribische Geduldsarbeit erfasste er die erkennbaren Buchstabenfolgen der Zeilen des Streifens und recherchierte, zu welchem ursprünglichen Text sie passen könnten. Mit Erfolg!

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Die Textbruchstücke gehören demnach zum „Rosendorn“, von dem bislang nur zwei Abschriften bekannt waren. Man nahm bisher an, dass dieses Werk im Rahmen der städtischen Kultur des 15. Jahrhunderts entstanden ist. Das Thema ist ausgesprochen skurril: Im Rosendorn geht es um eine Jungfrau, die sich mit ihrer eigenen Vulva über die Motive von Männern streitet. Die Frau glaubt, die männliche Aufmerksamkeit gelte ihr, wohingegen die Vulva meint, nur sie sei der Grund für das Interesse.

Der älteste Nachweis eines pikanten Werks

Das Besondere an dem Fund ist nun: Die Forscher haben das Melker Fragment auf die Zeit um 1300 datiert. Es ist damit deutlich älter als die beiden anderen bekannten Abschriften. Dies wiederum widerspricht einer bisherigen Sichtweise: Man hat angenommen, dass sich ein derart lockerer Umgang mit dem Thema Sexualität im deutschsprachigen Raum erst zum Ende des Mittelalters im 15. Jahrhundert entwickelt hat. Der Fund lässt nun allerdings vermuten, dass es bereits 200 Jahre zuvor Anlässe gab, bei denen derart frivole Werke gedichtet, vorgetragen und vielleicht sogar inszeniert wurden.

Der Grund warum sie kaum überliefert sind, könnte daran liegen, dass sie nur selten aufgeschrieben wurden und wenn ja, nicht bis heute aufbewahrt wurden. Möglicherweise zeichnet sich dies auch bei dem aktuellen Fund ab. Über die Gründe, warum die Abschrift des Rosendorns einst zerschnitten wurde, kann man zwar nur spekulieren. Da das Fragment aber in einem Melker Klosterband gefunden wurde, liegt der Verdacht nahe, dass man in der religiösen Einrichtung der Meinung war: Solch ein verderbliches Werk muss man vernichten!

Quelle: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz

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