Wer ein Fotoalbum früherer Generationen seiner Familie anschaut, geht auf Zeitreise. Was waren das damals für Leute? Worüber haben sie sich gefreut, was hat sie geängstigt, wie waren ihre Lebensumstände? Manchmal meint man in den Gesichtern lesen zu können, und ein stummer Dialog kommt in Gang.
Solch ein Erlebnis genießt, wer in dem Buch von G.J. Sawyer und Viktor Deak blättert – physischer Anthropologe am American Museum of Natural History der eine, Paläokünstler der andere. Sie haben aufgrund von Lebend-Rekonstruktionen fossiler Schädel 22 fotorealistische Porträts von den Vorläufern und den direkten Vorfahren des Homo sapiens geschaffen. In den Gesichtern der längst vergangenen Wesen aus der Morgendämmerung der Menschheit verbinden sich wissenschaftlicher Anspruch und künstlerische Fantasie – mit faszinierendem Ergebnis.
Wem Bilder zu wenig sind, der kann von den Texten profitieren. Orrorin tugenensis, Kenyanthropus platyops, Homo ergaster – die Namen sind kompliziert und die textlichen Erläuterungen zu jedem dieser frühen Homininen viel detaillierter, als es den meisten allgemein interessierten Lesern lieb sein wird. Leichter lesbar für Nichtfachleute sind die immer wieder eingestreuten szenischen Geschichten aus der Urzeit. Die sind unterschiedlich gut geglückt, manchmal auch unfreiwillig komisch. Uneingeschränkt empfehlenswert ist das Buch trotzdem – für alle, die auf Zeitreise zu ihren fernen Ahnen gehen wollen. Thorwald Ewe
G.J. Sawyer, Viktor Deak DER LANGE WEG ZUM MENSCHEN Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2008, 216 S., € 39,95 ISBN 3–8274–1 915–8