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Trigonometrie in Keilschrift

Geschichte|Archäologie

Trigonometrie in Keilschrift
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Die 3700 Jahre alte babylonische Keilschrifttafel "Plimpton 322" (Foto: UNSW/Andrew Kelly)
Die Trigonometrie galt bisher als mathematische Errungenschaft der alten Griechen. Sie erkannten als erste, wie man fehlende Eigenschaften eines Dreiecks über Winkelfunktionen berechnen kann – so dachte man. Doch nun enthüllt eine Keilschrift-Tafel aus dem Südirak, dass die Babylonier bereits mehr als tausend Jahre vor den Griechen trigonometrische Tabellen aufstellten und nutzten. Wie australische Forscher nachweisen, müssen die Babylonier dafür zudem ein mathematisches System benutzt haben, das viel präzisere Berechnungen erlaubte als das klassische winkelbasierte System.

Die Trigonometrie umfasst mathematische Methoden, die es ermöglichen, von drei Merkmalen eines Dreiecks auf noch fehlende weitere zu schließen. Dafür werden Funktionen herangezogen, die auf der Beziehung zwischen Winkeln und Seitenlängen in einem Dreieck basieren. Wichtig ist dies für viele Anwendungen, wie beispielsweise die Vermessung und Kartierung in der Geodäsie, oder die Ermittlung der Entfernung von Himmelskörpern in der Astronomie. Trigonometrische Funktionen wie Sinus oder Cosinus dienen zudem in der Physik dazu, Schwingungen zu beschreiben. Bisher galt die Trigonometrie als Errungenschaft der Antike: Der griechische Astronom Hipparchos soll bereits um 120 vor Christus trigonometrische Tabellen niedergeschrieben haben und auch Ptolemäus nutzte solche Tafeln als Rechenhilfe für seine astronomischen Kalkulationen.

Pythagoras auf einer babylonischen Tontafel

Doch wie sich jetzt zeigt, könnten die Babylonier schon mehr als tausend Jahre vor den Griechen die Trigonometrie erfunden haben. Den Beleg dafür könnte eine Anfang des 20. Jahrhunderts im Süden des Iraks entdeckte Keilschrifttafel liefern. Die zwischen 1822 und 1762 vor Christus in der sumerischen Stadt Larsa hergestellte Tontafel “Plimpton 322” ist mit vier Spalten und 15 Zeilen von Zahlen beschrieben. Wie bei den Babyloniern üblich, verwendete der Autor dabei nicht das Dezimalsystem, sondern eine auf 60 basierende Zählung – ähnlich unseren Zeiteinheiten. Doch was diese Zahlen bedeuten und welches mathematische System dahintersteckt, blieb lange rätselhaft.

Auffällig war jedoch, dass die Zahlen einer wohlbekannten Dreierfolge aus der Geometrie ähnelten, dem pythagoreischen Tripel. Dabei entsprechen die drei natürlichen Zahlen jeweils den Längen der Seiten in einem rechtwinkligen Dreieck. Weil die Zahlen-Trios auf der Tontafel relativ große Werte umfassen – beispielsweise 119, 120 und 169 – müssen die Babylonier demnach bereits den Satz des Pythagoras gekannt haben – gut tausend Jahre bevor der griechische Mathematiker lebte. “Plimpton 322 hat die Mathematiker mehr als 70 Jahre lang vor Rätsel gestellt – seitdem klar wurde, dass es sich um pythagoreische Tripel handelt”, erklärt Daniel Mansfield von der University of New South Wales. “Die große Frage war, wofür die babylonischen Mathematiker diese Tripel errechneten und in einer solchen Tafel aufzeichneten.”

Dies haben nun Mansfield und seine Kollegen herausgefunden. Wie sie feststellten, muss die Tontafel ursprünglich sechs Spalten und 38 Zeilen umfasst haben, doch die linke Seite brach ab, so dass diese Teile heute fehlen. Aus den noch verbleibenden Zahlenfolgen geht jedoch hervor, dass die Babylonier hier eine Abfolge von 15 rechtwinkligen Dreiecken beschrieben, deren Winkelneigung sich stetig von oben nach unten verringerte. Das deutet nach Ansicht der Wissenschaftler darauf hin, dass Plimpton 322 von den Babyloniern als trigonometrische Tabelle genutzt worden sein muss – gut tausend Jahre bevor Hipparchus seine Tabellen niederschrieb. “Diese Tontafel enthält damit die älteste trigonometrische Tabelle der Welt”, sagt Mansfield. “Diese Tontafel war ein effektives Werkzeug, um mit seiner Hilfe Felder zu vermessen oder architektonische Berechnungen für Paläste, Tempel oder Stufenpyramiden anzustellen.”

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Daniel Mansfield erklärt die Tontafel und ihre Mathematik (Video: University of New South Wales)

Viel genauer als die Griechen

Doch nicht nur das: Die Berechnungen der Babylonier waren auch überraschend genau: “Es handelt sich um die einzige vollkommen akkurate trigonometrische Tabelle, weil die Babylonier einen ganz anderen Ansatz in der Arithmetik und Geometrie besaßen”, erklärt der Mathematiker. Im Gegensatz zu den Griechen basierten ihre Berechnungen nicht auf Winkeln und Kreisfunktionen, sondern auf Zahlenverhältnissen. Weil die Babylonier zudem ein auf 60 basierendes Zahlensystem nutzen, ergaben ihre Brüche weitaus häufiger ganze Zahlen – ein Runden war daher kaum nötig. “Das ist eine faszinierende mathematische Methode, die unzweifelhaft ein gewisses Genie beweist”, so Mansfield. Denn dadurch sind die trigonometrischen Berechnungen der Babylonier präziser als die der Griechen.

Die mathematischen Fähigkeiten der Babylonier sind jedoch nicht nur für Historiker interessant. “Das hat auch große Bedeutung für unsere moderne Welt, sagt Mansfields Kollege Norman Wildberger. “Die babylonische Mathematik mag seit 3000 Jahren ungebräuchlich sein, aber sie könnte praktische Anwendungen für die Computergrafik, für Surveys und für die Schule haben. Das ist ein seltenes Beispiel dafür, dass auch das Altertum uns etwas Neues beibringen kann.”

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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