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Tropfsteinhöhle und Bärenschädel

Geschichte|Archäologie

Tropfsteinhöhle und Bärenschädel
Ritus, Tradition, Religion – die Geisteswelt der Neandertaler. Trotz Gen-Analyse, die ihn vom Stammbaum des modernen Menschen entfernt: Es ist schwerer als je zuvor, den urtümlichen Eiszeitjäger zum tumben Wilden zu degradieren. Neue Funde lassen an Ahnenverehrung und Bärenkult denken.

Beispiel Bärenkult: Ein ebenso eindrucksvoller wie rätselhafter Fund aus der Grotte de Bruniquel in den französischen Pyrenäen. Nach dreijähriger Arbeit war die Höhle 1990 erstmals zugänglich. Sie wurde von einem Team um François Rouzaud und den Höhlenforscher Michel Soulier auf einer Länge von über 500 Metern erforscht.

Auf den ersten 70 Metern finden sich mehr als 80 Bärenschlafplätze in Form flacher Mulden, jedoch kaum Bärenknochen. Nach etwa 300 Metern öffnet sich ein 30 Meter langer und 25 Meter breiter Saal, der 1993 erforscht wurde. In seiner Mitte stießen die Höhlenforscher auf zwei kniehohe Ringwälle aus abgebrochenen beziehungsweise ausgerissenen Tropfsteinen. Der kleinere Ring hat einen Durchmesser von zirka zwei Metern, der größere von fünf bis sechs Metern. Beide können nur durch Menschenhand entstanden sein.

In der nördlichen Mauer des großen Rings liegt eine Feuerstelle mit angebrannten Bärenknochen – ein Glücksfall, da der organisch gebundene Kohlenstoff mit hilfe der C14-Methode eine genaue Datierung erlaubte. Das Ergebnis: 47600 Jahre alt. Hélène Valladas vom Centre des Faibles Radioactivités in Gif-sur-Yvette hält das für den unteren Grenzwert. Die Feuerstelle könne durchaus einige tausend Jahre älter sein.

Doch ob „nur“ 48000 Jahre alt oder älter – dieser Fund in den Pyrenäen ist von herausragender Bedeutung. Denn es müssen Neandertaler gewesen sein, die die Tropfsteinkreise errichteten: Im Westeuropa jener Epoche lebten nach allem, was heute bekannt ist, noch keine anatomisch modernen Menschen – die wanderten erst vor frühestens 40000 Jahren aus Afrika und Nahost ein. In Westeuropa sind unsere direkten Vorfahren nicht vor etwa 35000 Jahren greifbar (Jüngere Altsteinzeit, „Cro-Magnon“-Mensch).

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Offenbar waren es also Neandertaler, die in das tiefe Innere der Grotte de Bruniquel vordrangen. Zu welchem Zweck sie die Steinwälle schufen und welche Bedeutung dieser außergewöhnliche Ort in ihrer Vorstellung hatte, bleibt im Dunkel. Mit Lebensunterhalt hatte die Anlage nichts zu tun, soviel ist klar.

Vielleicht spielte der Höhlenbär die entscheidende Rolle. Es gibt vielfache Hinweise auf eine besondere Wertschätzung dieses Tiers im steinzeitlichen Europa. Seit Anfang der dreißiger Jahre berichten Forscher immer wieder von Funden auffällig zurechtgelegter Knochen. Vieles davon ist allerdings heute nicht mehr überprüfbar, einiges ist sogar widerlegt.

Anders verhält es sich mit einer 1994 präsentierten Entdeckung im Bihor-Gebirge in Westrumänien. 1987 hatten Wissenschaftler vom Speläologischen Institut in Bukarest in der Pestera Rece („Kalte Höhle“) einen 90 Meter langen Gang aufgespürt, in dem zahlreiche Höhlenbärenschädel lagen.

Nach der Art, wie einige dieser Schädel angeordnet sind, müssen Menschen ihre Hand im Spiel gehabt haben. So urteilt jedenfalls Cristian Lascu aus der Forschergruppe. Diese Menschen müssen wiederum klassische Neandertaler gewesen sein: Die Datierung an der Universität von Texas ergab ein Alter der Funde von zirka 80000 Jahren.

Bedeutendster Beleg sind vier Schädel im Zentrum des Ganges. Offenbar in die vier Himmelsrichtungen weisend, sind sie – Hinterhaupt an Hinterhaupt – zu einem Kreuz zusammengelegt. Der „Nord-Schädel“ liegt als einziger mit der Gaumenseite nach oben. Lascu interpretiert dies als Beweis für einen „Höhlenbären-Jagdkult“. Ob Jagdkult oder nicht – auch hier liegen die Antworten auf das Warum in der Geisteswelt der Neandertaler verborgen. Ihre Riten, Traditionen und Glaubensvorstellungen waren auf jeden Fall auf einer höheren Stufe, als lange Zeit vermutet wurde.

Wilfried Rosendahl
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