Frankfurter Archäologen sind im hessischen Gernsheim auf die Überreste einer Römersiedlung gestoßen, die offenbar nach Abzug des Militärs aus dem dortigen Kastell hervorgegangen war. In der Zeit der „Pax Romana“ lebten hier Zivilisten, belegen Funde von Gebäuderesten und Gebrauchsgegenständen.
Wo sich heute Gernsheim befindet, stand einst ein Römerkastell – das war bereits klar.
Zwischen 70/80 und 110/120 n. Chr. waren hier etwa 500 Soldaten stationiert. Die Kohorte sollte die römische Präsenz im rechtsrheinischen Raum stärken und die Verbindungen vom und zum Zentrum Mainz-Mogontiacum schützen. Im vergangenen Jahr haben die Archäologen der Goethe-Universität bereits Überreste dieses Kastells entdeckt. Sie hatten schon vermuten, dass es dort auch eine römische Siedlung gegeben hat. „Jetzt wissen wir, dass hier vom 1. bis 3. Jahrhundert eine bedeutende dorfartige Siedlung, ein ‚vicus‘, gelegen haben muss, vergleichbar etwa mit ähnlichen Dörfern, die bereits in Groß-Gerau, Dieburg oder Ladenburg nachgewiesen werden konnten“, sagt Grabungsleiter Thomas Maurer.
Eine Siedlung der friedlichen Blütezeit des Imperiums
Den Forschern zufolge hat sich die Siedlung nach dem Abzug der Soldaten teilweise auf den Fundamenten des Kastells weiterentwickelt. Etwa um 120 n. Chr. wurde die Kohorte vom Rhein an den Limes verlegt, denn dort war Militärpräsenz zu dieser Zeit offenbar wichtiger. „Als die Truppe abzog, kam es wahrscheinlich zu einem temporären Niedergang – das wissen wir von besser erforschten Plätzen“, erklärt Maurer. Den Funden der Archäologen zufolge wurden jedoch bereits im 2. Jahrhundert im „Römerdorf Gernsheim“ Steingebäude errichtet, die dafür sprechen, dass die Siedlung erblühte. In der friedlichen Zeit der „Pax Romana“ wurde sie damit Teil der römischen Provinz Obergermanien.
Die Forscher fanden neben dem gut erhaltenen Fundament eines Steingebäudes auch Feuerstellen und mindestens zwei Brunnen sowie Kellergruben. Darüber hinaus förderten sie kistenweise Scherben von Fein-, Grob- und Transportkeramik zu Tage, die Zeitangaben über das Kastell und das Dorf ermöglichen. „Wir sind auch auf wirkliche Kleinodien gestoßen wie seltene Gewandspangen, mehrere Perlen, Teile eines Brettspiels (Würfel, Spielstein) oder eine Haarnadel aus Bein, bekrönt mit einer weiblichen Büste“, freut sich Maurer.
Wer lebte hier?
Den Archäologen zufolge war die Bevölkerung wohl überwiegend gallisch-germanischen Ursprungs, vermutlich gab es aber auch Einwohner mit römischem Bürgerrecht und Zugezogene aus fernen Provinzen. Dies lassen charakteristische Funde vermuten: Bestandteile von Trachten, aber auch Münzen. Beispielsweise tauchte eine Münze aus Bithynien (Nordwest-Anatolien) auf, die sicher nicht zum Münzumlauf Obergermaniens gehörte, sondern vermutlich ein Mitbringsel war.
Die aktuellen Grabungsarbeiten gehen nun noch bis Anfang Oktober weiter. Ein Junges Team ist hier am Werk: 20 Studierende sorgen dafür, dass das Erdreich sorgsam abgetragen, die Befunde vermessen und dokumentiert sowie Gegenstände sorgsam geborgen und verpackt werden. Die Dokumentation und das Fundmaterial sollen nun in zahlreiche universitären Abschlussarbeiten münden.