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Von Marktfrauen und Weindieben

Schottisches Streben nach Unabhängigkeit

Von Marktfrauen und Weindieben

Ein ländliches Paar strebt der Stadt zu. Der Mann trägt in der Rechten einen mit Eiern wohlgefüllten Weidenkorb, und aus dem Umhang der Frau im braunen Gewand lugt der Kopf einer Gans hervor. Der Bauer ist mit einem bräunlichen Übergewand, ledernen Stulpenstiefeln und einer Mütze angetan, er hat einen Spieß geschultert und ist mit einem Schwert gegürtet. Die Bäuerin ist durch ihre Kopfhaube als verheiratet gekennzeichnet und stützt sich auf einen Gehstock.

Ziel der Landleute ist das Stadttor in der Bildmitte. In der Stadt blicken wir auf einen geöffneten Verkaufsstand vor der Kirche. Eine Marktfrau sitzt vor Tonkrügen und diskutiert mit dem städtischen Zolleinnehmer; ein Bewaffne‧ter hält sich im Hintergrund. Was dargestellt ist, wird auf der Beischrift erläutert: „Zolht nichts was man tregt“ – das heißt, alles was von den Leuten zum Markt getragen werden kann, bleibt zollfrei. Die Personen werden mit despektierlichen sexuellen Anspielungen benannt: die Händlerin als „Halpfoczs“, das Bauernpaar mit „Hans Hemp, Gretel ars sein hawsfrawe“ und die gesamte Szene mit dem beigefügten Datum „1504“.

Dies alles ist in einer Handschrift zu sehen, die im Jahr 1504 in der fränkischen Klein‧stadt Volkach am Main fertiggestellt wurde und deren Text mit 128 farbigen Miniaturen ausgeschmückt wurde. Sie zeigen das Alltagsleben einer Stadt im ausgehenden Mittelalter in vielen Szenen des Rechtslebens und des Handwerks. Sie sind nicht nur ein Augenschmaus für jeden heutigen Betrachter, sondern stellen für Stadt- und Rechtsgeschichte, die historische Volkskunde, die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Spätmittelalters, die Kirchen- wie auch für die Kultur- und Kunstwissenschaft eine wichtige Quelle dar.

Möglich wird die Betrachtung – und das Verständnis – der Miniaturen in dieser Handschrift dank einer zweibändigen Faksimileausgabe, die die Stadt Volkach jetzt her-ausgegeben hat. Sie enthält im Farbdruck alle illustrierten Textseiten des Kodex in Originalgröße. Das Verständnis der Bilder und des Begleittextes wird für heutige Leser durch eine seiten- und zeilengleiche Transkription, die genaue Wiedergabe des begleitenden Textes und die inhaltliche Beschreibung der Miniaturen erleichtert. Hinzu kommen Beiträge zu verschiedenen Aspekten der Überlieferung und insbesondere zum Autor Niclas Brobst und seinem Umfeld.

Niclas Brobst war Stadtschreiber in Volkach und ist als Persönlichkeit auch sonst recht gut belegt: Geboren wurde er um 1450 in dem Volkach benachbarten Dorf Eichfeld und studierte nach dem Besuch der Lateinschule, zum geistlichen Beruf bestimmt, anfangs an der Universität Heidelberg. Doch 1474 finden wir ihn als Schulmeister in Wildbad (Schwarzwald), verheiratet und Vater zweier Kinder. Im Jahr 1480 ist er wieder zurück in seiner fränkischen Heimat; in der Folge bis 1505 wirkte er als Notar, Stadtschreiber und Gotteshausmeister. Dort hat er das „Salbuch“, ein Besitz- und Einkunftsverzeichnis der Pfarrei Volkach und zugleich Amts- und Rechtsbuch der Stadt, konzipiert.

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Der Band war ursprünglich keineswegs für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt, sondern für den Gebrauch des Rates und für seine Nachfolger im Amt des Stadtschreibers. Als solcher hat Brobst sich auch bildlich von einem unbekannten Maler in Gelehrtentracht mit Talar und Barett bei seiner Vereidigung vor dem Bürgermeister darstellen lassen – auf den ersten Blick ein jugendlich wirkender Mann, in Wahrheit damals jedoch schon von Krankheit gezeichnet. Bereits im folgenden Jahr wurde er nach einem 20-jährigen Dienst für die Stadt durch seinen Sohn Sebastian als Nachfolger abgelöst.

Aus Volkach und seiner näheren Umgebung stammten übrigens noch zwei weitere nicht unbedeutende Zeitgenossen, der Prior Johannes Nibling des benachbarten Klosters Ebrach im Steigerwald, der mit Brobst launige Briefe wechselte, sowie der „deutsche Erzhumanist“ Konrad Celtis, der bedeutendste lateinische Dichter des deutschen Humanismus, aus dem nahen Dorf Wipfeld am Main.

Im Kommentarband zum Faksimile werden von Spezialisten der verschiedenen Disziplinen die unterschiedlichen Aspekte aus dem Umfeld des „Salbuchs“ dargestellt: Die Geschichte der Handschrift und ihrer Benennung, die Biographie und das familiäre Umfeld des Niclas Brobst mit einer Auswahl seiner Briefe, eine genaue Beschreibung und kunsthistorische Einordnung des Kodex, religions- und wirtschaftsgeschichtliche Detailstudien, ein Blick auf das Amt des Stadtschreibers in Süddeutschland, die Vorstellung eines weiteren Stadtbuchs aus der würzburgischen Landstadt Gerolzhofen sowie eine eindringliche rechtshisto‧rische Analyse über den genauen Ab‧lauf eines mit der Hinrichtung des Übeltäters endenden Strafgerichts in Volkach um 1500.

Der Abbildungsteil in einem dem Original nachempfundenen Einband lädt den Leser immer wieder zum Blättern und Betrachten der Bilder ein: So sieht man auch das Personal des städtischen Frauenhauses, den „hurnwiert mit seinen dochterenn“. Der aufwendig mit einer Pelzschaube (offener Rock) bekleidete Frauenwirt erscheint mit seinen beiden gutgekleideten Dirnen (in farbigen Überkleidern mit zweifarbigem Untergewand, weitausgeschnittenen Miedern und sorgfältig gefältelten Hauben) vor dem Bürgermeister.

Ihm leisten alle drei einen Eid, sind also Bedienstete der Stadt und unterliegen deren Aufsicht. Der Stadtschreiber hat die beiden Frauen mit den Beischriften „halpfozs“ und „weytloch“ bezeichnet. In Volkach läßt sich auch eine die spätmittelalterliche Sozialge‧schichte lange beschäftigende Fragestellung nach der Identität von Bade- und Frauenhaus klären: Hier lagen in der Badgasse am westlichen Stadtrand Badehaus und Frauenhaus nebeneinander, jedoch nach Gebäude, Funktion und „Bewirtschaftung“ getrennt.

Nicht nur Szenen der spätmittelalterlichen Sittengeschichte wollen betrachtet werden, auch rechtshistorische Gegebenheiten. In gut 20 Miniaturen wird der Halsgerichtsprozess vor dem Volkacher Stadtgericht verfolgt, der das Verfahren gegen einen Weindieb zum Inhalt hat und mit dessen Hinrichtung am Galgen endet. Man sieht den Delinquenten auf dem Weg aus dem Gefängnisturm zur Gerichtsstätte, „im Stock“ bei seiner „Henkersmahlzeit“, in den Schranken des Gerichts, bei der Urteilsverkündung und endlich auf seinem letzten Weg zum Galgen.

Die Eidleistung der städtischen Amtsträger, Bediensteten und Handwerker wird vor Augen geführt. Dort sieht man längst in Vergessenheit geratene Berufe wie „Schröter“, „Unterkäufer“, „Ungelter“, „Flurschütze“, „Eicher“ und „Visierer“, „Selhausmeister“ oder kaum noch bekannte wie „Türmer“, „Weinbergshüter“, „Weinschreier“, „Büttner“; aber auch heute noch existierende wie Bäcker, Metzger, Müller, Schulmeister und Ziegelmacher, die ebenso ins Bild gesetzt sind wie die in die Stadt eingeführten, zu verzollenden Güter oder das außerhalb gelegene Siechenhaus.

Literatur: Klaus Arnold / Ute Feuerbach, (Hrsg.), Das Volkacher Salbuch. 2 Bände. Volkach 2010.

Quelle: Prof. Dr. Klaus Arnold
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