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Von Schustern und InformatikerInnen

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Von Schustern und InformatikerInnen
Ach ja, nun kommen sie wohl wieder. Ich erwarte Beschimpfungen, angefangen von Vorwürfen wie „Chauvi“ bis hin zu Kastrationswünschen. Oder aber Beifall von der falschen Seite: „Gib’s ihnen!“. Denn ich habe mich entschieden, heute über Frauen in der Wissenschaft zu schreiben – und ich will es keineswegs galant tun.

Da fiel mir dieser Tage eine neu aufgelegte Broschüre der Gesellschaft fürInformatik in die Hände zur „Gleichbehandlung im Sprachgebrauch“. Es geht darin um „Reden und Schreiben für Männer und Frauen“. Nun sind Informatiker durchaus auch Spezialisten für Sprache, nämlich für formalisierte Programmiersprachen. Sollte es da Probleme mit männlichen und weiblichen Formen geben? Haben etwa Computer inzwischen die zwei Geschlechter entdeckt? Es schien spannend. Falsch getippt. Schon im Vorwort erklärt der einzige Mann unter den neun Autoren: „Sprache ist lebendig und verträgt keine starren Regeln.“ Es geht also nicht um Computer, sondern um die natürliche Sprache, so wie wir sie sprechen und schreiben. Und dann folgt übergangslos eine Fibel mit 17 Regeln, in einem Tonfall, der durch seinen Absolutheitsanspruch selbst ABC-Schützen aufsässig machen würde. Das zehnfache „Du sollst…“ wurde gerade noch vermieden: „Nennen Sie Frauen explizit und gleichwertig“ oder „Verwenden Sie passende Geschlechterbezeichnungen“. Garniert ist alles mit Beispielen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen, wenn man Sprache nur ein bißchen mit Kultur und Ästhetik in Verbindung bringt. So wird aus dem „Lehrer“ die „Lehrkraft“ oder aus Programmierern und Programmiererinnen werden „Fachleute aus den Bereichen Programmierung“.

Zur Lage der Frauen in der Informatik aber steht in der Broschüre kein Wort. Auch auf der angegebenen Website nichts Näheres dazu. Das findet sich dagegen in der zeitgleich erschienenen Zeitschrift „Universitas“. Hier stellt sich Barbara Messing, ihres Zeichens Informatikerin, als „Exotin“ an deutschen Universitäten dar. Bei den Informatikprofessoren an der TU Karlsruhe etwa beträgt der Frauenanteil nur 1,5 Prozent. Nichts davon in der Pressemitteilung zur „Rechtschreib“- Broschüre der Gesellschaft für Informatik. Nur eine Zahl steht da: daß Frauen in den Entscheidungsgremien der Organisation einen Anteil bis zu 50 Prozent haben.

Ja, wenn es um Vorstandsposten geht. Frauen in der Wissenschaft – ein wahres Trauerspiel. Um ehrlich zu sein: Es geht mir dabei gar nicht so sehr um Gleichberechtigung – die ist eigentlich schon ein Teil der Menschenrechte. Es geht mir vor allem um das brachliegende intellektuelle Potential in den Köpfen der Frauen. Dies zu nutzen, muß das Ziel sein – zum Vorteil von Männern und Frauen. Immerhin 45 Prozent der Studierenden in Deutschland sind Frauen. Doch je höher es in der wissenschaftlichen Karriereleiter geht, um so weniger werden ihre Kreativität, ihre Leistungsbereitschaft und ihr Können gefordert: Unter den Habilitanden sind nur noch 16 Prozent Frauen, an der Spitze, bei den C4-Professoren, ist nur noch jede zwanzigste Stelle von einer Frau besetzt. Wie kann man das ändern? Eine etablierte Frauenförderung ist wohl ebenso problematisch wie Frauennetzwerke, die jetzt von der EU-Kommission gefördert werden sollen. Und völlig daneben liegen oberlehrerhafte Sprachanweisungen. Auch für Informatikerinnen gilt: „Schuster …“ Nein, das ist männlich. Nach ihrer Broschüre müßte es wohl heißen: „Schuhmachende bleibt bei euren Leisten“.

Reiner Korbmann
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