Die Erinnerung an die Katastrophe von Tschernobyl ist bis heute präsent, verlorengegangen ist aber die Erinnerung an Tschernobyl: an die Menschen, die vor 1986 in der Stadt und ihrer Umgebung lebten, und ihre vielfältigen Kulturen. Die Erinnerung leidet darunter, dass die Region Sperrgebiet ist – in Tschernobyl ist selbst der Besuch der Gräber nicht mehr möglich.
Die Kulturen der Region Polissja dem Vergessen zu entreißen ist die Absicht der sehenswerten Ausstellung „Tschernobyl. Expeditionen in ein verlorenes Land“ im Augustinermuseum in Freiburg (noch bis 18. März 2012). Trachten, Tücher und Teppiche, Reusen und Tierfallen oder hölzerne Egge und Pflug führen zurück in das äußerst einfache Leben, das die ländliche Bevölkerung dort noch im 20. Jahrhundert führte.
Überrascht lernt der Besucher, dass Tschernobyl – bis die Juden im Zweiten Weltkrieg deportiert und umgebracht wurden – ein typisches jüdisches Schtetl war und eines der Zentren des Chassidismus (einer mystischen Richtung des östlichen Judentums). Beeindruckende Kultgegenstände werden ebenso gezeigt wie Exponate aus dem Alltagsleben. Erschütternd ist die digi‧tale Präsentation fotografischen Archivmaterials mit biographischen Schlaglichtern auf Menschen, deren Leben im KZ endete. Der Katalog ist im Michael Imhof Verlag (Petersberg) erschienen.