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Vor der Dürre kam der Krieg

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Vor der Dürre kam der Krieg
Eine provokante These: Nicht lange Trockenperioden, sondern der Zerfall der herrschenden Klasse ließen einst die Maya-Kultur untergehen. Archäologen haben jetzt überzeugende Belege dafür gefunden.

Die Temperatur reicht an die 40 Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt gefühlt bei 100 Prozent, die Lasten wiegen schwer, und der eigentlich für zwei Wochen vorgesehene Wasservorrat ist aufgebraucht. Doch die Plackerei wird belohnt: Nach drei Tagen haben die 20 Wissenschaftler und Arbeiter – Deutsche, Slowenen, Amerikaner und Mexikaner – die 120 Kilometer durch den Regenwald bewältigt, sind auf verlassenen Holzfällerwegen teils per Jeep, teils zu Fuß und dann mehr stolpernd als gehend am Ziel angelangt. Vor ihnen liegt die seit fast 1300 Jahren verlassene Maya-Stadt Uxul, was so viel bedeutet wie „Am Ende der Welt“. Ein treffender Name, auch wenn er wohl nicht der ursprüngliche ist. Hier, am Ende der Welt, hat der Regenwald eindeutig das Sagen. Aber unter dem üppigen Grün des Dschungels sind deutlich Stelen und Bauwerke zu erkennen.

GLÜCKSGEFÜHL TROTZ TROPENHITZE

Wenn sich Maya-Experte Nikolai Grube an diesen Moment im Jahr 2005 erinnert, gerät er noch immer ins Schwärmen: „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man in so eine Stadt hineinkommt. Man hat den Eindruck, dass einen die Könige anschauen und wähnt sich in der Gesellschaft von Menschen, die vor weit mehr als 1000 Jahren gelebt haben.“

Die Ruinenstadt Uxul liegt rund sechs Kilometer nördlich der guatemaltekischen Grenze im mexikanischen Bundesstaat Campeche. Es gibt keine Maya-Stätte, die weiter von der modernen Zivilisation entfernt ist. Seit 2009 gräbt hier ein internationales Team unter Grubes Federführung. Satellitenaufnahmen hatten den Forschern den Weg gewiesen. Von der späten Präklassik (300 v.Chr. bis 200 n.Chr.) bis ins 8. Jahrhundert war der Ort besiedelt, am Ende unter der Vorherrschaft des mächtigen Nachbarn Calakmul, der das zuvor eigenständige kleine Königtum 636 n.Chr. zum Vasallen gemacht hatte. Wiederentdeckt wurde Uxul 1934 von amerikanischen Forschern, doch die Ruinenstätte versank bald wieder im wuchernden Grün.

KONTRA FÜR DIE KLIMATHESE

Und mit ihr einige Kostbarkeiten: Die Archäologen haben hier während der Ausgrabungskampagne im vergangenen Jahr nicht nur ein ungeplündertes Prinzengrab samt wundervoller Keramik entdeckt (siehe Beitrag „Der Prinz im Regenwald“ ab S. 68), sondern sie fanden in Uxul auch die Bestätigung für eine These, mit der Grube seit Jahren anderen Forschern widerspricht: „Uxul ist ganz klar ein Beleg dafür, dass der Kollaps der alten Maya-Gesellschaft nicht mit klimatischen Faktoren erklärt werden kann“, sagt der Leiter des Instituts für Altamerikanistik und Ethnologie an der Universität Bonn.

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Dabei leugnet Grube die von anderen Wissenschaftlern immer wieder ins Feld geführten Dürreperioden und deren Folgen für die Maya keineswegs. Die Klimaschwankungen hätten den Niedergang aber bloß verstärkt. Der Auslöser sei vielmehr der politische Zerfall der herrschenden Klasse gewesen – genauer: der beiden großen und seit Langem rivalisierenden Königsdynastien von Calakmul und Tikal (siehe Karte auf S. 63). Zwar könne es Städte gegeben haben, bei deren Niedergang das Klima die entscheidende Rolle gespielt habe. Aber nicht nur Uxul sei deutlich vor den ersten großen Trockenphasen verlassen worden, zu denen es erst nach dem Jahr 800 n.Chr. kam. Dass die Klimatheorie so weit verbreitet ist, erklärt sich Grube schlicht damit, dass sie so plausibel erscheint.

Erst im vergangenen Herbst erhielt diese Theorie neue Nahrung: Eine internationale Studie, an der auch das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beteiligt war, untersuchte Aufstieg und Niedergang der Maya im Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen. Ergebnis: Die Zeit zwischen 450 und 660 n.Chr. war besonders regenreich. Die Maya konnten mehr Nahrungsmittel erzeugen, und die Bevölkerung wuchs stark. Dann folgten trockenere Perioden mit langjährigen Dürren zwischen 820 und 870 n.Chr. sowie zwischen 1020 und 1100 n.Chr. Wegen der Trockenheit wurden die Nahrungsmittel knapp. Es kam zu einer sozialen und politischen Destabilisierung und schließlich zum Kollaps – so die Annahme des interdisziplinären Forscherteams.

TROPFSTEIN MIT KLIMAGEDÄCHTNIS

Basis für diese Interpretation ist ein Tropfstein aus der tropischen Tiefebene im Süden Belizes. Dessen Analyse lieferte genaue Informationen über den Niederschlag in der Region, die die Wissenschaftler mit den Daten des Niedergangs in Beziehung setzten.

Grube ärgert sich über solche einseitig klimatischen Interpretationen. Denn dabei bliebe außer Acht, dass Menschen flexibel und intelligent sind und auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können. „Nirgendwo auf der Welt hat der Klimawandel zum Ende einer ganzen Gesellschaft geführt“, sagt Grube.

Der Archäologe sieht in der gewachsenen Bevölkerung und der möglichen Nahrungsmittelknappheit während der Dürren nicht den Auslöser für den Niedergang – zumal das Maya-Hauptnahrungsmittel Mais zum Wachstum vergleichsweise wenig Wasser benötigt. Stattdessen gibt er dem Machthunger der beiden großen Dynastien die Schuld. Nach dem endgültigen Sieg Tikals über Calakmul (736 n.Chr.) kam es zu einem Machtvakuum, das die siegreiche Dynastie nicht langfristig füllen konnte. Zwar überdauerte Tikal seinen Rivalen noch um rund anderthalb Jahrhunderte, doch dann begann das große Reich, an seinen Rändern auszufransen. Zudem habe die Niederlage der Kaan-Dynastie in Calakmul – laut Grube „die mächtigste Königsdynastie, die das Maya-Tiefland je gesehen hat“ – gezeigt, dass das Gottkönigtum angreifbar und instabil war. Sein Fazit: „Der Glaube an die Legitimität der Gottkönige war zutiefst erschüttert.“

Es folgte, was der Bonner Altamerikanist die „Balkanisierung“ des Maya-Gebiets nennt: Früher unabhängige Herrscher witterten ihre Chance und nutzten das Machtvakuum, um sich zu profilieren. Sie riefen ihre Unabhängigkeit aus und verwendeten eigene Königstitel.

EIN FLÄCHENBRAND AUS KONFLIKTEN

In verschiedenen Städten fanden die Archäologen zudem Inschriften, die ihnen verrieten, dass es um 800 n.Chr. „eine gewaltige Zunahme an Kriegen und Konflikten“ gab. Dabei dürften auch das Bevölkerungswachstum und die damit einhergehende Knappheit von wichtigen Ressourcen wie Land oder Wald eine erhebliche Rolle gespielt haben.

Doch Grube macht auch deutlich, „dass man mit allgemeinen Aussagen über das Klima im Maya-Land sehr vorsichtig sein muss“. Er betont: „Es gab sehr unterschiedliche Mikroklimata auf kleinem Raum, von extremer Trockenheit bis zu zunehmendem Niederschlag.“ Und in Uxul, wo die Forscher durch die Analyse von Pflanzenpollen im Erdreich das Klima über mehrere Tausend Jahre hinweg verfolgen können, scheint sich das Wetter nicht grundlegend geändert zu haben. Die damalige Vegetation unterschied sich kaum von der heutigen. „Die Trockenphasen, die man sonst im Maya-Tiefland beobachten kann, gab es in Uxul jedenfalls nicht“, stellt der Forscher fest.

Zudem verfügten die Maya in Uxul über eine ausgeklügelte Wasserversorgung. Immerhin zählte die Stadt 8000 bis 10 000 Einwohner – und die brauchten Trinkwasser. Dazu machte der Doktorand Nicolaus Seefeld während der letztjährigen Kampagne eine entscheidende Entdeckung: Er stieß auf ein ausgedehntes Kanalsystem. Grube erklärt: „Uxul liegt auf einer Anhöhe. Die großen Plätze waren alle leicht geneigt angelegt, sie waren stuckiert und blank. Dadurch floss das Regenwasser gezielt in bestimmte Täler.“

EINZIGARTIGE TRINKWASSERBECKEN

In diesen Tälern fand Seefeld Reste von Kanälen, die das Wasser in zwei große Becken – sogenannte Aguadas – leiteten. Die Kanäle waren extrem präzise und mit großem Arbeitsaufwand angelegt worden. Derartiges ist nirgendwo sonst im Maya-Land nachgewiesen. Die mit Stein gefassten und mit Platten ausgelegten breiten Rinnen konnten große Wassermassen aufnehmen. Bevor das kostbare Nass in die Aguadas floss, wurde es durch ein vorgelagertes Becken – sozusagen ein Klärbecken – geleitet, wo sich Schmutz und Sedimente absetzten. So kam in den Aguadas nur sauberes Wasser an. „Im Grunde war das ein richtiges Wasserleitungssystem, ein Kanalsystem, wie man es sonst vielleicht nur von den Nabatäern im heutigen Jordanien kennt“, sagt der Grabungsleiter.

Der Aufwand, den die Maya in Uxul bei den Aguadas betrieben, war deutlich größer als der für die Paläste, betont Grube, der darin einen Beleg für die Bedeutung des Wassers sieht. Das schließt er nicht nur aus den beachtlichen Ausmaßen der Aguadas von etwa 100 auf 100 Metern, sondern auch aus der Art, wie die Becken angelegt waren: Sie waren ebenfalls mit Steinplatten ausgekleidet – eines sogar zusätzlich mit Keramik –, dann mit einer wasserundurchlässigen Lehmschicht überzogen und schließlich mit Stuck bedeckt. Da die beiden Reservoirs nur 1,30 bis 1,50 Meter tief waren, ließen sie sich gut säubern. „Es sollte ja Trinkwasser sein, da konnte man keine Verunreinigungen gebrauchen“ , erklärt Grube.

WASSERBAU WAR CHEFSACHE

Dann kommt der Maya-Experte zum Kern seiner Beweisführung: Die Pflege und Instandhaltung der Kanäle und Aguadas oblag der Oberschicht beziehungsweise der Herrscherdynastie. Konnte diese ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen oder machte sich aus dem Staub, gab es kein sauberes Trinkwasser mehr, und den Bewohnern blieb nichts anderes übrig, als die Stadt früher oder später zu verlassen. Daraus schließt Grube: Zuerst verschwand die politische Elite, und erst danach wurde Uxul zur Geisterstadt.

Das untermauert seine These. Denn bei Naturkatastrophen wie Dürreperioden verschwindet die einfache Bevölkerung zuerst. „Die Eliten überleben solche ökologischen Katastrophen.“ Deshalb leuchtet es Grube nicht ein, „wieso im Falle der Maya-Gesellschaft ausgerechnet der Adel zuerst von der Trockenheit betroffen gewesen sein soll. Und dass der Niedergang zuerst den Adel erfasste, ist mittlerweile Konsens unter Archäologen.“ Der Kollaps begann mit dem Ende der höfischen Kultur. Es finden sich keine neuen Inschriften mehr, es werden keine Paläste und Tempel mehr errichtet, bestehende Bauwerke wie die Aguadas werden vernachlässigt. Erst später verließ auch die bäuerliche Bevölkerung die Städte.

Die Elite Uxuls hat ihrer Stadt zwischen 730 und 740 n.Chr. den Rücken gekehrt, also lange vor der großen Trockenperiode im Maya-Land. Der Niedergang Uxuls vollzog sich damit parallel zu jenem der Kaan-Dynastie in Calakmul. Jahrhundertelang hatten die beiden mächtigen Dynastien von Tikal und Calakmul erbittert um die Vorherrschaft im Tiefland der mexikanischen Halbinsel Yukatan gerungen. Mit zwei Attacken 695 und 736 n.Chr. versetzte Tikal seinem Gegner schließlich die entscheidenden Schläge und löschte die Kaan-Dynastie aus. Die Spur der einst mächtigen Herrscherfamilie endet abrupt.

DAS AUS FÜR DIE KAAN-DYNASTIE

„Nach unserer Hypothese hängt der Kollaps von Uxul mit dem Zusammenbruch der Kaan-Dynastie zusammen“, sagt Grube. Auch andere Calakmul- Vasallen rund um das Machtzentrum – beispielsweise Piedras Negras, El Peru, La Corona, Caracol, Naranjo, Cancuen oder Los Alacranes – wurden verlassen, nachdem es den großen Bruder nicht mehr gab, wenn auch nicht so früh wie Uxul. Grube schließt daraus, dass die Verbindungen von Uxul zu Calakmul enger waren als die der anderen Vasallenstaaten. Auch das Prinzengrab lieferte dafür Belege.

Schließlich kommt der Archäologe noch einmal auf das Wasser zu sprechen: Zu den Maya-Städten, die zuerst verlassen wurden, hätten auch solche gehört, die an Flüssen lagen – also in Dürrezeiten länger Wasser zur Verfügung hatten. Grube nennt ein paar Beispiele: den Calakmul-Vasallen Dos Pilas am Petexbatun, den der Ortsadel 761 n.Chr. verließ, Tamarindito am selben Fluss, das 770 n.Chr. aufgegeben wurde, Pomona am Usumacinta, das 780 n.Chr. folgte, und Palenque am Otolum, wo 799 n.Chr. Schluss war.

Eine Dornröschenstadt im Regenwald, bei deren Ausgrabung sich die Wissenschaftler vor allem Erkenntnisse über das Verhältnis des Vasallen zu seinem großen Bruder erhofften, entpuppt sich so nach und nach als Wegweiser zu den Ursachen des Maya-Niedergangs. Das Puzzle dieser einst blühenden Kultur ist dadurch zwar noch längst nicht vollständig, aber doch um entscheidende Teile reicher. ■

MARTINA ZICK hat ihr Handwerk bei der Tageszeitung gelernt. Sie folgt seit 15 Jahren immer wieder den Spuren der Maya.

von Martina Zick

Kompakt

· Erkenntnisse eines Bonner Altame- rikanisten kippen die verbreitete These, nach der die Maya-Hochkultur durch Klimaschwankungen ausgelöscht wurde.

· Die Hauptursache war vielmehr die Rivalität zwischen den regionalen Königtümern Calakmul und Tikal.

· Große Trockenperioden setzten erst deutlich später ein.

Der Prinz im Regenwald

Yotoot Til ist nur 20, höchstens 25 Jahre alt geworden. Woran der Maya-Prinz mit dem klingenden Namen „Haus des Tapirs“ zwischen 725 und 730 n.Chr. starb, vermag der Bonner Altamerikanist Nikolai Grube nicht zu sagen. Und es ist ihm zurzeit auch nicht so wichtig. Denn was der Tote hinterlassen hat, beschert den Archäologen, die zurzeit die Maya-Stadt Uxul im mexikanischen Bundesstaat Campeche ausgraben, fürs Erste genug Arbeit und Denkstoff.

Das Grab ist schon wegen der aufwendig bemalten und reliefierten Keramiken darin ein Glücksfall. Darüber hinaus geben die Funde den Forschern Hinweise auf die Beziehung Uxuls zu seinem mächtigen Nachbarn Calakmul. Dessen herrschende Kaan-Dynastie hatte das kleine Königtum 636 n.Chr. zum Vasallen gemacht und dort bis zum eigenen Untergang rund 70 Jahre später den Regentenstab geschwungen. „Es ist das erste Mal, dass wir einen Vasallenhof nach dem Verlust der Unabhängigkeit erforschen können“, erklärt der Wissenschaftler.

Die Kaan-Dynastie hatte ihre Machtzentrale erst kurz vor der Einverleibung Uxuls von Dzibaanche nach Calakmul verlegt. Die bedeutendste Königsdynastie des Maya-Tieflands stand in Konkurrenz zum mächtigen Rivalen Tikal, dem sie am Ende unterlag. Warum die Kaan-Dynastie das rund 130 Kilometer östlich von Calakmul gelegene Dzibaanche verließ, gehört zu den vielen Geheimnissen, die das Maya-Tiefland birgt.

Seit 2009 arbeitet ein internationales Wissenschaftler-Team unter Grubes Leitung in Uxul. 867 Gebäude sind bislang vermessen, an rund einem Dutzend davon wird gegraben. Grube spricht von „ Klein-Calakmul“, und das nicht nur wegen des Vasallenstatus. Vielmehr haben die Maya-Architekten in Uxul das Stadtbild von Calakmul fast eins zu eins kopiert – von der Anordnung der Pyramiden und der Gebäudeformen bis zur Lage des Ballspielplatzes und der Gestaltung des großen Königspalastes.

DAS LOCH IN DER SITZBANK

Der Palastkomplex, zu dem elf Gebäude und fünf Innenhöfe gehören, interessiert die Archäologen zurzeit am meisten. Das gesamte Areal misst mindestens 120 mal 130 Meter. Dort haben die Wissenschaftler das Grab Yotoot Tils gefunden – mit detektivischem Spürsinn. In einer steinernen Sitzbank hatten sie ein aufgefülltes Loch entdeckt – und Lunte gerochen. Etwa anderthalb Meter unter der Bank fanden sie prompt einen Keramikteller, jedoch ohne jeglichen Dekor. „Wir waren schon ganz frustriert und fragten uns, ob das alles war“, erinnert sich Nikolai Grube. Doch Kai Delvendahl, der Leiter der Palast-Ausgrabungen und Wissenschaftler an der Universität Bonn, wühlte sich weiter in die Tiefe. Seine Beharrlichkeit brachte den Durchbruch: Unter dem Teller entdeckte Delvendahl einige Steinplatten, und als er sie auseinander schob, öffnete sich darunter ein Hohlraum – das Grab.

Etwa einen Meter hoch, drei Meter lang und 65 Zentimeter breit „ist es zwar keine riesige Grabkammer, und die Knochen sind in einem bemerkenswert schlechten Zustand“, sagt Grube. Dennoch bedeutet der Fund für die Archäologen eine Sensation: Das Grab gehört zu den am besten erhaltenen Maya- Gräbern, die je entdeckt wurden. In zahllosen anderen Fällen sind Grabräuber den Archäologen zuvorgekommen – in Uxul indes ist noch alles an Ort und Stelle: etwa der auf der Innenseite kunstvoll bemalte und beschriftete Teller, der auf dem Kopf des Toten lag. Durch ein Loch in der Mitte des Tellers konnte nach der Vorstellung der Maya die Seele entweichen. Die Archäologen fanden außerdem vier aufwendig dekorierte Kakaogefäße sowie einige unbemalte Keramiken – „geradezu atemberaubend schöne Stücke“, schwärmt Grube.

VOR GRABRÄUBERN GERETTET

Doch die Schönheit allein ist es nicht, was Grube und seine Kollegen begeistert. Zum ersten Mal haben Wissenschaftler hier mehrere bemalte Keramiken in ihrem ursprünglichen Kontext gefunden. „Damit sind wir in der Lage, Aussagen über die Verwendung der Keramik zu machen“, freut sich der Grabungsleiter. Denn fast die gesamte polychrome Maya-Keramik, die heute in Museen zu sehen ist – 5000 bis 6000 Stücke, schätzt Grube –, lässt sich keinem Fundort zuordnen. Die Grabräuber hatten die Einzelstücke auf den internationalen Kunstmarkt gebracht, wo jedes in den 1960er- und 1970er-Jahren 10 000 bis 100 000 Dollar einbrachte.

Für die Wissenschaftler sind sie insofern verloren, als sich ihre Herkunft nicht mehr klären lässt. So können diese Keramiken auch nicht dabei helfen, Verbindungen zwischen den Maya-Städten nachzuweisen. Durch den neuen Fund hoffen die Archäologen, Schritt für Schritt mehr über die Brücken zwischen Uxul und Calakmul zu erfahren.

Schon die Existenz von Keramik in dem Grab weist darauf hin, dass hier eine hochgestellte Person bestattet wurde. Denn einfache Menschen erhielten keine Grabbeigaben. Hatte die Qualität der Stücke die Archäologen zunächst sogar auf ein Königsgrab hoffen lassen, gab das Fehlen von Jademasken und -schmuck – den königlichen Attributen – nun einen anderen Fingerzeig. Inzwischen gehen die Forscher davon aus, dass es sich zwar um ein Mitglied der Königsfamilie gehandelt hat, aber um einen Prinzen, der nicht in direkter Thronfolge stand. Das legt auch die Inschrift auf einem der Becher nahe.

Explizit ist der Besitzer als „Ch’ok“ („Prinz“) ausgewiesen. Der Verstorbene muss ein Sohn des Statthalterkönigs gewesen sein. „Das ist das Trinkgefäß des Prinzen“, übersetzt Grube die Zueignung. Der Becher ist stuckverziert und mit zwei Relieffeldern versehen. Eines davon zeigt einen Prinzen, die Hände in einer Geste, die Gespräch ausdrückt. Er spricht mit einer Schlange. Auf dem Relief eines anderen Kakaobechers unterhält sich ein König mit einem Hund. „Das Gespräch mit Tieren hatte sicher eine Bewandtnis. Aber wir wissen nicht, welche“, bedauert Grube.

Der Teller weist ebenfalls auf den Bestatteten hin. Er trägt die Weihinschrift: „Dies ist die Schrift auf dem Teller für Kakao des Yotoot Til.“ Der Teller ist im „Codex-Stil“ gehalten, benannt nach dem Stil der wenigen erhaltenen Maya-Bücher. Darin dominieren die Farben Schwarz und Rot auf cremefarbenem Untergrund. Durch den Vergleich mit Scherben, die vor rund zehn Jahren im Palast von Calakmul und später auch in Nord- Guatemala gefunden wurden, können die Experten sagen, „dass diese Art imperialer Keramik mit dem Adel von Calakmul oder der dort herrschenden Kaan-Dynastie assoziiert werden kann“.

Zwar sind Fund- und Produktionsort von Keramik nicht immer identisch. Aber in diesem Fall geht Grube davon aus, dass die Grabbeigaben tatsächlich in Uxul hergestellt wurden. „Damit haben wir einen weiteren Beleg für Beziehungen zwischen Calakmul und Uxul.“ Die Funde sprechen dafür, dass diese Beziehungen enger waren als zwischen Calakmul und seinen anderen Vasallen, wo derartige Keramik bis jetzt nicht entdeckt wurde. „Die Herrscherfamilie von Uxul könnte ein Zweig der Kaan-Familie gewesen sein“, wagt sich Grube auf ungesichertes Terrain vor. „ Allerdings fehlen noch dynastische Inschriften, die darüber verlässlich Aufschluss geben“, räumt er ein.

Wie die Beziehungen zwischen Uxul und Calakmul aussahen, ist die zentrale Frage, die den Bonner Archäologen und sein Team umtreibt. Hinweise geben neben den Keramiken auch sechs Hieroglyphentafeln, die in die Palasttreppe eingelassen waren: Vier davon zeigen die Könige von Calakmul beim Ballspiel. Über das Uxul vor der Okkupation können die Archäologen wenig sagen.

DIE GESCHICHTE SCHREIBT DER SIEGER

Auf den Stelen und Tafeln, die als schriftliche Quelle dienen, finden sich zwar die genannten Fingerzeige auf die Verbindungen zu Calakmul, aber keinerlei Anhaltspunkte, die auf das ursprüngliche Herrscherhaus schließen lassen. Die Geschichtsschreibung beginnt sozusagen erst mit den in Stein gemeißelten Namen von Statthaltern und königlichen Besuchern aus Calakmul. Sicher wissen die Archäologen bislang lediglich, dass sich die ersten Maya in der Zeit der späten Präklassik – zwischen 300 v.Chr. und 200 n.Chr. – auf den von Sümpfen umgebenen Hügeln niedergelassen haben.

Aus dem kleinen Dorf wurde bald eine stattliche Siedlung. Eines der wichtigsten Bauwerke dieser frühen Siedlung war ein kleines Gebäude, das sich genau an der Stelle befand, an der später die Statthalter ihren – deutlich größeren – Königssitz errichteten. „Es hat den Anschein, als sei dieses frühe Gebäude – vielleicht der Vorgängerpalast – in seiner ganzen Höhe erhalten“, meint Grube. Der Fund würde damit zu der Gewohnheit der Maya passen, Bestehendes nach der Eroberung nicht zu zerstören, sondern buchstäblich darauf aufzubauen – um dadurch den eigenen Machtanspruch zu legitimieren.

Auch deshalb geht Nikolai Grube davon aus, dass die ursprüngliche Herrscherfamilie nicht ausgelöscht wurde, zumindest nicht vollständig. Stattdessen könnten die neuen Herrscher versucht haben, ihre Vorgänger als Statthalter zu gewinnen. Ob nun aber der auf den Tafeln genannte Statthalterkönig mit dem klingenden Namen „Muyal Chaak“ („Wolke des Regengottes“) zum ursprünglichen Königshaus gehörte oder vielmehr aus Calakmul stammte, bleibt ein Geheimnis. ■

von Martina Zick

Kompakt

· In Uxul haben Archäologen ein unversehrtes Maya-Grab mit Keramik entdeckt.

· Die Beigaben erlauben Rückschlüsse auf die Verbindungen zwischen den Städten Uxul und Calakmul.

· In der Architektur von Uxul ist das Stadtbild von Calakmul fast eins zu eins kopiert.

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LESEN

Inès de Castro (Hrsg.) MAYA Könige aus dem Regenwald Gerstenberg, Hildesheim 2007, € 19,90

DIE MAYA Titelgeschichte in bild der wissenschaft 10/2009

Nikolai Grube (Hrsg.) MAYA Gottkönige im Regenwald H.F.Ullmann, Potsdam 2010, € 39,99

AUSSTELLUNG

DER MAYA-CODE Linden-Museum Hegelplatz 1, 70174 Stuttgart Öffnungszeiten (bis 2.6.2013): Mo geschlossen, Di 10 bis 17 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr, Do bis Sa 10 bis 17 Uhr, So 10 bis 18 Uhr www.lindenmuseum.de

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