Ein entfernter Verwandter der ersten Menschen war möglicherweise doch nicht der strenge Vegetarier, für den er bisher gehalten wurde. Vielmehr ernährte sich Paranthropus robustus, der genau wie der moderne Mensch zu den Nachfahren der Vormenschengattung Australopithecus zählte, wohl ähnlich vielseitig wie die gleichzeitig lebenden direkten Vorfahren des Menschen: Er aß Blätter, Früchte, Samen, Wurzeln, Knollen und wahrscheinlich auch das Fleisch pflanzenfressender Tiere. Das schließen amerikanische Forscher um Matt Sponheimer aus einer Analyse winziger Proben von 1,8 Millionen Jahre alten Paranthropus-Zähnen. Demnach habe wohl nicht eine zu einseitige Ernährung aus wenig nährstoffreichen Pflanzen zum Aussterben von Paranthropus geführt, wie bislang angenommen.
Vor etwa 2,5 Millionen Jahren spalteten sich die Australopithecinen, zu denen auch das berühmte Skelett
Lucy gehört, in zwei Linien auf: die Gattung Homo, aus der auch der moderne Homo sapiens hervorging, und die Gattung
Paranthropus, die in eine evolutionäre Sackgasse führte und vor etwa 1,5 Millionen Jahren ausstarb. Die Vertreter dieser Gattung besaßen ungewöhnlich große Backenzähne und sehr massive Kiefermuskeln ? Kennzeichen, die ihnen den Ruf einer „Kaumaschine“ einbrachten, die darauf spezialisiert war, harte, zähe und faserreiche Pflanzen zu zermahlen. Bisher glaubten Anthropologen, dass genau dieser nährstoffarme und aufwändige Ernährungsstil für den Untergang von Paranthropus verantwortlich war, weil er ihm nicht erlaubte, sich auf Veränderungen im Nahrungsangebot infolge von Klimawechseln einzustellen.
Diese These stellen die Ergebnisse von Sponheimer und seinem Team nun jedoch infrage. Die Wissenschaftler hatten mithilfe eines Lasers winzige Proben von vier Paranthropus-Zähnen entnommen, die aus dem südafrikanischen Swartkrans und damit dem Gebiet stammen, das als „Wiege der Menschheit“ bezeichnet wird. Da mit der Nahrung aufgenommener Kohlenstoff in den Zahnschmelz eingebaut wird, kann aus dem Verhältnis verschiedener Kohlenstoffformen in den Zähnen die Quelle der Nahrungsmittel abgeleitet werden. Demnach aß Paranthropus Pflanzen aus dem Wald genauso wie Gräser, Samen und Wurzeln und höchstwahrscheinlich auch Tiere aus trockeneren Savannengebieten, die sich von diesen Pflanzen ernährten.
Der Speiseplan wechselte dabei nicht nur mit den Jahreszeiten, sondern war auch von Jahr zu Jahr unterschiedlich, so die Forscher. Möglicherweise wanderten die affenähnlichen Menschenverwandten also zwischen Wald- und Steppengebieten hin und her, oder die Variationen spiegeln Unterschiede im jährlichen Nahrungsangebot wider, die von der Niederschlagsmenge geprägt wurden. Diese Flexibilität zeige, dass das Aussterben von Paranthropus eine andere Ursache als die Ernährung gehabt haben müsse, so die Forscher.
Matt Sponheimer (Universität von Colorado in Boulder) et al: Science, Bd. 314, S. 980 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel