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Widerstandsgedenken im Wandel

Geschichte|Archäologie

Widerstandsgedenken im Wandel
Gedenken
Plakat für eine Gedenkfeier für NS-Opfer von 1952 und Empfang von FIR-Mitgliedern beim österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger im März 1978. (Bild: ÖNB)

Widerstand hat viele Facetten – nationale wie transnationale. Welche Rolle die 1949 gegründete Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) für die Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg spielte, hat nun ein Historiker untersucht. Seine Forschung bringt neue Erkenntnisse über die Rolle dieses nichtstaatlichen Akteurs, aber auch über den Wandel des Widerstands-Narrativs im Laufe der Zeit.

In diesem Jahr jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Die damit verknüpften Aktionen und Feierlichkeiten schlossen meist nicht nur den Krieg selbst mit ein, sondern auch die Opfer der Judenverfolgung durch das Dritte Reich und den Widerstand derjenigen, die sich gegen das NS-Regime engagierten und deshalb in Konzentrationslagern inhaftiert und getötet wurden.

Dachorganisation der Widerstandskämpfer im Blick

Doch wie wurde und wird an Widerstand erinnert? „In der von den westeuropäischen Nationalstaaten propagierten Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg stand nach 1945 der heroische Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zentrum“, erklärt Maximilian Becker von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dieses „Widerstandsgedächtnis“ dominierte die sogenannten Erinnerungskulturen sowohl von Einzelnen als auch einer Gesellschaft insgesamt. Doch die Erinnerungskulturforschung hat Defizite, wie der Historiker erklärt: „Zum einen wird sie meist rein national betrieben, und zum anderen werden nicht-staatliche Akteure kaum berücksichtigt.“

Eine dieser Lücken betrifft die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (Fédération Internationale des Résistants, kurz FIR). Diese internationale Dachorganisation von Verbänden antifaschistischer Widerstandskämpfer wurde 1946 in Warschau gegründet, siedelte dann aber 1951 nach Wien um und hat ihren Sitz seit 2004 in Berlin. Welche Rolle dieser nichtstaatliche Akteur für das Gedenken an den Widerstand spielte, welche Narrative er vertrat und welche Haltung er im Kalten Krieg einnahm, hat Becker nun erstmals umfassender erforscht. Dafür wertete er unter anderem Protokolle der FIR-Gremiensitzungen von 1946 bis 1991, Tätigkeitsberichte sowie die monatlich erscheinende Verbandszeitschrift „Der Widerstandskämpfer“ aus. Aber auch Dokumente aus ausländischen Archiven und Bibliotheken sowie diverse Zeitungen sowie Autobiografien bezog er mit ein. Alles in allem hat er bisher mehr als 8.000 Seiten Archivmaterial ausgewertet.

Wichtige Anstöße für Erinnerungs-Narrative

Die ersten Ergebnisse dieser Auswertungen beleuchten unter anderem, dass die FIR in ihrer Anfangszeit bedeutende geschichtspolitische Initiativen wie den Internationalen Befreiungstag am 11. April und den Tag der Befreiung des KZ Buchenwald anstieß und in Ausstellungen über den facettenreichen Widerstand in Europa informierte. Gleichzeitig trug die Organisation auch unter den ehemaligen Widerstandskämpfern zu einem gemeinsamen Narrativ bei. „Vorher spielte die Erinnerung in den Stellungnahmen kaum eine Rolle“, sagt Becker. „Eine gemeinsame Erzählung tauchte erstmals in der Ansprache des damaligen Präsidenten der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer auf, dem ehemaligen KZ-Inhaftierten Henri Manhès.“

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Im Mittelpunkt standen damals allerdings noch nicht die individuellen Widerstandserfahrungen, sondern vermeintlich allgemeingültige Aussagen. Nach diesen bildete die Widerstandsbewegung eine Einheit, die alle europäischen Nationen und Völker, sozialen Schichten und (fast) alle Parteien verband. Dieses gesamteuropäische Narrativ der FIR zum Widerstand generierte einerseits Identität, blendete jedoch Konflikte zwischen Widerstandsgruppen und nationale Besonderheiten teils aus. „Der transnationale Widerstandsmythos war der kleinste gemeinsame Nenner der unterschiedlichen nationalen Erinnerungen“, erklärt Becker. Während bei Gründung der FIR zudem noch das ganze Volk als potenziell Widerständige galten, wurde diese Vorstellung ab 1959 relativiert: Auf Kongressen und in der eigenen Fachzeitschrift der FIR hieß es nun vielmehr, dass das Volk die Partisanen unterstützte.

„Blinde Flecken“ im Kalten Krieg

In den 1960er Jahren veränderte sich die Rolle der Föderation deutlich – sowohl im Osten als auch im Westen. „Im Kalten Krieg waren die Vertreter nationaler Verfolgtenverbände in den Gremien der FIR zu 80 bis 90 Prozent kommunistische Parteifunktionäre. Diese Überrepräsentation führte dazu, dass die FIR im Westen als kommunistische, moskauhörige Tarnorganisation verschrien war“, erläutert Becker. Parallel dazu spielte die Erinnerung auch innerhalb der Dachorganisation eine zunehmend geringere Rolle. „Das hatte mehrere Gründe. Entscheidend war die verstärkte Ideologisierung von Erinnerung im kommunistischen Osteuropa“, so der Historiker. Im Zuge des Kalten Krieges sollten die mehrheitlich kommunistischen nationalen Vertreter der Verfolgtenverbände die FIR ideologisch „auf Linie“ bringen.

Diese „Unterwanderung“ zeigte Wirkung, wie der Historiker herausgefunden hat. So wusste die FIR beispielsweise von der militärischen Aufrüstung in der ehemaligen DDR, hat jedoch im Unterschied zu antikommunistischen Verfolgtenverbänden nicht darauf reagiert. Auch Repressionen von Juden im Polen der späten 1960er Jahre blieben von der Organisation weitgehend ignoriert: „Die FIR hat beispielsweise auf die antisemitische Kampagne in Polen 1968 nicht reagiert und auch nicht humanitär unterstützt, als polnische Juden, darunter auch ehemalige hochrangige Funktionäre der FIR, zur Emigration gezwungen wurden“, so Becker. Andererseits blieben die überlebenden Widerstandskämpfer auch im Kalten Krieg über Länder- und Ideologiegrenzen hinweg gut vernetzt, wie historische Dokumente verraten.

Die Recherchen ergaben auch, dass die FIR trotz dieser „Abwege“ ihrem Grundgedanken – dem Widerstand gegen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus – treu geblieben ist. Widerstand sei nach wie vor ein Identitätsstifter, sowohl für die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs als auch für aktuelle Widerstandsbewegungen, berichtet Becker. So sei der FIR beispielsweise auch an der antirassistischen Bewegung „Black Lives Matter“ beteiligt.

Quelle: FWF Der Wissenschaftsfonds

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