Die Kindheit hat sich in der Menschheitsgeschichte relativ spät entwickelt. Zumindest beim frühen Homo erectus, einem vor knapp zwei Millionen Jahren auf der Bildfläche erschienenen Vorfahren des modernen Menschen, gab es noch keine ausgedehnte kindliche Wachstumsphase. Das hat ein internationales Forscherteam anhand von Schädelanalysen herausgefunden. Ihre Untersuchungen schildern Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen in der Fachzeitschrift Nature (Bd. 431, S. 299).
Von allen Primaten ist der Mensch der einzige, bei dem der Nachwuchs eine ausgeprägte Kindheit und Jugend genießt. Menschliche Kinder werden vergleichsweise unreif geboren und haben während dieser übermäßig langen Phase Zeit zu wachsen und zu lernen. Wann genau sich diese typisch menschliche Eigenschaft entwickelt hat, ist bislang unklar.
Hublin und seine Kollegen analysierten den Schädel des so genannten Mojokerto-Kindes, eines 1,8 Millionen Jahre alten auf Java gefundenen Fossils eines kindlichen Homo erectus, von dem der Schädel vollständig erhalten ist. Die Anthropologen verglichen Computertomographien dieses Schädels mit denen von Schädeln moderner Menschen und Schimpansen. Die Untersuchungen legen nahe, dass das Mojokerto-Kind zum Zeitpunkt seines Todes etwa ein Jahr alt war und bereits etwa drei Viertel der Schädelkapazität eines Erwachsenen Homo erectus besaß.
Dieses schnelle Gehirnwachstum unterscheidet sich deutlich von dem des modernen Homo sapiens und entspricht eher dem heute lebender Affen. Beim modernen Menschen ist das Gehirn einjähriger Kinder noch lange nicht mit dem Hirn eines Erwachsenen vergleichbar. Demnach ist die Kindheit erst nach dem frühen Homo erectus entstanden, schließen die Anthropologen.
ddp/bdw ? Cornelia Dick-Pfaff