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„Wir begehen keine Fahnenflucht“

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

„Wir begehen keine Fahnenflucht“
In Troja endet eine Ära: Nach 25 Jahren geben die Deutschen die Grabung ab. Der Chefarchäologe Ernst Pernicka zieht Bilanz – und blickt in die Zukunft des Jahrhundertprojekts.

Ernst Pernicka

hat Chemie und Physik an der Universität Wien studiert. Danach zog es den Österreicher nach Deutschland: Er leitete zwischen 1979 und 1997 die Arbeitsgruppe Chemie am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Dann nahm er die Professur für Archäometallurgie an der TU Bergakademie Freiberg/Sachsen an. 2004 wechselte er an die Universität Tübingen, wo er seither die Professur für Archäometrie/Archäometallurgie innehat. Zudem ist Pernicka (*1950) wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der „ Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie gGmbH“ in Mannheim. Von 2006 bis 2012 war er Grabungsleiter in Troja.

bild der wissenschaft: 2010, in Ihrem letzten Interview über Troja mit bild der wissenschaft, meinten Sie: „ Wenn wir jetzt ‚Adieu‘ sagen, wäre das für die Türken ein schlechtes Signal.“ Nur zwei Jahre später hat die türkische Regierung Ihnen die Lizenz zum Graben entzogen – also ihrerseits „ Adieu“ gesagt. Was ist das für ein Signal?

Ernst Pernicka: Da muss man genau sein. Die Lizenz wurde uns nicht entzogen, sondern auf Restaurierung und Auswertung beschränkt. Und das galt 2012 nicht nur für Troja, sondern für alle deutschen Ausgrabungen in der Türkei.

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Wieso diese Beschränkung?

Ich sehe das in einem größeren Zusammenhang. Die Türkei stellt Rückgabeforderungen von Kulturgütern. Das ist umstritten. Über diesen Weg wird nun Druck ausgeübt.

Sie haben beschlossen, ab 2013 keine Grabungslizenz mehr für Troja zu beantragen. Wie kam es dazu?

Dafür gibt es drei Gründe. Der eine ist, dass die Mittel für die Forschung zu Ende gegangen sind. Es ist uns nicht gelungen, private Sponsoren zu finden. Der zweite Grund ist meine Lebensplanung: Ich bin nicht mehr weit von der Pensionierung entfernt und habe mir Gedanken gemacht, wie es weitergeht. Nun kann ich mich mit ganzer Kraft dem Archäometrie-Zentrum widmen, das wir dank der Stifter Curt Engelhorn und Klaus Tschira in Mannheim aufgebaut haben. Und drittens werden die Anforderungen der türkischen Antikenverwaltung, was die kostenintensive Restaurierung anbelangt, immer größer. Dafür können wir keine Forschungsmittel einsetzen. Aber wir begehen keine Fahnenflucht. Wir haben den Rückzug innerhalb der Kollaboration ausführlich besprochen. Man darf auch nicht vergessen, dass ich angetreten bin, die Forschung meines Vorgängers und Freundes Manfred Korfmann abzuschließen. Mein Ehrgeiz war es, sein Lebenswerk zu Ende zu führen, indem wir seine Ergebnisse publizieren.

Als Nachfolger galt bereits der US-Amerikaner William Aylward. Doch die Antikenverwaltung bevorzugt nun einen türkischen Troja-Forscher. Wie ist das zu erklären?

Hier ist es bedauerlicherweise zu einer zu frühen Information gekommen. Ich habe unseren ursprünglichen Plan mitgeteilt, dass das amerikanische Team die Leitung übernehmen soll – mit einem sachlichen Argument: Was in Troja jetzt ansteht, ist die großflächige Untersuchung der Unterstadt.

Und das können die Amerikaner am besten?

Ja, weil das zunächst Sache der klassischen Archäologie ist, die hauptsächlich vom amerikanischen Team geleistet wird. Über der prähistorischen Stadt wurden eine hellenistische und eine römische Siedlung gebaut. Die können wir nicht einfach wegräumen.

Wer wird nun der neue Chef?

Alle kulturpolitischen Ebenen haben deutlich gemacht, dass Rüstem Aslan von der türkischen Universität Çanakkale die Leitung übernehmen soll. Er ist Absolvent der prähistorischen Archäologie in Tübingen und war bisher mein Stellvertreter. Er wird den Lizenzantrag stellen. Der muss allerdings erst einmal genehmigt werden – was in der Türkei eine ernste Sache ist: Mir wurde kürzlich mitgeteilt, dass die Anerkennung meines Abschieds durch einen Parlamentsbeschluss bestätigt wurde.

Sind Sie mit der Wahl einverstanden?

Das ist eine ideale Lösung, weil durch Rüstem Aslans Leitung auch türkische Fördergelder fließen werden. Türkische Ausgrabungen bekommen sozusagen automatisch Geld vom Ministerium. Das sichert eine Grabungskampagne pro Jahr.

Schlägt die Türkei gerade einen neuen Kurs ein, was ihr kulturelles Erbe betrifft?

Der Kulturminister hat mehrfach betont, dass die Türkei mittlerweile über genug ausgebildetes Personal verfügt, um die Heimatforschung selbst zu betreiben. Das kann man nachvollziehen. Nur sind bei diesem Umschwung die Bedingungen für die ausländischen Ausgräber nicht deutlich geworden. Aber das ist kein Drama. In Troja bleibt die Mannschaft im Grunde genommen zusammen. Es werden auch Tübinger weiter mitarbeiten, vier Kollegen sind bereits eingeladen. Und das Tübinger Troja-Archiv wird ebenfalls weiterhin zur Verfügung stehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass in Tübingen wieder ein Troja-Projekt entsteht – unter neuer Leitung.

Seit Jahren ist von einem Troja-Museum vor Ort die Rede. Wann ist es so weit, und was wird darin ausgestellt?

Baubeginn ist 2013, die Fertigstellung ist für 2015 anvisiert. Sowohl die Grabungstechnik als auch Funde werden zu sehen sein. Und der Mythos Troja muss erklärt werden. Geplant sind Installationen mit moderner Ausstellungstechnik wie Filme und Touchscreens.

Der berühmte Schliemann-Schatz liegt seit dem Zweiten Weltkrieg im Puschkin-Museum in Moskau. Wird die Türkei ihn für das Museum einfordern?

Ob sich Herr Ergodan und Herr Putin über eine allfällige Rückgabe einig würden, ist fraglich. Das wäre ohnehin juristisch kompliziert, denn eigentlich hat die Bundesrepublik Deutschland einen Rechtsanspruch darauf, weil der Goldschatz Beutekunst ist. Das wäre ein sehr heikles politisches Dreiecksgeschäft. Ich bin froh, dass ich damit nichts zu tun habe. Ich habe vorgeschlagen, Eins-zu-Eins-Kopien von den Stücken auszustellen.

Der Schliemann-Schatz ist für die Türken also erst einmal unerreichbar.

Ja, aber sie haben Troja-Gold aus dem University of Pennsylvania Museum of Archaeology in Philadelphia bekommen – zu meinem Bedauern durch meine eigenen Untersuchungen. Ich habe zeigen können, dass die Goldfunde, die 1966 in Philadelphia angekauft wurden, wahrscheinlich aus Troja stammen. Das hat die türkische Kulturverwaltung zum Anlass genommen, die Funde zurückzufordern, obwohl sie 1966 kein Interesse daran bekundet hatte.

Welche Anhaltspunkte gibt es dafür, dass das Gold aus Troja stammt?

Die Herkunft habe ich eingrenzen können, weil an der Öse eines Anhängers zwei oder drei Milligramm Erde hafteten. Die habe ich verglichen mit den Sedimenten, die wir aus der Umgebung von Troja kennen. Sie sind kompatibel. Das ist allerdings kein endgültiger Beweis, weil die Tonzusammen-setzung auf der ganzen Welt recht ähnlich ist.

Haben Sie die Objekte auch vom Stil her verglichen?

Ja, sie sind ununterscheidbar. Die Ohrgehänge könnten ebenso gut in Moskau liegen. Für mich war aber interessanter, dass der Anhänger, den ich untersucht habe, noch in einem anderen Fundzusammenhang auftaucht, nämlich in den Königsgräbern von Ur in Mesopotamien. Es gibt dort vier ähnliche Objekte.

Was bedeutet das?

Das heißt, dass es Kontakt gab. Ob die Objekte in Ur aus Troja stammen oder umgekehrt, wissen wir nicht. Aber es zeigt sich eine Parallele, auch zeitlich. Man könnte annehmen, dass die Objekte in Ur hergestellt wurden und nach Troja gelangten – sei es als Regierungsgeschenk oder mit einer Prinzessin, die verheiratet wurde. Dann könnten die Stücke vererbt worden sein. Schließlich ist das wertvoller Schmuck. Das funktioniert sicher nicht über 500 Jahre, aber über 100 Jahre schon. Und das kommt hin: Ur wird etwa auf 2400 v.Chr. datiert und die Funde von Troja auf 2300 v.Chr.

Ist es wahr, dass die meisten Goldobjekte, die Sie untersuchen, Fälschungen sind?

Ja, sogar 95 Prozent aller Metallobjekte, die bei uns eingereicht werden, sind falsch. Das liegt vor allem daran, dass wir von Antiquitätenhändlern Stücke bekommen, die ohnehin in Zweifel gezogen werden. Doch ich denke, dass aufgrund der hohen Nachfrage auch der Anreiz groß ist, Fälschungen herzustellen.

Können Sie Fälschungen mit hundertprozentiger Sicherheit erkennen?

Wir können Objekte, deren Material in den letzten 100 Jahren hergestellt wurde, mit der Pb-210-Methode sicher identifizieren. Dabei wird der Gehalt des radioaktiven Blei-Isotops gemessen. Wenn wir keine Radioaktivität finden, heißt das: älter als 100 Jahre. Das Objekt kann dann alt und echt sein, muss es aber nicht. Wenn ein Objekt jünger als 100 Jahre ist, ist es in der Regel eine Fälschung. Zusätzlich kann man anhand der Metallzusammensetzung eine Fälschung erkennen – wenn sie Elemente enthält, die zum Beispiel erst im 19. Jahrhundert entdeckt oder produziert wurden.

Welche Projekte stehen bei Ihnen an – jetzt, wo Sie wieder mehr Zeit haben?

Troja wird mich noch zwei bis drei Jahre beschäftigen, bis die Abschlusspublikation fertig ist. Unter anderem will ich mich derweil meiner alten Fragestellung widmen – für die Troja auch die Anregung war: Wo kommt das Zinn her, das für die Bronze in Troja verwendet wurde? Dort taucht Bronze ja sehr früh auf. Lange dachte man sogar, dass sie hier erfunden wurde. Doch wir haben festgestellt, dass die Bronze woandersher stammen muss.

Weil es in Troja kein Zinnvorkommen gibt?

Nicht nur das. Die Isotopenverhältnisse des Bleis in Objekten aus Troja sind in der ganzen Ägäis nicht zu finden. Wir haben nun einen neuen Ansatz entwickelt, die Isotopenverhältnisse des Zinns zu untersuchen. Das ist eine sehr aufwendige und schwierige Messtechnik. Mit ihr können wir aber jetzt zumindest zwischen den großen mitteleuropäischen Zinnlagerstätten Erzgebirge und Cornwall unterscheiden. Wir haben zum Beispiel die Himmelsscheibe von Nebra untersucht und festgestellt: Das Zinn von Nebra stammt aus Cornwall und nicht, wie man vermuten würde, aus dem nahen Erzgebirge. Jetzt sind wir wieder bei der Frage: Wo kommt das Zinn in der frühen Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum her? Wahrscheinlich nicht aus Cornwall. Vielleicht aus Mittelasien.

Sie haben in Tadschikistan einen Ort ausgemacht, an dem Kupfer und Zinn zusammen vorkommen. Das klingt nach der perfekten Quelle.

Nur leider haben wir das geochemische Muster von dort noch in keinem einzigen Objekt gefunden. Aber wir haben auch im Iran eine Lagerstätte entdeckt. Und das geochemische Muster von dort passt immerhin zu Funden vom Persischen Golf und in Mesopotamien.

Also könnte auch die östliche Mittelmeerregion mit Zinn aus dem Iran versorgt worden sein?

Ja. Und eine Störung dieser Handelsbeziehungen könnte aus meiner Sicht ein Grund gewesen sein, wieso die Palastkultur am östlichen Mittelmeer zusammenbrach. Die Eliten waren sozusagen die Vermittler von Sondermaterialien, sei es Zinn oder auch Bernstein. Plötzlich wurde deren Zufuhr durch irgendwelche Ereignisse unterbunden. So verlor die Palastelite ihre Existenzberechtigung. Es war das Ende der Bronzezeit – es gab kein Zinn mehr. Kupfer allein ist als Werkstoff nicht so gut, und dann wurde die Bronze durch Eisen ersetzt. Sobald man die Technik entwickelt hatte, Eisen zu gewinnen, konnte das jeder machen, weil Eisen überall vorkommt. Dafür brauchte man keine Kontakte. Und die Technik konnte man nicht geheim halten. ■

Das Gespräch führte Cornelia Varwig

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Mus|kel|dys|tro|phie  〈f. 19; Med.〉 erbliche, langsam fortschreitende Muskelerkrankung, Muskelschwund

lit. , Lit.  〈Abk. für lat.〉 Litera

Fisch|molch  〈m. 1; Zool.〉 Angehöriger einer Familie der Schwanzlurche mit langem Rumpf u. sehr kleinen Beinen: Amphiumidae

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