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Wird man beim Bund zum Mann?

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Wird man beim Bund zum Mann?
„Die Bundeswehr lässt junge Kerle zu echten Männern reifen“ ? dieser Ausspruch hat offenbar einen wahren Kern, zumindest wenn man „Männlichkeit“ auf der Basis traditioneller Rollenerwartungen definiert. Denn laut einer Studie unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Tübingen beeinflusst der Wehrdienst in substanzieller Weise, wie verträglich sie im Umgang mit anderen Personen sind.

Charakterliche Veränderungen nachzuvollziehen, ist äußerst kompliziert. Zum einen, weil entsprechende Studien über einen längeren Zeitraum angelegt sein müssen, und zum anderen, weil es vielfältige Gründe für Veränderungen in der Persönlichkeit geben kann.
„Deshalb haben wir eine Methode angewandt, die diese Faktoren so gut wie möglich erfasst“, erklärt Ulrich Trautwein, Psychologe an der Universität Tübingen, der die Studie gemeinsam mit Josh Jackson von der Washington University sowie Felix Thoemmes, Kathrin Jonkmann und Oliver Lüdtke von der Universität Tübingen veröffentlichte. „Das Ziel war es, die Gruppe der Studienteilnehmer so homogen wie möglich zu machen, um dann nachvollziehen zu können, ob die Persönlichkeit eines Menschen von dem beeinflusst wird, was er tut oder erlebt.“ Denn unter Wissenschaftlern ist man sich uneins, ob Charakterzüge hauptsächlich genetisch bedingt sind und sich entsprechend nur wenig verändern lassen, oder ob sie durch Erfahrungen geprägt werden.

„Die Untersuchung mit jungen Erwachsenen, die entweder Militärdienst oder Zivildienst leisteten, bot für uns eine ideale Gelegenheit, Effekte von Lebensbedingungen auf die Persönlichkeitsentwicklung zu untersuchen“, sagt der Studienleiter. Denn die Rekruten lassen sich in einem ähnlichen Lebensabschnitt auf mehr oder minder gleiche Lebensbedingungen und Tagesabläufe ein, die sich jedoch sehr von dem Tagesablauf von Zivildienstleistenden unterscheidet.

Die Studie fand vor der inzwischen erfolgten Abschaffung des Wehrdienstes statt. Um vorab zu prüfen, ob bestimmte Eigenschaften die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich jemand zum Wehrdienst meldet, befragten die Wissenschaftler männliche Schüler an circa 150 Gymnasien, und zwar bevor diese sich zwischen Wehrdienst und dem Zivildienst entscheiden mussten. Die Befragung erfolgte anhand des sogenannten Fünf-Faktoren-Modells nach Costa und McCrae: Den Probanden wurden Fragen zu fünf Persönlichkeitsmerkmalen gestellt, die als relativ dauerhaft, unabhängig voneinander und von kulturellen Unterschieden gelten ? Extraversion, Verträglichkeit, Offenheit für neue Erfahrungen, emotionale Stabilität und Gewissenhaftigkeit.

Tatsächlich entpuppten sich junge Männer, die sich zugunsten des Wehrdiensts entschieden, als etwas weniger offen für neue Erfahrungen, dafür aber emotional stabiler und neigten weniger dazu, sich Sorgen zu machen, ergab die Auswertung. Und sie waren weniger verträglich, „also weniger warmherzig und kooperativ im Umgang mit anderen“, wie es die Sozialwissenschaftler formulieren. „Es ist also kein Zufall, wer Militärdienst leistet“, schlussfolgert Ulrich Trautwein.

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Nachhaltige Veränderungen

Zwei Jahre später, also nach Abschluss des Wehr- oder Zivildienstes, befragten die Forscher die jungen Männer erneut. Es zeigte sich, dass beide Personengruppen im Mittel sozial verträglicher, gewissenhafter und weniger ängstlich geworden waren ? eine für diese Altersgruppe typische Entwicklung. Allerdings stieg die Sozialverträglichkeit der ehemaligen Rekruten langsamer an als die der Zivildienstleistenden. Dieser Trend setzte sich noch mindestens vier weitere Jahre fort. Es handele sich also nicht nur um einen kurzzeitigen Effekt, sondern der Militärdienst habe langfristige Auswirkungen auf dieses Persönlichkeitsmerkmal, so Trautwein: „Es ist ein kleiner Unterschied, aber er ist durchaus bedeutsam.“

Dass die spürbaren Veränderungen des Charakters weniger dem Militärdienst geschuldet waren, sondern vielmehr mit den meist sozialen Tätigkeiten des Zivildienstes zusammenhingen, kann der Sozialwissenschaftler ausschließen: „Die ehemaligen Zivildienstleistenden erwiesen sich nicht verträglicher als Gleichaltrige, die gar keinen Dienst geleistet haben.“

Ob gut oder schlecht, ist nicht abzusehen

Welche langfristigen Auswirkungen der geringe, aber spürbare Unterschied auf das Leben ehemaliger Soldaten hat, können die Forscher noch nicht absehen. Was Freundschaften und Beziehungen betreffe, könne er negative Folgen haben, da sich das Konfliktpotenzial erhöhe. Auf der anderen Seite haben Menschen, die weniger kompromissbereit sind, oft bessere Aufstiegschancen im Beruf. Außerdem reagieren sie insgesamt schneller und aggressiver ? eine Eigenschaft, die in Kampfsituationen, in denen es um Leben und Tod geht, von Vorteil sei, so die Wissenschaftler.

Mit der Abschaffung der Wehrpflicht wird es in Zukunft schwieriger, die Prägung durch den Militärdienst zu untersuchen. Denn mit dem Wegfall der bislang obligatorischen Frage „Wehr- oder Zivildienst“ wird die Entscheidung für das Militär noch viel bewusster gefällt. „Studien gibt es dazu noch keine. Ich würde aber erwarten, dass sich dadurch wandelt, wer zum Militär geht. Und dies wiederum hat einen Effekt darauf, was man beim Militär erlebt. Damit dürften sich die Auswirkungen auf die Persönlichkeit eher verstärken“, mutmaßt Ulrich Trautwein.

Joshua Jackson (Washington University, St. Louis) et al.: Psychological Science, doi: 10.1177/0956797611423545 © wissenschaft.de ? Marion Martin
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