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Zeugnisse historischer Gemetzel

Geschichte|Archäologie

Zeugnisse historischer Gemetzel
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Die Region Kalkriese ist der mutmaßliche Ort der Varusschlacht Foto: Stahlkocher, Creative Commons-Lizenz
Mit Sonden spüren Schlachtfeld-Archäologen den Überbleibseln historischer Kampfhandlungen nach: Vor allem Geschosse geben Auskunft über Bewaffnung und Aufstellung der Truppen, das Schlachtgeschehen und die Taktik. Ob Dreißigjähriger Krieg oder römische Invasion in Germanien lange nach der Varus-Schlacht: Die junge archäologische Disziplin liefert Erkenntnisse, die nicht nur unter Fachleuten Aufsehen erregen.

Mitten in einer Fläche mit vielen Musketenkugeln findet sich ein kleinerer Kreis von Pistolenkugeln. „Sieht aus wie ein Spiegelei“, beschreibt André Schürger vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt die Fundstelle auf dem Schlachtfeld von Lützen. Hier prallten 1632 die berühmtesten Feldherren des Dreißigjährigen Krieges aufeinander: der General der kaiserlichen Armee Albrecht von Wallenstein und der schwedische König Gustav II. Adolf. Für Schürger, betraut mit Europas größtem Projekt der Schlachtfeld-Archäologie, ist die Fundstelle eine klare Sache: „Pistolen waren die Waffe der Reiter, die, direkt auf den Körper aufgesetzt, abgedrückt wurden – hier fand ein Nahkampf statt.“

Bis eine solche Interpretation hieb- und stichfest ist, liegt harte Feldarbeit hinter den Archäologen, berichtet das Wissenschaftsmagazin „bild der wissenschaft“ in seiner Juniausgabe. „Das 300 Hektar große Schlachtfeld wird systematisch mit Metallsonden abgegangen und die Funde mit dem Global Positioning System (GPS) für die Kartierung eingemessen“, berichtet Schürger. „Die Funde, überwiegend Bleikugeln, stecken zu fast 100 Prozent in der Humusdeckschicht.“

„Es wurde oft behauptet, dass die schwedische Infanterie im Dreißigjährigen Krieg besonders erfolgreich war wegen einer leichten Muskete ohne Stützgabel“, gibt Schürger ein Beispiel für die Erkenntnisse der mühevollen Feldarbeit. „Aber tatsächlich startete die Produktion erst 1631 in kleinen Stückzahlen – und in Lützen war nur die Alte Blaue Brigade teilweise damit ausgerüstet, alle anderen schwedischen Truppen hatten höchstens Einzelexemplare.“

Für den Schauplatz, auf dem der Schwedenkönig sein Leben ließ, haben die Denkmalpfleger ihre Metallsonden auf Buntmetall eingestellt. „60 bis 80 Prozent aller Funde sind nämlich Eisen, und davon ist nur ein Bruchteil brauchbar – das meiste ist moderner Müll.“ Dagegen müssten die Wissenschaftler bei antiken Kampffeldern wie etwa dem der Varus-Schlacht in Kalkriese primär auf Eisen gehen.

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Das trifft auch zu auf die sensationelle Entdeckung einer Schlacht zwischen Römern und Germanen am Harzhorn am Rande des Harzes. Nicht nur Katapultgeschosse, Pfeil-, Speer- und Lanzenspitzen zeugen davon, dass hier römische Soldaten gekämpft haben. Gefunden wurden auch Reste eines Wagens, Werkzeug zum Lagerbau sowie Münzen und Hunderte Schuhnägel. Der Gegner hat ebenfalls Spuren hinterlassen, etwa eine aufwendig verzierte Lanzenspitze germanischer Herkunft. „Die Gegner sind schwieriger zu fassen, denn sie waren schlechter ausgerüstet und trugen weniger Metall am Körper“, erklärt Günther Moosbauer, Spezialist für die Archäologie der römischen Provinzen an der Universität Osnabrück, gegenüber „bild der wissenschaft“.

Was verraten nun die 2.600 Fundstücke? Auf locker 10.000 bis 30.000 Mann schätzt Moosbauer den römischen Trupp, der mit Beute beladen aus dem Norden auf den Bergzug des Harzhorns stieß. Aber an der einzigen problemlosen Überquerungsstelle warteten die Germanen. Mit Katapultgeschützen beschossen die römischen Kämpfer deren Stellung – an einer wenige Quadratmeter großen Stelle steckten 40 Katapulte im Boden. „Gut möglich, dass sich der Kern der germanischen Verbände dort befand, wo ein Großteil der Katapultspitzen lag“, meint Grabungsleiter Michael Meyer vom Institut für prähistorische Archäologie der FU Berlin. „Womöglich stand hier auch der germanische Anführer, der eliminiert werden sollte.“

Gleichzeitig drangen römische Soldaten einen steilen Weg herauf, um die Germanen aus ihren Stellungen zu vertreiben. Dort, wo sich die Schuhnägel im Boden häuften, könnten sich die Römer gesammelt haben, um die Germanen niederzumachen. „Die große Zahl der Nägel spricht dafür, dass hier intensivere Militärbewegungen stattgefunden haben“, erklärt Meyer. Nach dem Kampf zogen die Römer in südwestlicher Richtung ab – dorthin führt die mehrere Kilometer lange Nagelspur. Sieger waren die Römer: Sonst hätten die Germanen das Schlachtfeld geplündert und den Toten die Ausrüstung vom Leib gerissen. Nach einem solchen Fleddern finden sich Ausrüstungsreste in großen Mengen – aber nicht hier am Harzhorn.

Die Bestimmung des Zeitpunkts der Schlacht kam einer Sensation gleich: 200 Jahre nach der vernichtenden Niederlage des Varus waren die Germanen immer noch der römischen Invasion ausgesetzt. Zur Datierung trug ein Messerfutteral bei, das frühestens in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts üblich ist. Ein Pferdeskelett ließ sich mit der C-14-Analyse auf das zweite Viertel des 3. Jahrhunderts festlegen. Und die jüngste gefundene Münze stammt von Kaiser Severus Alexander, der bis 235 regierte. Die enggültige Eingrenzung des Zeitpunkts leisteten historische Quellen. 233 verwüsten Germanen das Gebiet um Mogontiacum, dem heutigen Mainz. Kaiser Maximinus Thrax bricht ins „Barbaricum“ zum Vergeltungszug auf. Der römische Autor Herodian und die Historia Augusta berichten von einer Schlacht des Thrax 300 bis 400 Meilen tief im Feindesland. Das galt bisher als übertriebene Angabe – das Harzhorn-Schlachtfeld aber stützt nun die Quellen.

Entdeckt hatten zwei Hobbyarchäologen den Schlachtort – und sie wandten sich an die Kreisarchäologin Petra Lönne. Die meisten Bundesländer verbieten das Sondengehen. Mit gutem Grund, wie Lützen-Schlachtexperte Schürger betont: „Hobbyarchäologen sind definitiv ein Problem, weil sie Schlachtfelder plündern.“

ddp/wissenschaft.de – Rochus Rademacher
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